Es gilt als wahrscheinlich, dass der Erste Senat die seit 2009 geltende großzügige Regelung kippt und eine steuerliche Begünstigung von Firmenerben an strengere Maßstäbe knüpft. Das Urteil wird vor allem bei den rund drei Millionen Familienunternehmen in Deutschland mit Spannung erwartet, denn es geht um die Übertragung von Milliardenwerten. (Az. 1 BvL 21/12).
Schon 1995 und 2006 hatten die Richter wichtige Regelungen des Erbschaftsteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt und vom Gesetzgeber Nachbesserungen verlangt. So dürfte es nach Einschätzung von Steuerexperten auch diesmal kommen. Denn in der mündlichen Verhandlung im Juli sahen mehrere Verfassungsrichter das "Ausmaß" der Verschonung kritisch, die von der Bundesregierung vor allem mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen in mittelständischen Unternehmen begründet wird. Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof sagte, die Regelungen öffneten "einen breiten Raum für eine Steuervermeidung bis hin zur völligen Steuerbefreiung". Andere Richter deuteten an, dass es eine "Überprivilegierung" sein könnte, wenn Erben von Firmenvermögen gegenüber Erben von Privatvermögen deutliche steuerliche Vorteile hätten.
Diese Besserstellung, die für Erben wie auch für Empfänger von Schenkungen gilt, könnte den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verletzen. Konkret: Das Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende Besteuerung.
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BUNDESFINANZHOF SPRICHT VON VERFEHLTER GESETZESTECHNIK
Anlass für das Urteil ist eine Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFH), der die geltenden Regelungen für verfassungswidrig hält. Das oberste deutsche Steuer-Gericht hatte in ungewöhnlich deutlichen Worten kritisiert, das Gesetz sei nicht zielgenau genug und lade zu Gestaltungen ein, mit denen eine völlige Steuerfreiheit erreicht werde. Dies sei kein Rechtsmissbrauch seitens der Steuerpflichtigen, sondern die Folge einer "verfehlten Gesetzestechnik", die der Gesetzgeber gekannt und hingenommen habe.
Nach der umstrittenen Verschonungsregel des Gesetzes werden Erbschaften und Schenkungen dann entlastet, wenn im Zuge des Betriebsübergangs die Arbeitsplätze weitgehend gesichert werden. Wer den Betrieb fünf Jahre lang fortführt und die Lohnsumme in dem Zeitraum weitgehend stabil hält, bekommt schrittweise 85 Prozent der Steuerschuld erlassen. Wer das sieben Jahre schafft, muss am Ende gar keine Steuer bezahlen. Von der Lohnsummenklausel befreit sind zudem Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten. Das sind nach Auffassung des BFH mehr als 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland.
Neun von zehn deutschen Unternehmen sind in Familienbesitz. Die Bundesregierung verteidigt die Steuervergünstigungen für Betriebserben damit, dass die deutsche Wirtschaftsstruktur gerade in Zeiten weltweiter Umbrüche erhalten bleiben müsse. Als die strittigen Bestimmungen zur Erbschaftsteuer Ende 2008 geschaffen wurden, stand Deutschland im Sturm der Finanzkrise. Damals ging es nach den Worten von Finanzstaatssekretär Michael Meister darum, "die Arbeitsplatzbeschaffer in der deutschen Wirtschaft nicht weiter zu belasten". Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) und andere führende Politiker der großen Koalition sowie aus den Bundesländern haben bereits angekündigt, auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zusätzliche Belastungen für Unternehmen verhindern zu wollen.
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VIELE FAMILIENUNTERNEHMER HABEN FIRMA SCHON VERSCHENKT
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt, fast zwei Drittel aller familiengeführten Industrieunternehmen sähen bei einem Wegfall der Verschonungsregeln den Bestand ihres Unternehmens gefährdet". Die Mittelständler blickten "mit Sorge auf das bevorstehende Urteil in Karlsruhe". Zahlen des Statistischen Bundesamtes lassen allerdings erkennen, dass viele Unternehmer schon vor der Karlsruher Entscheidung auf Nummer Sicher gegangen sind. Sie haben ihre Firma steuergünstig an ihre Nachfolger verschenkt, statt sie später - eventuell mit höherer Steuer - zu vererben: Im Jahr 2012, als klarwurde, dass die Verschonungsregel vor dem Verfassungsgericht landet, sprang der Wert des in Deutschland verschenkten Firmenvermögens auf 17 Milliarden Euro, mehr als das Dreifache des Vorjahreswerts. Mehr Steuern nahm der Fiskus dadurch nicht ein.
Für die Staatskasse ist die Erbschaftsteuer denn auch ein relativ kleiner Posten. Die den Bundesländern zustehenden Einnahmen betragen rund 4,5 Milliarden Euro im Jahr - weniger als ein Prozent des gesamten Steueraufkommens.
Reuters