Bei den letzten Inflationszahlen für den Euroraum stießen mir ein paar Ungereimtheiten auf. Jeder weiß, dass die Ölpreise seit Anfang des Jahres deutlich nach oben gegangen sind. Gleichzeitig steigen die Löhne nach zum Teil heftigen Arbeitskämpfen besonders in Deutschland. Wer in den Geschäften einkauft, hat nicht den Eindruck es werde billiger. Und was tut die Inflationsrate? Sie ist im April gesunken und war mit -0,2 % sogar negativ. Da kann doch etwas nicht stimmen. Ich habe mir daher die Zahlen etwas genauer angeschaut - und stieß dabei auf noch mehr Überraschungen.
Zunächst zu den aktuellen Zahlen. Hier wird immer wieder gesagt, die Inflation wäre wegen der niedrigen Energiepreise zurückgegangen. Das ist falsch. Es liegt an etwas ganz Anderem. Es gibt da einen Sonderfaktor, der mich ärgert, seit ich mich mit diesen Statistiken befasse. Denn er wird immer wieder übersehen. Das sind die Pauschalreisen in Deutschland. Sie sind im März wegen des frühen Osterfestes um 10 % teurer geworden. Im April dürften sie dann wieder billiger gewesen sein. Das hat die Inflationsrate gedrückt. Pauschalreisen sind nämlich gar nicht so unbedeutend. Sie haben ein Gewicht von 2,6 % am Warenkorb. Ohne diesen Posten wäre die Inflationsrate im April nicht gefallen. Das gilt zwar in erster Linie für Deutschland, wirkt sich aber auch auf den Euroraum aus.
Man sollte also den Rückgang der Inflation im April nicht so ernst nehmen. Das ist keine Deflation. Es wird sich wieder normalisieren.
Auf Seite 2: Wichtiger sind die weiteren Aussichten
Wichtiger sind die weiteren Aussichten. Die meisten erwarten hier derzeit wenige Änderungen. Sie glauben (beeinflusst auch durch das permanente Mantra der EZB), dass die Inflation noch auf längere Zeit niedrig bleiben wird. Ich möchte da einen Kontrapunkt setzen. Unter der Oberfläche vollziehen sich nämlich ein paar Veränderungen, die am Ende zu einer höheren Inflation führen werden:
Erstens
werden die Ölpreise die Inflation in Zukunft nicht mehr so stark drücken wie bisher. Das liegt zum einen daran, dass sie vermutlich weiter nach oben gehen werden. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann wird zumindest der Vorjahresabstand immer kleiner. Am Jahresende lägen die Ölpreise um 17 % über Vorjahr, wenn der Weltmarktpreis von heute an unverändert bliebe (Grafik).Zweitens
steigen die Löhne zumindest in Deutschland deutlich an. Sie lagen zuletzt um knapp 3 % über Vorjahr. Eine solche Zunahme hat es schon lange nicht mehr gegeben. Sie ist deutlich höher als die Zunahme der Produktivität (in diesem Jahr vermutlich 0,1 %).Drittens
zieht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an, angeheizt durch die wachsenden Einkommen. Im Sommer werden die Renten in Deutschland zudem um 5 % angehoben. Die Finanzpolitik ist nicht mehr so restriktiv, allein schon wegen der Flüchtlingsströme. Umgekehrt produziert die Wirtschaft in der Bundesrepublik nahe an der Kapazitätsgrenze. Wenn die Nachfragezuwächse zu groß werden, dann werden die Unternehmen die Preise erhöhen.Darüber hinaus gibt es noch Anderes. Als Folge des Immobilienbooms gehen zum Beispiel die Baupreise nach oben. Sie lagen in Deutschland zuletzt 1,5 % über Vorjahr.
Nun soll man nicht übertreiben. Es gibt auch Gegenposten. Einer ist die Aufwertung des Euros. Sie verbilligt die Importe. Ein anderer ist die schwierige Lage in den Krisenländern, wo die Inflation nach wie vor negativ ist. Das setzt der Euroinflation Grenzen. Sie wird daher nicht dramatisch ansteigen. Ich rechne am Jahresende mit einer Rate von 1 % bis 1,5 %. Das sieht nach nicht viel aus. Aber: Es ist keine Deflation mehr. Von minus 0,2 % bis plus 1,5 % ist ein ganz schöner Weg. Und - das ist für die Märkte wichtig - der Trend weist nach oben.
Auf Seite 3: Was heißt das nun für die Zinsen?
Was heißt das nun für die Zinsen? Im Augenblick rechnen viele für den weiteren Verlauf des Jahres noch mit einer weiteren Lockerung durch die EZB. Wenn die Inflation aber so verläuft, wie ich das hier skizziert habe, dann wird es dazu nicht kommen. Die Erwartungen werden sich drehen. Ich glaube zwar nicht, dass die EZB die Zinsen erhöht. Das wäre zu früh. Auf den Märkten wird aber zunehmend die Frage diskutiert werden, was denn nach Auslaufen des Wertpapierankaufsprogrammes geschieht.
Das wirkt sich auf die Märkte bei kurzen Laufzeiten nicht aus, wohl aber bei längeren Laufzeiten. Es wäre verwunderlich, wenn die Sätze nicht nach oben gingen. Es kann dabei auch zeitweise hektischere Bewegungen geben. Im vorigen Jahr erhöhten sich die Zinsen für 10-jährige Bundesanleihen von Mitte April bis Mitte Juni um 90 Basispunkte. Die Rendite erreichte wieder fast ein Prozent. So etwas könnte ich mir im zweiten Halbjahr als Folge der höheren Inflationsraten auch wieder vorstellen. Allerdings sollte man auch hier die Kirche im Dorf lassen. In den Vereinigten Staaten haben die Kapitalmärkte auf die höheren Preissteigerungen und auf die geldpolitische Normalisierung nur sehr maßvoll reagiert. Allerdings sind die Sätze dort auch schon erheblich höher (1,80 %).
Für den Anleger
gibt es keinen Grund zur Panik. Man muss sich nicht von allen Beständen an Festverzinslichen trennen. Man weiß ja nicht, wie dauerhaft das ist. Allerdings ist es sicher nicht falsch, ein paar Umschichtungen vorzunehmen. Zum einen sollte man sich inflationsgeschützte Anleihen anschauen. Damit kann man von zunehmenden Preissteigerungsraten profitieren. Zum anderen werden Anlagen, bei denen Zinsänderungsrisiken ausgeschaltet sind, interessanter. Die Aktienmärkte wären bei einer Änderung der Inflationserwartungen verunsichert.