Von Reshma Kapadia, Barron’s. Übersetzung: Laura Markus

Nachdem er 25 Jahre lang im Investment Management bei Morgan Stanley tätig war, zuletzt als Chief Global Strategist, kam Sharma im Februar zu Rockefeller. Das Unternehmen verwaltet ein Kundenvermögen von 95 Milliarden Dollar. Sharma gründet gerade außerdem in Zusammenarbeit mit Rockefeller eine neue Investmentfirma namens Breakout Capital. Sie soll sich auf Schwellenländer und die globale Vermögensverteilung konzentrieren, Sharmas Spezialgebiet.

Sharma hat kürzlich von Miami aus - einer seiner Anlaufstellen während der Corona-Pandemie - mit Barron’s über die Herausforderungen für Unternehmen und Investoren in China gesprochen. Außerdem erklärte er, warum er chinesische Technologie-Aktien wie Alibaba und globale Luxusunternehmen meidet und warum Investoren ihre Wachstumserwartungen überdenken müssen. Es folgt eine bearbeitete Fassung des Gesprächs.

Barron’s: Wie wird sich der Krieg in der Ukraine auf die Aktienmärkte auswirken?


Ruchir Sharma: Derzeit gehen [die Anleger] davon aus, dass es sich um einen Randkonflikt handelt - und um einen langen, grausamen Krieg. Er wird die Dinge eher in Dezimalpunkten als in Prozentpunkten beeinflussen.

Ich mache mir keine Sorgen, dass sich China Russland anschließt und es zu einem dritten Weltkrieg kommt. China ist viel stärker im westlichen Finanzsystem verankert und sorgt sich viel mehr darum als [Russland]. Das schränkt Chinas Handlungsfähigkeit ein und hält sie unter Kontrolle. Außerdem ist Chinas Wirtschaft schwach - und das Land legt großen Wert auf seine Wirtschaft.

Könnte dem chinesischen Staatschef Xi Jinping eine dritte Amtszeit im Herbst verwehrt werden, wenn man die wirtschaftlichen Probleme der letzten Zeit und die Folgen der harten Corona-Lockdowns bedenkt?


Man weiß es nicht. Aber China weicht von einem seiner wichtigsten Erfolge der letzten 40 Jahre ab: Kein Staatsoberhaupt durfte länger als zwei Amtszeiten im Amt bleiben. Das hat immer zu einer Erneuerung geführt - zu einem Wechsel in der Führung. [Wenn Xi eine dritte Amtszeit bekommt,] wäre das ein großer Schritt. Ich mache mir viel mehr Sorgen darüber, dass die chinesische Wirtschaft mit der Zeit an Stabilität verlieren könnte.

Eine weitere Sorge ist Chinas Verschuldung und die Folgen des schuldenabhängigen Wachstums der letzten zehn Jahre. Xi ist sich [des Schuldenproblems] bewusst, weshalb er versucht, den Immobiliensektor einzuschränken. [Top-Wirtschaftsberater] Liu He weiß, wie verwundbar eine zu hohe Verschuldung die Wirtschaft macht und, dass frühere chinesische Imperien durch Schulden zu Fall gebracht wurden. Aber immer wenn sie die Schulden abbauen wollen, wird die Wirtschaft schwächer und sie machen noch mehr Schulden.

Sollten ausländische Investoren und Unternehmen weiterhin in China investieren?


China ist der Schwellenmarkt, der mich am wenigsten begeistert. Jeder muss sich überlegen, wie er sich außerhalb Chinas diversifizieren kann. Die Gefahr ist nicht so sehr, dass China in den Ukraine-Krieg einsteigt oder mit Taiwan in Konflikt gerät. Das sind unvorhersehbare Risiken. Meine Hauptsorge sind die Probleme, die das chinesische Wachstumsmodell mit sich bringt. Die demografischen Herausforderungen sind real: Chinas Bevölkerung schrumpft zum ersten Mal in der Geschichte. Wenn das passiert, kann keine Wirtschaft in nennenswertem Tempo wachsen. China wird es schwer haben, auch nur annähernd ein Wachstum von fünf Prozent zu erreichen.

Wie geht es mit der Globalisierung in diesem Umfeld weiter?


Es sind mehr bilaterale und regionale [Handels-]Abkommen zu erwarten. Nehmen Sie zum Beispiel Indien: Die Vereinigten Arabischen Emirate sind einer der größten Handelspartner des Landes, und die Beziehungen zu Saudi-Arabien werden immer enger.

Selbst bei der Digitalisierung werden wir eine Verlangsamung der Globalisierung erleben, weil es jetzt ein viel stärkeres Nationalbewusstsein gibt [und die Länder] wollen, dass die Daten im eigenen Land bleiben. Alle Bereiche der Globalisierung sind bedroht.

Wir werden auf die Pandemie und den Einmarsch in die Ukraine als den Beginn einer sehr großen Veränderung in der Weltwirtschaft zurückblicken. Niemand wird sein Geschäft [in China] aufgeben und sich ins eigene Land zurückziehen; dazu ist zu viel investiert worden. Aber bei jedem noch so kleinen Schritt wird es darum gehen, Lieferketten in stärker gestreuten Gebieten zu haben, die sicherer sind. Das wird sich in den Gewinnspannen und Erträgen bemerkbar machen, und zwar nicht in ein oder zwei Quartalen, sondern vielleicht in 10 bis 20 Quartalen.

Was heißt das für Anleger?


Die Gewinnspannen sind weltweit unter Druck. Der Silberstreif am Horizont: Die Ungleichheit verbessert sich vielleicht allmählich. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich das Machtverhältnis zugunsten der Arbeitnehmer verschieben, weil die Unternehmen jetzt näher am Heimatort produzieren müssen und mehr über sichere Arbeitskräfte als über die billigsten Arbeitskräfte nachdenken.

Wer sind die Gewinner und Verlierer?


Einige globale Luxusaktien könnten bald ihren Höchststand erreichen, da die Ära der Vermögenssteigerung durch die Vermögenspreisinflation abklingt. Stattdessen könnten sich Unternehmen für Massenkonsumgüter, die sich mehr auf das untere bis mittlere Segment ausrichten, deutlich besser entwickeln, da die Verhandlungs- und Lohnmacht [dieser Gruppe] zunimmt.

Chinesische Aktien, insbesondere Internetunternehmen wie Alibaba und Tencent, sind abgestürzt. Wollen Sie dennoch chinesische Aktien besitzen?


Ich werde immer noch in China investieren, aber ich möchte meinen Anteil dort aufgrund der wirtschaftlichen Risiken niedrig halten. Ich bin nicht begeistert von den chinesischen Tech-Unternehmen. Ihre Geschäftsmodelle sind dauerhaft geschädigt. In den Trümmern können wir jedoch einige chinesische Qualitätsaktien finden, zum Beispiel Haidilao. Aber die Zukunft der nächsten zehn Jahre gehört den kleineren Ländern. Die USA und China sind in den Portfolios zu stark vertreten.

Die Ausrichtung auf die USA hat sich für die Anleger in den letzten zehn Jahren bewährt. Warum sollte man diversifizieren?


In jedem Jahrzehnt gibt es ein neues Anlagethema, das die Welt beherrscht: In den 1980er-Jahren war es Japan, das 1989 50 Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung ausmachte. In den 1990er-Jahren war es die US-Tech-Branche. Vor zehn Jahren konnte man gar nicht genug von den Schwellenländern bekommen und stürzte sich auf die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), weil man sie für die Zukunft der Welt hielt. Ich hatte angekündigt, dass die USA die Comeback-Nation sein würden. Der US-Aktienmarkt verdreifachte sich, und bei den Schwellenländern hat sich nichts getan. Jetzt habe ich das Gefühl, dass das Gegenteil der Fall sein wird.

Die USA machen 62 Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung aus, aber nur 26 Prozent der Weltwirtschaft. Die Marktkapitalisierung der Schwellenländer liegt bei elf Prozent und ihre Wirtschaftsgröße bei etwa 35 Prozent. Die Anleger investieren hier viel zu wenig.

Die Schwellenländer sind nicht immun gegen die wirtschaftlichen Herausforderungen. Wo bieten sich die besten Chancen?


Die Wachstumserwartungen müssen überall zurückgeschraubt werden, denn alle Volkswirtschaften stehen vor den gleichen Herausforderungen: Deglobalisierung, Demografie und höhere Zinsen in einer Zeit, in der die Schulden weltweit hoch sind. Dennoch gibt es relative Gewinner. Indien kann beispielsweise gut abschneiden, aber der neue Maßstab für Erfolg ist ein Wachstum von über fünf Prozent und nicht wie bisher sieben bis acht Prozent.

Der beste Indikator für die Performance der Schwellenländer sind die Rohstoffpreise. Die 1970er waren die besten Jahre für die Schwellenmärkte - noch bevor es den MSCI-Index überhaupt gab. Wenn man eine grundsätzlich bullishe Einstellung zu Rohstoffen hat, sollte sich das normalerweise in einer guten Performance der Schwellenländer widerspiegeln.

Ich mag Indonesien und Unternehmen wie [den Mischkonzern] Astra International und die Bank Central Asia, eine erstklassige Bank mit starken Initiativen im digitalen Bereich. Mir gefällt auch Brasilien mit Unternehmen wie Petrobras und Vale und ein Großteil Lateinamerikas, das mit steigenden Rohstoffpreisen besser dasteht.

Was ist neben Rohstoffen noch attraktiv?


Die Diversifizierung weg von der chinesischen Produktion kommt Vietnam, Bangladesch und möglicherweise auch Indonesien zugute. In den Industrieländern wird die Digitalisierung zwar zu sehr gehypt, doch in den Schwellenländern steht sie noch am Anfang.

Indien kann davon stark profitieren. Dank besserer Technologie und digitaler Infrastruktur erreicht die Unterstützung der Regierung die Armen auf eine Weise, wie es früher nicht möglich gewesen wäre. Ein Gewinner des digitalen Wandels: Bharti Airtel. Das sind die kleinen Veränderungen, die in Indien, Indonesien und anderswo stattfinden. Ich kenne 50 Qualitätsunternehmen in Schwellenländern außerhalb Chinas mit einer Marktkapitalisierung von mehr als einer Milliarde Dollar, bei denen man auf diesen Trend setzen kann.

Wie werden sie bewertet?


Qualitätsunternehmen in Schwellenländern werden mit einem massiven Abschlag gegenüber denen in Industrieländern gehandelt, mit Chancen in den Bereichen Konsum und Technologie, abgesehen von Big-Cap-Technologiewerten. Von den 200 Volkswirtschaften der Welt werden mehr als 150 als Schwellenländer bezeichnet.

Was müssen Anleger über den US-Dollar wissen?


Die durchschnittliche Laufzeit einer Reservewährung beträgt in der Regel etwa 100 Jahre. Der US-Dollar ist seit etwa 100 Jahren eine Reservewährung. Davor war es das britische Pfund. Ein Blick auf das Netto-Auslandsvermögen des Dollars zeigt, wie hoch die Schulden der USA im Ausland sind: Die Nettoschulden der USA gegenüber dem Ausland belaufen sich derzeit auf etwa 16 Billionen Dollar. Das entspricht etwa 70 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts. In der Vergangenheit war ein Wert von über 50 Prozent ein Zeichen für Probleme mit der Landeswährung. Der US-Dollar wirkt überstrapaziert.

Aus wirtschaftlicher Sicht haben die Sanktionen gegen Russland Zweifel am US-Dollar-Standard geweckt. Der Renminbi hätte ein guter Nachfolger sein können, aber Chinas Finanzsystem ist zu fragil und seine Konten sind nicht konvertierbar. Heute gibt es keine Alternative, aber es tut sich langsam was.