V-FORM
Das galt bis vor kurzem noch als die wahrscheinlichste Entwicklung: ein steiler Absturz, dem sich nach kurzer Zeit eine ebenso rasche Erholung anschließt. In Deutschland hat es das zuletzt während der Finanzkrise 2009 gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch diesmal so kommen wird, ist allerdings mit der Ausbreitung des Virus von China und anderen asiatischen Ländern auf Europa und die USA stark geschrumpft. Zunächst sah es so aus, also ob die Coronakrise im wesentlichen auf die Volksrepublik beschränkt bleiben würde.
Dort haben drastische Maßnahmen der Regierung - die beispielsweise die Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan abgeriegelt hat - zu einem Einbruch von Industrie, Einzelhandel und Investitionen in den ersten beiden Monaten des Jahres geführt. Aber seit Tagen gehen die Neuinfektionen deutlich zurück, immer mehr Regionen kehren schrittweise zur Normalität zurück, die Fabriken fahren ihre Produktion allmählich wieder nach oben.
Da China der wichtigste Handelspartner Deutschlands ist mit einem Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro jährlich, hätte die hiesige Wirtschaft diese Entwicklung wohl nachgezeichnet: erst ein Absturz, dann eine schnelle Erholung - ein Verlauf wie ein V. Doch daraus dürfte nun nichts werden, denn längst hat sich das Virus in anderen Regionen ausgebreitet, in Europa vor allem in Italien, aber auch in Deutschland selbst. "Ein V wird es nicht", sagt deshalb Alexander Krüger, Chefvolkswirt des Bankhauses Lampe. "Das ist komplett vom Tisch."
U-FORM
Ein drastischer Absturz, gefolgt von einer Phase der Stabilisierung auf einem allerdings sehr niedrigem Niveau, der sich nach einer kleinen Pause ein rascher Aufschwung anschließt. Dieser Verlauf gilt unter Experten inzwischen als viel wahrscheinlicher als ein V. "Allerdings mag sich dieses U zunächst wie ein I anfühlen, weil die Konjunktur steil nach unten fährt, dann wie ein L, wenn die Wirtschaft einen Boden findet, die künftige Entwicklung aber noch für einige Zeit mit großen Unsicherheiten behaftet ist, und erst dann wie ein U, wenn es wieder nach oben geht mit dem BIP-Wachstum", prognostiziert Joachim Fels, Chefökonom der Fondsgesellschaft Pimco.
Seine Argumente: Der plötzliche Einbruch von Produktion und Nachfrage in China kommt verzögert im Rest der Welt an und wird hier etwa auf die Exporte durchschlagen. Da wegen der Eindämmungsmaßnahmen und des Angst-Faktors auch die Nachfrage nach Dienstleistungen - Reisen, Tourismus, Messen, Unterhaltung und Events, Restaurantbesuche - einbricht, dürfte sich der Abschwung verschärfen. Erst wenn diese Unsicherheit schwindet, sollte es wieder nach oben gehen.
"Wir gehen davon aus, dass sowohl das erste Quartal 2020 als auch das zweite Vierteljahr einen erheblichen Rückgang der Wirtschaftsleistung aufweisen werden", heißt es in einer Analyse der DZ Bank. "Ob sich dann bereits im Sommer eine konjunkturelle Erholung einstellen kann, hängt vom Verlauf der Infektionswelle und den weiteren politischen Entscheidungen ab."
W-FORM
Ein steiler Absturz, dem eine Erholung folgt, die aber rasch wieder endet und erst nach einem zweiten Absturz in einen kräftigen Aufschwung mündet - das sind die Kennzeichen für diesen Konjunkturverlauf. Den könnte es beispielsweise geben, wenn die Infektionen weltweit in den kommenden Wochen eingedämmt und die Konjunktur danach mit Hilfe von staatlichen Konjunkturprogrammen und der Politik des billigen Geldes der Zentralbanken wieder Fuß fassen sollte. Kommt aber im Spätsommer, Herbst oder Winter das Virus weltweit zurück, könnte die Konjunktur ein zweites Mal einbrechen. Erst wenn wirksame Medikamente und eine Impfung im kommenden Jahr zur Verfügung stehen, könnte die Grundlage für eine dauerhafte Rückkehr zu gesunden Wachstumsraten gelegt werden.
L-FORM
Das ist der Alptraum, den Politik und Notenbanken unbedingt verhindern wollen: ein kräftiger Absturz, dem sich eine lange Phase der Stagnation auf niedrigem Niveau anschließt. Dass das nicht ausgeschlossen ist, zeigen die pessimistischen Erwartungen von Anlegern und Analysten. Sie nahmen ihre Bewertungen für die deutschen Konjunkturaussichten in den kommenden sechs Monaten im März so stark zurück wie noch nie seit Beginn der Umfrage des Mannheimer ZEW-Instituts im Dezember 1991. "Für die Konjunktur stehen die Signale auf Rot", sagt ZEW-Präsident Achim Wambach. "Deutschland kommt zum Stillstand", pflichtet der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel, bei. "Jetzt breitet sich das Coronavirus auch in den Betrieben aus, was zu einem flächendeckenden Produktionsstillstand führen kann. Das ist gewaltig."
Dass ein L eine mögliche Variante ist, macht auch eine Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) deutlich. "Es könnte zwei Jahre dauern, bis ein Großteil der Bevölkerung COVID-19 durchgemacht hat, immun ist und die Infektionen stoppen", sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Welchen Effekt die aktuellen drastischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben und ob es gelingt, die Verbreitung des Virus massiv abzubremsen, werde erst in etwa zwei Wochen sichtbar. "Das Virus wird uns aber noch länger beschäftigen, und es ist klar, dass getroffene Maßnahmen überprüft und angepasst werden müssen", betont Wieler.
rtr