Kaum gewählt, schon wieder raus: So erging es in der Türkei gerade Ekrem Imamoglu von der Oppositionspartei CHP, der als frisch gewählter Oberbürgermeister von Istanbul von der Wahlkommission nach wenigen Wochen wieder abgesetzt wurde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Druck gemacht - bei der Wahl sei manipuliert worden, sie müsse wiederholt werden. Ein unerhörter Vorgang in einer Demokratie. Die Reaktion der Finanzmärkte folgte prompt: Die türkische Lira geriet unter Druck, auch die Kurse der Staatsanleihen, ebenso die Aktienbörse in Istanbul. Von seinem im März dieses Jahres erreichten Hoch verlor der wichtigste Aktienindex des Landes, der BIST 100, gut 18 Prozent.

Zu den Leidtragenden gehören Unternehmen wie Erdemir, ein Hersteller von Blech und Weißblech, der inzwischen 22 Prozent unter seinem Höchststand notiert. Beim vielleicht wichtigsten Unternehmen, dem Mischkonzern Koç Holding, der mit Autoteilen, Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik allein für zehn Prozent des gesamten türkischen Exportvolumens sorgt, steht derzeit ein Minus von 15 Prozent zu Buche. Wohlgemerkt auf Lira-Basis - in Euro gerechnet sieht es deutlich schlimmer aus.

Politische Willkür


Die internationalen Beobachter sind sich einig: Die Entscheidung zur Neuwahl untergräbt das ohnehin nicht besonders ausgeprägte Vertrauen in die türkischen Institutionen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter. Politische Willkür mag kein Investor. Nirgendwo. Besonders nicht in Schwellenländern, wo Gelder dann ganz besonders schnell abgezogen werden. Ohnehin läuft es nicht mehr besonders in der Türkei: Das reale Wachstum lag im vergangenen Jahr nur noch bei 2,6 Prozent - nachdem es 2017 dank staatlicher Investitionsoffensiven noch gut sieben Prozent betragen hatte.

Derweil liegt die Inflation bei knapp 20 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei 13 Prozent. "Die Hauptursache dafür ist die fehlende Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitik", sagt Tim Ash, Schwellenländer-Stratege beim Vermögensverwalter Blue Bay. Erdogan will das nicht wahrhaben, obwohl durch die schwache Lira Importgüter erheblich verteuert werden. Auch Finanzminister Berat Albayrak - gleichzeitig Erdogans Schwiegersohn - macht in Optimismus: "Die Türkei wird, besonders bei der Inflation und der Arbeitslosigkeit, bis Jahresende deutlich besser dastehen."

Seite 2: Billiger als Russland

Billiger als Russland


Investieren will derzeit aber kaum jemand, obwohl die Börse inzwischen sehr niedrig bewertet ist. Im Schnitt liegt das KGV für die Aktien des Leitindex bei knapp unter sieben - weniger als die notorisch niedrig bewertete russische Börse. Auch ein Grund für die Zurückhaltung der Anleger ist die schwache Landeswährung. Im Vergleich zum Januar 2018 ist die Lira 35 Prozent weniger wert. Zuletzt notierte sie zum Euro mit 0,15 Euro so tief wie seit acht Monaten nicht mehr. Zum absoluten Tiefstand im August des vergangenen Jahres, als man für eine Lira nur noch etwas mehr 0,12 Euro bekam, ist es nicht mehr weit.

Das ist schmerzhaft für türkische Konsumenten, die sich von ihrem Ersparten weniger leisten können. Der Kursrückgang der Lira hat inzwischen sogar die Notenbank auf den Plan gerufen. Die Währungshüter versuchen, die Geldpolitik zu straffen und die Lira zu stützen. Wenn man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen will, dann ist es der Umstand, dass durch die Abwertung die Exporte für das Ausland günstiger werden, was die Handels- und Leistungsbilanz verbessert. Das ist auch deshalb so wichtig, weil das Defizit in der Leistungsbilanz ein wunder Punkt der türkischen Wirtschaft ist. Mit dem Defizit geht ein Kapitalimport einher, wodurch die Verschuldung gegenüber dem Ausland weiter wächst.

Was also tun als Anleger? Mal abgesehen von ethischen Bedenken ist generell Vorsicht angesagt. Allerdings gibt es auch immer wieder Gelegenheiten. Denn die Abwertung der Landeswährung ist keine Einbahnstraße. So gibt es regelmäßig Phasen, in denen die Lira erstarkt. Eine Möglichkeit, auf ein Comeback der Landeswährung zu setzen, ist die von der Europäischen Investitionsbank herausgegebene Lira-Anleihe.

Ein Emittentenrisiko besteht nicht, da die Bank für das eingesetzte Kapital geradesteht. Die Verzinsung ist verlockend, allerdings besteht eben das Risiko, dass die Lira weiter an Wert verliert. Wer lieber ein Dollar-Risiko eingeht, ist mit der Dollar-Staatsanleihe der Türkei gut bedient. Allerdings besteht hier das Emittentenrisiko - bei einer Staatspleite der Türkei wäre das Geld wohl weg. Am 23. Juni wird Ekrem Imamoglu wieder antreten und um das Amt kämpfen, das ihm entrissen wurde. Wird er erneut gewählt, könnte er auch auf Landesebene zu einem Gegenspieler von Erdogan werden. Als liberalerer Politiker der CHP vertritt er Werte, mit denen einst auch Erdogan die Herzen der Menschen erobert hatte - von denen er sich aber inzwischen längst abgewandt hat.

Seite 3: Türkei auf einen Blick

Türkei auf einen Blick