Der Ölpreis geht durch die Decke, und an den Tankstellen bilden sich aus Angst vor noch höheren Benzinkosten Autoschlangen. Der russische Angriff auf die Ukraine und die damit einhergehenden Sanktionen der westlichen Staatengemeinschaft haben eine Rally bei den Preisen für Energierohstoffe ausgelöst. Kostete ein Fass Rohöl der Sorte Brent zum Jahreswechsel etwas über 70 US-Dollar, erreichte der Preis in der Spitze 139 US-Dollar. Schnell auf die alten Niveaus dürften die Preise fürs Erste nicht wieder sinken.
Es sind mehrere Faktoren, die die Kosten für Energierohstoffe treiben. Die USA und Großbritannien etwa wollen die Ölimporte aus Russland stoppen. Insgesamt macht dies nur etwa 15 Prozent der gesamten Ölexporte aus Russland aus. Zwar scheint ein Energieembargo der EU, die deutlich stärker auf die Lieferungen angewiesen ist, erst mal vom Tisch. Gleichzeitig haben aber viele westliche Unternehmen aufgrund des erhöhten öffentlichen und politischen Drucks selbst reagiert und verzichten freiwillig auf den Kauf russischen Öls.
Öl aus Russland geht nun nach China oder Indien
Doch ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Rohstoff einen Weg in den Markt bahnt. Aktuell scheint es, als würde russisches Öl verstärkt nach Indien und China exportiert. Im Gegenzug steht das Öl, das die beiden Länder sonst importieren, Europa zur Verfügung. Unter dem Strich gibt es trotz der Preissteigerungen gute Gründe für die Annahme, dass der Markt bis auf Weiteres gut versorgt ist. Durch die Vielzahl von Tankern und Pipelines existiert zudem weltweit eine ausreichende Infrastruktur, um den Rohstoff dorthin zu bringen, wo er benötigt wird. Die Frage, welche weiteren Ölsanktionen gegen Russland ausgesprochen werden, ist deshalb gar nicht mehr so relevant. Denn die Auswirkungen auf das globale Ölangebot sind begrenzt. Ein umfassendes Embargo aus Europa hätte wohl nur kurzfristige Einschränkungen zur Folge.
Anders ist die Lage beim Erdgas. Dieser Markt ist stärker regional organisiert, da es weltweit an der nötigen Infrastruktur mangelt. Es existieren einfach nicht genügend Flüssiggas-Schiffe, -Terminals und -Pipelines, um das Erdgas in großen Mengen zu befördern. Deutschland beispielsweise verfügt über kein einziges Flüssiggas-Terminal. Zudem ist der Bedarf in Europa an russischem Gas erheblich. Es besteht also durchaus eine kritische Abhängigkeit. Die Erdgaslager in Europa reichen für eine Versorgung über den Sommer. Mit einem Embargo auf russisches Gas würde aber der Aufbau der Lager für den nächsten Winter ausbleiben. Engpässe wären die logische Folge.
Die Politik steckt daher in einem Dilemma. Die EU plant zwar, ihre Energie-Importe aus Russland bis Ende 2022 um zwei Drittel zu reduzieren. Aber: Der Umfang scheint doch sehr optimistisch geplant. Hinzu kommt vor allem für Deutschland ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Der Verzicht auf russisches Gas wäre sehr kostspielig. Schon beim jüngsten Anstieg der Benzinpreise ging ein Aufschrei durch das Land. Ob die Bevölkerung trotz aller gerechtfertigten moralischen Entrüstung über den Krieg längerfristig deutlich höhere Energiekosten mittragen würde, darf daher zumindest infrage gestellt werden.
Neben den Energierohstoffen haben in letzter Zeit auch andere "Commodities", die in großen Mengen in Russland produziert werden, erhebliche Preisanstiege verzeichnet. Dazu zählen etwa Industriemetalle wie Aluminium, Nickel und Palladium. Nickel wurde nach heftigen Preisanstiegen sogar für eine Woche vom Handel ausgesetzt. Auch der Preis für Weizen steigt. Die Ukraine zählt zu den großen Exporteuren von Getreide. Die Ernte dürfte aber in diesem Jahr aus naheliegenden Gründen schlecht ausfallen.
Schon die Förderung von Rohstoffen braucht Öl und Gas
Hinzu kommt ein zu selten beachteter Transformationseffekt: Wenn der Preis für Energierohstoffe steigt, dann zieht er in der Regel alle anderen Rohstoffe mit nach oben. Denn schon für deren Produktion, Förderung und Transport, sei es etwa Weizen oder Aluminium, wird Energie benötigt, die sehr häufig über Öl und Gas bereitgestellt wird. Steigen diese Kosten für den Minenbetreiber oder den Bauer, wird das in der Regel auf den Verkaufspreis umgelegt. Die erhöhten Rohstoffpreise begleiten uns daher noch eine Weile - auch wenn die Märkte nun begonnen haben, sich vom anfänglichen Schock zu erholen, und weitere Ausschläge nach oben ausbleiben sollten.
Thomas Benedix
Senior Portfoliomanager Rohstoffe bei Union Investment
Als Functional Head of Commodities vereinbart Benedix die Fundamentalanalyse sowie die Entwicklung der Investmentstrategien im Rohstoffsektor. Seine Preisprognosen und Investmentsignale dienen als Inputfaktor u. a. für die Rohstofffonds. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit aktuell rund 430 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.