Stefan Bielmeier: So könnte eine Brexit-Einigung im Dezember aussehen
· Börse Online RedaktionSomit bleibt für Premierministerin May und den EU-Regierungschefs eigentlich nur weiterverhandeln, bis man sich auf einen Kompromiss geeinigt hat. Ein ungeregelter Brexit wäre für alle Länder sicherlich das schlechteste Ergebnis ist aber denoch weiterhin nicht gänzlich auszuschließen. Insbesondere ein Bruch der Regierung in London könnte schnell zu einem solchen Szenario führen. In einem solchen Fall dürfte in Großbritannien eine Rezession kaum zu vermeiden sein.
Im Brexit-Verhandlungspoker läuft nun also alles auf einen "Showdown" in letzter Minute hinaus. Ich kann mir zwar nach wie vor an eine Einigung zwischen Brüssel und London vorstellen, es wird aber wahrscheinlich bis Mitte Dezember dauern, bis der Ausstiegsvertrag gänzlich "unter Dach und Fach ist". Und bis das britische Unterhaus das Gesetz endgültig verabschiedet hat, dürfte der 29. März, der Austrittstermin, nicht mehr fern sein. Dabei besteht allerdings ein erhebliches Risiko, dass die Einigung auf irgendeiner Etappe dieses Weges doch noch scheitert. Das soeben begonnene Winterhalbjahr wird daher wohl zwangsläufig von beträchtlicher Unsicherheit geprägt sein, die vor allem die Investitionsbereitschaft der Unternehmen dämpfen wird.
Trotz dieser hohen Unsicherheit hat die britische Wirtschaft erneut mit einem soliden Wachstum überrascht. Im zurückliegenden dritten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen - der höchste vierteljährliche Zuwachs seit fast zwei Jahren. Im Jahresverlauf hat sich das Wirtschaftswachstum damit sichtbar beschleunigt. Übergroßer Optimismus, dass die Wachstumsrisiken durch die Brexit-Unsicherheit vernachlässigt werden können, ist jetzt allerdings fehl am Platz. Der Wachstumsschub ist primär auf zwei Sondereffekte zurückzuführen: Die günstige Witterung während der Sommermonate, die die Bautätigkeit beflügelt hat, und kräftige Exporte, die von Vorzieheffekten profitiert haben. Mit Blick auf das hohe Risiko eines "No deal"-Brexits, der den britischen Außenhandel im kommenden Frühjahr drastisch ausbremsen würde, beginnen sich die Handelspartner der Briten augenscheinlich, mit unverzichtbaren Produkten aus Großbritannien einzudecken.
Im laufenden vierten Quartal dürfte die britische Wirtschaft stagnieren, im kommenden Jahr sollte die Wachstumsrate kaum mehr als 1 Prozent betragen. Darauf deuten gleich mehrere Faktoren hin. Laut der monatlichen Erhebung der Wirtschaftsleistung hat die Konjunktur bereits im Verlauf des zurückliegenden Quartals deutlich abgebremst und ist damit fast schwunglos ins Schlussquartal dieses Jahres gestartet. Auch die aktuellen Stimmungsumfragen in der Industrie und im Dienstleistungsbereich lassen eine zunehmende Skepsis in der britischen Wirtschaft erkennen, die Umfrageindikatoren (Einkaufsmanagerindizes) sind zuletzt auf die niedrigsten Niveaus seit kurz nach dem Brexit-Votum gefallen. Und schließlich ist davon auszugehen, dass bald auch die britischen Unternehmen verstärkt Vorräte importieren, um für den "harten Brexit" gewappnet zu sein. Bislang ist ein wachstumsdämpfender Importsog dagegen ausgeblieben.