Am Mittwoch ist bekannt gegeben worden, dass die Inflation in der Türkei auf sehr hohem Niveau weiter angezogen hat. Im Juli stiegen die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 79,6 Prozent, wie das nationale Statistikamt in Ankara mitteilte. Analysten hatten mit einer noch höheren Inflationsrate von im Schnitt 80,2 Prozent gerechnet. Im Vormonat hatte die Inflationsrate 78,6 Prozent betragen.
Wie erheblich der Preisdruck auf vorgelagerten Wirtschaftsstufen ist, zeigen die Produzentenpreise. Sie stiegen im Juli um gut 144 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, nach rund 138 Prozent im Monat zuvor. Die Erzeugerpreise liegen also mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Die Herstellerpreise beeinflussen die Lebenshaltungskosten der Verbraucher in der Regel mittelbar und mit Zeitverzug.
Importierte Güter immer teurer
Die Inflation in der Türkei wird durch mehrere Faktoren getrieben. Seit längerem sorgt die schwache Landeswährung Lira für Preisauftrieb, da sie in die Türkei importierte Güter Wechselkurs-bedingt verteuert. Hinzu kommen Probleme in den internationalen Lieferketten, die Vorprodukte teurer machen. Außerdem steigen die Preise von Energie und Rohstoffe - vor allem wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine.
Anders als viele andere Zentralbanken stemmt sich die türkische Notenbank gegen die Entwicklung nicht mit Zinsanhebungen. Fachleute nennen als Grund politischen Druck. Trotz der inzwischen höchsten Inflationsrate seit 24 Jahren hält die türkische Notenbank den Leitzins stabil bei 14 Prozent, hatte die Zinsen im vergangenen Jahr sogar mehrfach gesenkt.
Die Lira befindet sich seit Jahren auf Talfahrt, hatte allein im vergangenen Jahr im Vergleich zum Dollar 44 Prozent an Wert eingebüßt. Die Talfahrt geht auch in diesem Jahr mit einem Kursrutsch von inzwischen rund 28 Prozent weiter. Die Preise im türkischen Transportsektor, wozu auch Benzin gezählt wird, kletterten im Juli besonders kräftig um 119 Prozent. Lebensmittel und alkoholfreie Getränke verteuerten sich um 94,6 Prozent.
Spekulanten könnten Lira weiter schwächen
Und der Absturz der Lira könnte sich noch beschleunigen. Gerade hat die Währung auf Schlusskursbasis bereits einen neuen Negativrekord erreicht (siehe Chart). Andersherum bekommt man für einen Dollar am Donnerstag 17,97 Lira. Wird auch die psychologisch wichtige 18-Lira-Marke geknackt, könnten internationale Investoren ihre Lira-Short-Positionen noch vergrößern - also auf weiter fallende Kurse wetten. Das dürfte den Lira-Kurs noch deutlicher abrutschen lassen. Gegenüber dem Euro nähert sich die Lira ebenfalls neuen Tiefständen (siehe EUR/TRY).
Die schwache Währung bringt ernstzunehmende Probleme für die Türkei. So wird etwa Strom immer teurer. Das "Handelsblatt" zitiert den türkischen Oppositionspolitiker Ahmet Akin von der republikanischen CHP: "Je stärker die Währung an Wert verliert, desto schneller rasen wir auf eine Zahlungskrise im Stromsektor zu."
Zinserhöhung eigentlich notwendig
Und von einer Zinserhöhung, die zur Eindämmung der hohen Inflation eigentlich notwendig wäre, ist weiterhin nichts zu sehen. Die türkische Zentralbank hat in den vergangenen beiden Jahren deshalb auch international an Glaubwürdigkeit in Sachen Inflationsbekämpfung eingebüßt.
Unterdessen sorgen neue Kreditregeln in der Türkei für Zwist zwischen der Zentralbank und Wirtschaftsverbänden. Die neuen Maßnahmen zur Begrenzung der Kreditvergabe an Unternehmen sind Teil der Wirtschaftspläne der Regierung, mit denen das große Leistungsbilanzdefizit des Landes wieder in einen Überschuss überführt werden soll.
Extrem teure Kredite
Rifat Hisarciklioglu, Präsident der Türkischen Union der Kammern und Börsen (TOBB), merkte an, bei einigen Banken werde bei Krediten mittlerweile ein Zinssatz von 30 bis 50 Prozent erhoben. Dagegen liege der Leitzins bei 14 Prozent und die Einlagensätze bei 20 Prozent. Behörden sollten die Nebeneffekte der Maßnahmen sehen. Durch die hohe Inflation und steigende Input-Kosten steige der Bedarf an Kapital, erläuterte er.
Notenbank-Gouverneur Sahap Kavcioglu hatte Kritik eines weiteren Verbandes zurückgewiesen und die neuen Vorschriften verteidigt. Diese würden günstige Finanzierungsbedingungen für Exporteure schaffen. "Was wir alle tun müssen, ist sicherzustellen, dass diese Kredite zielgerichtet sind und die gesündesten und richtigen Unternehmen erreichen", sagte Kavcioglu. mmr mit dpa und rtr