"Doch die Bundesregierung verweigert eine Steuersenkungsreform, diese Regierungsstarre halte ich für fatal." Im September hielt der Boom bei den Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden an - sie stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um satte 5,8 Prozent auf 68,97 Milliarden Euro, wie aus einem neuen Bericht des Finanzministeriums hervorgeht. Damit summierten sich die Einnahmen auf 523,4 Milliarden seit Jahresbeginn - für das Gesamtjahr wird in Deutschland ein Zuwachs um 5,3 Prozent auf insgesamt 710,5 Milliarden Euro erwartet.
Von Dienstag an tagt der Arbeitskreis Steuerschätzung - die neue Einnahmeprognose für die nächsten Jahre wird dann am Donnerstag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgestellt. Und erstmals seit Jahren dürften sich auch hier die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel niederschlagen. Im Mai noch wurden rund 63,3 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen bis 2022 als zuvor erwartet prognostiziert. Nun dürften die Zahlen nüchterner ausfallen und die Zeit ständig stark steigender Einnahmen an ein Ende kommen, ist von Experten zu hören.
"Die Politik muss jetzt Reformen für die Mitte anpacken", verwies Holznagel darauf, dass man immer noch in Zeiten von Rekordeinnahmen lebe. So müsse der Solidaritätszuschlag ab 2020 komplett wegfallen - die große Koalition plant nur einen schrittweisen Abbau - und nur für 90 Prozent der bisherigen Soli-Zahler. Zuletzt hatte Scholz einen Vorstoß von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) abgelehnt, der Unternehmen um bis zu 20 Milliarden Euro im Jahr entlasten will.
"Die Politik hat den Solidaritätszuschlag immer mit den Finanzhilfen für die neuen Bundesländer verknüpft - dieser Solidarpakt II läuft Ende 2019 aus, so dass der Soli ab dem Jahr 2020 nicht mehr erhoben werden dürfte", betonte Holznagel. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, den Soli für alle Bürger und Betriebe komplett abzuschaffen. "Schon seit Jahren bringt der Soli dem Bund viel mehr Geld ein, als er für den Aufbau Ost ausgibt." Damit vor allem die Mittelschicht spürbar entlastet werde, müsse zudem der Einkommensteuertarif reformiert werden, sagte Holznagel. "Während die durchschnittlichen Bruttolöhne von 2010 bis 2018 um rund 25 Prozent gestiegen sind, wurde die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz nur um 3,9 Prozent angehoben."
Dass selbst Durchschnittsverdiener nahe an den Spitzensteuersatz herankommen, sei "absolut indiskutabel". Für eine echte Entlastung sollte der Steuertarif abgeflacht werden und der Spitzensteuersatz erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 80 000 Euro greifen. Derzeit liegt die Grenze für Ledige bei knapp 55 000 Euro./ir/DP/zb