von Hartmut Knüppel, Vorstand des Deutschen Derivate Verbands
Stellen Sie sich einmal vor: Sie machen mit Ihrem Wertpapier
einen Gewinn von 100 Prozent und versteuern diesen Gewinn
vollständig. Ein anderes Mal machen Sie einen Verlust
von 99 Prozent und können diesen Verlust steuerlich absetzen,
sprich gegen entsprechende Gewinne gegenrechnen. Und dann
machen Sie mit einer Wertpapieranlage einen Verlust von 100
Prozent, und der Fiskus erklärt Ihnen, dass er diesen Verlust steuerlich
nicht berücksichtigen wolle und Sie diesen Verlust selber
tragen müssen. Irre? Ja, aber Realität in Deutschland.
Da von dieser absurden Regelung auch deutsche Zertifikate betroffen
sind, wenn risikobereite Anleger mit Hebel- und Knockout-
Produkten einen Totalverlust erleiden, ist der Deutsche Derivate
Verband (DDV) schon mehrfach beim Bundesfinanzministerium
(BMF) vorstellig geworden. Doch das BMF bleibt stur und
versucht, mit aberwitzigen Begründungen an einer Position festzuhalten,
die jedem normal denkenden Menschen, der ein bisschen
Sinn für Gerechtigkeit hat, wie Hohn vorkommen muss.
Bisher kamen viele Banken den Kunden, denen ein Totalverlust
ihrer Investition drohte, entgegen, indem sie beispielsweise auf
Transaktionskosten verzichteten und damit eine steuerliche Berücksichtigung
des Verlustes ermöglichten. Jetzt hat das Bundesfinanzministerium
auch diese pragmatische Lösung infrage gestellt.
So heißt es in einem Rundschreiben des BMF vom 09.12.2014:
"Eine Veräußerung liegt nicht vor, wenn der Veräußerungspreis
die tatsächlichen Transaktionskosten nicht übersteigt. Wird die
Höhe der in Rechnung gestellten Transaktionskosten nach Vereinbarung
mit dem depotführenden Institut dergestalt begrenzt,
dass sich die Transaktionskosten aus dem Veräußerungserlös
unter Berücksichtigung eines Abzugsbetrages errechnen, wird
zudem ein Veräußerungsverlust nicht berücksichtigt."
Es geht hier offensichtlich nicht um eine sinnvolle, in sich stimmige
Besteuerung, sondern nur darum, möglichst viel Steuern
einzunehmen. Einige Anleger haben sich das nicht gefallen lassen
und den Klageweg bestritten. In aller Regel mit Erfolg. Doch
auch das lässt das BMF unbeeindruckt. Das Verhalten des Fiskus
hat zudem eine politische Dimension. Die Bundesregierung und
auch das BMF, die sich öffentlich für die Förderung des Wertpapiersparens
in Deutschland stark machen, liefern mit diesem Verhalten
Sargnägel für die deutsche Wertpapierkultur.
Mit Blick auf die private und betriebliche Vermögensbildung und
eine tragfähige Altersvorsorge spielt das Wertpapiersparen -sei
es mit Aktien, Anleihen, Fonds, Zertifikaten oder Pfandbriefen -
aber eine zentrale Rolle. Bei seinen Investitionen achtet der Anleger
auch auf die Besteuerung. Wenn er etwas größere Risiken eingeht,
muss er sicher sein, dass er nicht am Ende auf seinen Verlusten
sitzen bleibt, während er seine Gewinne voll versteuert.
Wenn die Finanzverwaltung an ihrer jetzigen Position festhält,
können die Privatanleger nur noch auf den Bundesfinanzhof
(BFH) setzen. Er hat sich inzwischen auch in seinen neuesten Urteilen
so positioniert, dass ein Urteil im Sinne der Anleger zu erwarten
ist. So hat der BFH in einem Urteil vom 26.9.2012, IX R
50/09, seine frühere Rechtsprechung aufgegeben und entschieden,
dass Verluste aus dem Verfall einer Option steuerlich zu berücksichtigen
sind. Das Gebot der Gleichbehandlung des Gleichartigen
(Art. 3 Abs. 1 GG) gebiete es nicht nur, eine positive Differenz
als Gewinn im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zu erfassen,
sondern auch eine negative Differenz. Die Vorschrift, zu der
das Urteil erging, ist ohne Inhaltsänderung heute in § 20 Abs. 2
Nr. 3 EStG zu finden. Am einfachsten wäre es jetzt, wenn Abgeordnete
der Regierungskoalition dieses Thema aufgreifen und als
Legislative dafür sorgen, dass die Exekutive ihre irrwitzige Position
aufgibt. Für den Bürger machen sich Fairness und Gerechtigkeit
an konkreten Dingen des Alltags fest. Hier sollten die politisch
Verantwortlichen ihren Worten einfach Taten folgen lassen.
Hartmut Knüppel
Der promovierte Wirtschaftsingenieur war Mitbegründer der
Jugendorganisation "Junge Liberale" und persönlicher Referent
von Hans-Dietrich Genscher. Viele Jahre arbeitete er als
Geschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken. Später
war er für die Dresdner Bank tätig, zuletzt als Leiter Public
Affairs in Berlin. Seit 2008 ist Knüppel Geschäftsführender
Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV).