Das "Wall Street Journal" hatte vor einigen Tagen einen längeren Artikel zum Thema Rezession im Blatt. Beim Lesen der Zeilen konnte einem angst und bange werden, da dort ein böses Ende unausweichlich schien. Die Entwicklungen am US-Arbeitsmarkt waren ein Argument (steigender Lohndruck), ebenso der Aktienmarkt selbst (zu schnell gestiegen, zu teuer). Klar ist, dass eine Rezession tatsächlich schlecht wäre für die Börsenentwicklung, ging doch in der Vergangenheit ein massiver wirtschaftlicher Abschwung immer Hand in Hand mit fallenden Kursen. Fraglich ist aber, ob die US-Zeitung zu Recht ein so düsteres Szenario zeichnet.
Letztlich muss man viele Indikatoren im Blick behalten, um eine solche Aussage zu wagen. Und auch dann ist man vor einem kolossalen Irrtum alles andere als gefeit - wer besitzt schon eine Glaskugel, um die Zukunft vorherzusagen?
Dennoch ist es hilfreich, insgesamt sieben Indikatoren regelmäßig auf Warnsignale hin zu überprüfen: Am Kapitalmarkt sind dies die Renditen der Unternehmensanleihen, die Zinsstruktur insgesamt und die Entwicklung der Geldmenge. Was die Konjunktur angeht, sollte man als Anleger die Bautätigkeit im Blick behalten, dazu die privaten Immobilieninvestments und den Einzelhandelsumsatz. Und last not least sind die Unternehmensgewinne von großer Bedeutung.
Wer diese Checkliste derzeit durchgeht, erhält ein gemischtes Ergebnis - was ja eigentlich auch nicht anders zu erwarten war, angesichts des nun doch schon lang anhaltenden Aufschwungs. Positiv fällt die Entwicklung der Einzelhandelsumsätze auf. Und das sowohl in den USA als auch in Europa sowie in etlichen aufstrebenden Regionen der Welt. Offen gesagt fällt es schwer, eine Rezession am Horizont aufziehen zu sehen, solange dies so ist. Grund für den steigenden Konsum ist die tendenziell positive Entwicklung am Arbeitsmarkt und bei den Löhnen.
Ebenfalls noch positiv zu werten ist die Entwicklung der Unternehmensgewinne - auch wenn es bisweilen unwahrscheinlich scheint, dass hier weitere Steigerungen gegenüber den zuletzt veröffentlichten Rekordzahlen möglich sind. Doch die Prognosen sehen tatsächlich danach aus.
Nicht mehr ganz so eindeutig ist es jedoch mit den Indikatoren, die der Kapitalmarkt liefert. Die Zinsstrukturkurve beispielsweise ist zuletzt immer flacher geworden. Wenn sich die Zinsen am langen und am kurzen Ende annähern, dann war das in der Vergangenheit immer ein Warnsignal für eine schwächere Konjunktur. Beeinflusst hat die Zinskurve sicher auch das laute Nachdenken der EZB über das Beenden der Anleihekäufe. Vielleicht haben die Märkte da aber etwas überreagiert. Der Indikator ist daher als noch neutral zu werten, wie auch die Zahlen zum Wachstum der Geldmenge, das sich leicht abschwächt. Ebenfalls noch neutral ist die Entwicklung bei den Unternehmensanleihen. Hier gehen zwar die Renditen nach oben, aber das ist bislang noch alles im Rahmen.
Negativ zu werten sind derweil die Faktoren zum Thema Bau. Gerade in den USA scheint sich nämlich der Immobilienmarkt deutlich abzukühlen. Sowohl was den Beginn neuer Bauprojekte angeht als auch die privaten Immo-Investments, scheinen die besten Zeiten vorbei zu sein.
In Summe stehen die Indikatoren also bei "neutral". Das Rezessionsrisiko ist also noch eher gering. Insofern hat das "Wall Street Journal" - Stand jetzt - dann doch etwas übertrieben.
Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com