Vernunft und Logik haben ausgedient. Es geht um Macht und Machterhalt. Um Stolz, um Trotz, um gekränkte Eitelkeiten. Anders lässt sich die Türkei-Krise nicht beschreiben. Was den Verlauf angeht, ist der Absturz nichts Besonderes. Ähnliches gab es an anderen Orten zu anderen Zeiten auch schon: Eine einst vorbildlich funktionierende Wirtschaft läuft zu sehr auf Pump und überhitzt irgendwann. Dies zeigt das vergangene Jahr, als die Türkei mit 7,4 Prozent stärker wuchs als China. Generell und im speziellen Fall läuft dann folgerichtig die Inflation aus dem Ruder. 2017 waren es im Fall der Türkei schon elf Prozent, aktuell sind es mindestens 15 Prozent.

Unter normalen Umständen würde in so einer Situation die Notenbank eingreifen, die Leitzinsen anheben und dadurch das Kreditwachstum bremsen. Schmerzhaft, aber wirksam. Anders in der Türkei. Die Zentralbank CBRT tat nichts dergleichen - in ihren jüngsten Sitzungen wurde keine Zinserhöhung vorgenommen.

Hauptgrund: Staatschef Recep Tayyip Erdogan fordert nicht höhere, sondern niedrige Zinsen zur Inflationsbekämpfung. Bildlich gesprochen will er also Feuer mit Öl bekämpfen. Was folgt, ist nur logisch: Die Wirtschaftswelt verliert das Vertrauen, der Wert der Währung fällt, die Risikoprämien schießen in die Höhe, die Aktienkurse stürzen ab. In der Spitze verlor die Lira gegenüber dem Euro seit Jahresanfang 60 Prozent, die Renditen kletterten bei zehnjährigen Papieren auf fast 21 Prozent, und die Kurse der beiden größten Finanzinstitute, Garanti Bank und Akbank, verloren jeweils gut 50 Prozent. Manch einer befürchtet jetzt sogar den Supergau: "Das ist der klassische Weg in die Hyperinflation", sagt etwa Francis Scotland, Volkswirt beim Geldverwalter Brandywine Global. "Das Geldmengenwachstum liegt bei 24 Prozent, das Finanzministerium und die Zentralbank werden unter einem Dach konsolidiert, und der Schwiegersohn des Präsidenten wurde kurzerhand zum Finanzminister berufen. Das ist ein Weg, auf dem die normalen, sich selbst regulierenden Marktmechanismen nicht mehr funktionieren."

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Vorbild Asien-Krise



Die Regierung in Ankara will das alles nicht wahrhaben. Schuld haben andere. Die Amerikaner vor allem mit ihren Importzöllen. Dabei hat sich die Türkei-Krise seit Jahren kontinuierlich aufgebaut. "In keinem anderen Land hat sich eine solche Fülle von Problemen so lange angestaut", sagt Viktor Szabo, Investmentmanager bei Aberdeen Standard Investments.

Beispiel Verschuldung: Der private Sektor der Türkei - sowohl Haushalte als auch Unternehmen - ist aufgrund des hohen Verbrauchs und der extrem niedrigen Sparquote stark fremdfinanziert. Das Leistungsbilanzdefizit muss also vor allem via Ausland finanziert werden - in Dollar, Euro oder Yen. 250 Milliarden Dollar sollen das insgesamt sein - Rückzahlung fraglich. "Die jüngste Krise der Türkei erinnert an die Asien-Krise vor 20 Jahren", sagt Reto Föllmi, Ökonomieprofessor an der Universität St. Gallen. "Jetzt müssen türkische Unternehmen durch den Währungsverfall mehr Lira aufwenden, um ihre Darlehen in Dollar oder Euro zu bedienen. Und das wiederum bringt die einheimischen Banken in Schwierigkeiten." Die Zentralbank, die alles andere als unabhängig ist in dieser Posse, will jetzt gegensteuern, um die Währung zu stützen: Devisentauschgeschäfte türkischer Banken mit ausländischen Investoren werden eingeschränkt. Kapitalverkehrskontrollen soll es aber keine geben. Zudem haben befreundete Staaten Unterstützung zugesagt: Katar verspricht Direktinvestitionen über 15 Milliarden Dollar. Ob das reicht? Vorübergehend scheint die Lira dadurch etwas stabiler. Aber: Um die Währung nachhaltig zu stärken, muss die Notenbank die Zinssätze stark anheben. Je länger man darauf verzichtet, desto drastischer muss die Erhöhung ausfallen. Eine Rezession scheint dann unausweichlich. Geschieht aber nichts, dann steht die Türkei vor einer Abwärtsspirale, an deren Ende der Zahlungsausfall stehen könnte.

Was bleibt? Die SPD empfiehlt EU-Finanzhilfen. Russland bietet sich ebenfalls an. Und der Internationale Währungsfonds? Der würde Hilfen an harte Bedingungen knüpfen, die ein Alphatier wie Erdogan wohl eher nicht akzeptiert.

Da im Fall Türkei die Wahrscheinlichkeit also hoch ist, dass auch künftig die Verantwortlichen bar jeder Vernunft handeln, sind Investments nur etwas für Hartgesottene! Eine Möglichkeit, auf ein Comeback der Landeswährung zu setzen, ist die von der Europäischen Investitionsbank herausgegebene Lira-Anleihe. Ein Emittentenrisiko besteht nicht, da die top bewertete Bank für das eingesetzte Kapital geradesteht. Die Verzinsung ist verlockend, allerdings besteht eben auch das Risiko, dass die Lira in den kommenden Jahren weiter an Wert verliert. Wer statt Lira-Risiko lieber ein Dollar-Risiko eingeht, ist mit der Dollar-Staatsanleihe der Türkei gut bedient. Die Rendite liegt bei mehr als acht Prozent. Allerdings besteht hier das Emittentenrisiko - bei einer Staatspleite der Türkei wäre das Geld wohl weg. Also Obacht!



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Auf einen Blick: Türkei