Das Wort an sich mag negativ besetzt sein, doch wenn jemand als "größter Spekulant aller Zeiten" bezeichnet wird, klingt es wie ein Kompliment. Jesse Livermore (1877-1940) erwarb sich den Titel unter anderem durch sein Buch "Mein Schlüssel zu Börsengewinnen". Es gibt aber nicht nur Literatur von ihm, sondern auch über ihn, etwa Richard Smittens Werk "Trade like Jesse Livermore".

Einer von Livermores wichtigsten Grundsätzen ist es, stets nach den besten Branchen und Märkten Ausschau zu halten. Das in Folge 1 unserer Serie behandelte Ivy-Portfolio von Meb Faber berücksichtigt genau diesen Punkt, indem es stets in die stärksten Marktgruppen der zurückliegenden zehn Monate investiert.

Will man Jesse Livermores Idee einer feineren Einteilung der Finanzmärkte noch näher kommen, könnte man die von Faber recht breit gefassten Marktgruppen wie folgt weiter aufspalten:

1. Rohstoffe


Faber betrachtet Rohstoffe als eine einzige Anlageklasse. Dies ist eine relativ grobe Verallgemeinerung, und das Jahr 2020 hat deutlich die Verschiedenartigkeit der einzelnen Rohstoffklassen gezeigt. Unvergesslich bleiben die negativen Kurse im Frühjahr bei einigen Terminkontrakten auf Rohöl. Energie als Rohstoff verhält sich grundsätzlich anders als Metalle oder Agrarprodukte. Eine Einteilung in vier Kategorien (Energie, Industrie- und Edelmetalle, Agrar) ist deshalb eine sinnvolle Erweiterung von Fabers Ansatz.

2. Anleihen und Immobilien


Wenn Faber von Immobilien spricht, meint er US-Immobilien. Wenn er von Anleihen redet, meint er US-Anleihen. Das Ivy-Portfolio wurde eben von einem amerikanischen Fondsmanager in Anlehnung an US-Elite-Universitätsstiftungen entwickelt. Eine Aufspaltung der Immobilien und Anleihen in je einen Bereich USA und Rest der Welt ohne USA macht das Portfolio anpassungsfähiger an sich ständig ändernde globale Entwicklungen und kommt der Idee von Livermore näher.

3. Aktien


Hier unterscheidet Faber bereits zwischen US-Aktien und dem Rest der Welt ohne USA. Letzteres ist mit in Deutschland handelbaren ETFs ohnehin nur nachbildbar, indem man Europa und Emerging Markets mischt. Damit ist eine weitere Unterteilung in drei Bereiche bereits vorgegeben. Und das macht Sinn: Denn Schwellenländer, allen voran die asiatischen mit ihrem neuen gemeinsamen Wirtschaftsraum, werden in der globalen Gewichtung von Aktienportfolios immer wichtiger.

Folglich besteht die Verfeinerung in Anlehnung an Livermore darin, dass man die Märkte nicht nur in fünf bis sechs, sondern in elf Kategorien unterteilt. Das Regelwerk des Ivy-Portfolios besagt, dass man nur in die Marktgruppen investieren sollte, die oberhalb der Zehnmonats- beziehungsweise 200-Tages-Durchschnittslinie notieren. Trifft das - wie im Moment - auf mehrere zu, hat man die Qual der Wahl. Nach den Vorgaben Meb Fabers wären die besten 60 Prozent investierbar, also die ersten sechs aus der nebenstehenden Tabelle. Doch die Ivy-11-Strategie lässt auch die Konzentration auf nur ein bis vier Marktgruppen zu.

Ob man nur in die stärkste investiert - diejenige, die auf Sicht von zehn Monaten die beste Performance lieferte - oder weitere hinzunimmt, hängt von der persönlichen Risikobereitschaft ab. Sicherheitsbewusste Anleger werden eher versuchen, die Risiken auf mehrere Märkte zu verteilen. Spekulanten wie Livermore dürften tendenziell die aggressivste Variante bevorzugen. Hier kauft man jeweils zum Monatswechsel immer nur die stärkste der elf Marktgruppen, was in unseren Testreihen die mit Abstand beste Rendite brachte. Allerdings ist das Risiko bei nur ein oder zwei ETFs deutlich höher als bei drei oder vier. Frappierenderweise sind jedoch selbst die beiden aggressivsten Varianten resistenter gegen Stress an den Märkten als eine sogenannte Benchmark (Vergleichsindex) aus 60 Prozent US-Aktien und 40 Prozent Anleihen.

Die Strategie, nur auf die stärkste Marktgruppe zu setzen, hätte in den zurückliegenden 18 Jahren zu einer Rendite von mehr als 1500 Prozent geführt - bei insgesamt 159 Trades, also etwa neun pro Jahr. Berücksichtigt man 0,25 Prozent Gebühren pro Trade, würde sich die Rendite realistischerweise um etwa zwei bis drei Prozent pro Jahr reduzieren. Zur praktischen Umsetzung haben wir elf in Deutschland zugelassene ETFs herausgesucht und in der Tabelle oben auf dieser Seite nach der relativen Stärke und der Stetigkeit des Anstiegs sortiert. Auffällig ist derzeit die Stärke der Industriemetalle und der Aktien, vor allem aus Schwellenländern.