Die Deutschen sind (Europa-)Meister im Sparen. Von allen Ländern der Europäischen Union, mit Ausnahme Luxemburg, weisen die deutschen Haushalte die höchste Sparquote auf. In den vergangenen zehn Jahren legten sie rund 18 Prozent ihres verfügbaren Bruttoeinkommens zur Seite, weit mehr als der europäische Durchschnitt von 12,5 Prozent. Doch trotz der fleißigen Sparbemühungen und hoher Einkommen bleibt das deutsche Gesamtvermögen im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen deutlich hinter dem der Nachbarländer zurück. Die Ursachen sind zum einen historisch bedingt: Zwei Kriege, Hyperinflation und Währungsreformen haben große Teile des Vermögens zunichtegemacht. Zum anderen beeinträchtigte das sozialistische System in der DDR die Schaffung von Wohlstand.

Eine weitere Erklärung liefert ein Blick auf die Vermögensbilanz. Die beliebtesten Anlageformen der deutschen Haushalte sind und bleiben Giro- und Sparkonten. Rund 40 Prozent des finanziellen Vermögens wurden Ende des ersten Quartals 2021 in Bargeld und Bankeinlagen gehalten. Knapp dahinter reihten sich Renten- und Lebensversicherungen mit einem Anteil von 34 Prozent ein. Auf Aktien und Investmentfonds entfiel knapp ein Viertel des Finanzvermögens. Für einen nachhaltigen Vermögensaufbau ist diese Allokation jedoch nur wenig geeignet. Denn bedingt durch die anhaltend expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) fiel der Zins auf Bankeinlagen in den vergangenen Jahren stellenweise unter die Null-Prozent-Schwelle.

Berücksichtigt man zusätzlich die (damals noch moderate) Inflation, lieferten Bankeinlagen seit 2016 regelmäßig eine negative reale Rendite. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Anleihen, deren reale Rendite laut Berechnungen der Bundesbank seit Mitte 2015 nahezu durchgängig negativ war. Auch für Versicherer und Pensionsfonds führte das anhaltende Zinstief zu Schwierigkeiten, die versprochenen Erträge zu erwirtschaften. So lag die laufende Verzinsung - also Garantiezins und Überschussbeteiligung - von Lebens- und Rentenversicherungen Anfang des Jahres nur noch bei zwei Prozent.

Demgegenüber stehen Aktien und Investmentfonds. Auf einen langen Anlagehorizont weisen diese eine deutlich positive Rendite auf. Beispielsweise konnte man mit einer Investition in den DAX im Zeitraum von 1990 bis 2020 eine jährliche Rendite von acht Prozent erreichen. Angesichts der durchschnittlichen Inflationsrate von knapp 1,7 Prozent konnten Anlagen in den deutschen Aktienmarkt das Vermögen auch real gesehen signifikant mehren. Im Gegensatz zu den Deutschen sind die europäischen Nachbarn deutlich chancenorientierter ausgerichtet. Zieht man nur die am weitesten entwickelten Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien heran, liegt der Durchschnitt mit etwa 34 Prozent ganze zehn Prozentpunkte über dem deutschen Mittel.

Wie lässt sich diese "fatale Sparbuchkultur", wie der Ökonom Daniel Stelter das deutsche Sparverhalten kürzlich bezeichnete, erklären? Erstens wurden in der Vergangenheit Fehlanreize durch die Politik gesetzt. Der überwiegende Teil der staatlich geförderten Riester-Verträge wurde als gering verzinste Rentenversicherung abgeschlossen. Andere Länder machen das besser. Beispielsweise gibt es in Italien und Frankreich steuerlich begünstigte Sparpläne, die gezielte Investitionen in Aktien europäischer Firmen ermöglichen. Zweitens gibt es in Deutschland in Sachen finanzielle Bildung Nachholbedarf. Eine repräsentative Umfrage der ING-DiBa kam zu dem Ergebnis, dass rund 50 Prozent der Deutschen noch nie Finanzbildung erhalten haben. Insbesondere Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen können deswegen im doppelten Sinne schlechter gestellt sein: Zum einen haben sie ein geringeres Einkommen, zum anderen legen sie dieses mangels Finanzwissen weniger profitabel an. Drittens scheuen viele das Risiko von Aktieninvestments - auch wegen negativer Erfahrungen. So nahm die Bereitschaft der deutschen Haushalte, in Wertpapiere zu investieren, nach dem Dotcom-Crash um die Jahrtausendwende stetig ab.

Tatsächlich ist die höhere Rendite von Aktien eng mit einem höheren Risiko verknüpft. Nicht umsonst wird der Aufschlag auf einen risikolosen Zins als Risikoprämie bezeichnet. Anleger, die mehr als einen Inflationsausgleich suchen, müssen daher gewisse Schwankungen im Vermögensaufbau in Kauf nehmen.

 


Thomas Romig

ist Geschäftsführer der Assenagon Asset Management S. A. und verantwortet den Bereich Multi Asset Portfolio Management. Zuvor hatte der DVFA-Investmentanalyst den Bereich Multi Asset Management bei Union Investment geleitet. Die von ihm verantworteten Fonds erhielten mehrfach Auszeichnungen von bedeutenden Ratingfirmen wie Morningstar, Feri, Lipper, Citywire und Fondsconsult.


Exklusiv in BÖRSE ONLINE schreiben renommierte Finanzexperten und Investmentprofis über Börse und Geldanlage. Weitere Gastbeiträge finden Sie unter: www.boerse-online.de/meinungen-und-perspektiven