"Der Wirtschaftsminister macht einen guten Job", attestierte etwa Mittelstandspräsident Mario Ohoven. Auch in der Berliner Breiten Straße, wo mit BDA, BDI und DIHK gleich drei Spitzenverbände sitzen, war man angetan. "Der zerreißt sich", war zu hören. Gabriel habe immer ein offenes Ohr. Inzwischen aber hat sich die Tonlage geändert: "Er ist ein armer Hund", sagte jüngst etwas mitleidig Außenhandelspräsident Anton Börner nach Gabriels Ausfällen gegen die EU-Kommission im Streit über das EU-Handelsabkommen Ceta. Gabriels Problem sei, Chef einer Partei zu sein, der die Wirtschaft nicht am Herzen liege.

Kollegen von Börner urteilen noch härter. "Der muss sich endlich entscheiden, ob er vorrangig Wirtschaftsminister oder SPD-Parteivorsitzender ist", mosert ein Spitzenmann aus der Unternehmenswelt. Die Balance zwischen den Verpflichtungen aus beiden Ämtern gehe mit dem herausziehenden Wahlkampf zunehmend verloren - zu Ungunsten der Wirtschaft. "Das macht uns nervös", schildert der Wirtschaftsmann die Stimmung. Gabriel, so lautet der Vorwurf, folge immer häufiger populistischen Stimmen im Volk und wirtschaftskritischen Strömungen in der eigenen Partei.

Als Beispiel wird auf Gabriels lavieren in Sachen Vermögenssteuer und auf seine aggressiven Angriffe auf die EU-Kommission im Streit über das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (Ceta) verwiesen. Auch in Hinblick auf die noch wichtigere und umstrittenere Handelsvereinbarung TTIP mit den USA trauen viele Gabriel nicht mehr so recht. Der setzt nämlich, unter dem Druck von TTIP-Ablehnern in den eigenen Partei-Reihen, schon lange nicht mehr auf eine schnelle Einigung, spricht öffentlich von einer "Sackgasse", in der man stecke, und warnt schon mal, TTIP könne bald "tot" sein. Auch Gabriels Ruf, nach dem Brexit-Votum der Briten müsse man EU-weit mehr Staatsgelder investieren, um soziale Ungleichheit und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, löst in der Wirtschaft böse Befürchtungen aus: Es könnten neue Belastungen drohen.

BRÜDERLE - WIRTSCHAFTSMINISTER KEIN AMT FÜR EINEN SPD-CHEF



Allerdings: so richtig herauswagen mit der Kritik will sich noch kaum jemand Prominentes aus dem Unternehmerlager. Denn es gibt schließlich auch viele Felder, in denen sich Gabriel für die deutsche Wirtschaft starkgemacht hat - mehr als Kanzlerin Angela Merkel, wie mancher anmerkt. So reiste Gabriel, kaum dass der langjährige Atom-Streit mit dem Iran beigelegt war, mit Unternehmensvertretern schnell nach Teheran, um erste Türen für neue Geschäfte aufzustoßen. Auch in Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland, unter denen die deutsche Wirtschaft massiv leidet, gehört Gabriel zu denen, die am lautesten für Mäßigung und eine schrittweise Rücknahme der Strafmaßnahmen eintreten. Die Begünstigungen stromintensiver Firmen bei der Ökostrom-Umlage hat Gabriel mit Engagement gegen Brüssel abgesichert. Und mit Verve wirbt er seit langem dafür, die deutsche Industrie zu stärken, gerade, wenn es um den Konflikt über schärfere Klimaschutzauflagen geht.

"Ich bin nicht der Wirtschaftsminister für deutsche Unternehmen, sondern der Minister für die Wirtschaft in Deutschland", hat Gabriel einmal sein persönliches Verständnis von seinem Amt formuliert. Er war der Auffassung, dass er, wenn er etwas für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland tut, er auch etwas für die Masse der Menschen tut - nämlich für neue Jobs und mehr Wohlstand. Deshalb, so sein Argument, passten die beiden Jobs durchaus zusammen. Mit dem heraufziehenden Bundestagswahlkampf aber wird es offenbar immer schwieriger, Balance zu halten. "Er hat einen Fehler gemacht, dass er Wirtschaftsminister geworden ist", urteilt sein Vor-Vorgänger im Ministeramt, der FDP-Mann Rainer Brüderle. Für einen SPD-Mann zahle sich das einfach nicht aus, sagt der.