Für Neuemissionen war 2019 in den USA eigentlich kein schlechtes Jahr. Bei den einst hoch gehandelten Unicorns (Einhörner), also Unternehmen, die vor ihrem Börsengang bereits mehr als eine Milliarde Dollar wert waren, sah das allerdings oft anders aus. Die meisten sackten nach der Handelsaufnahme ab.

Kein Wunder, denn sie erblickten das Börsenlicht meist mit extremer Bewertung und ohne Aussichten auf kurz- oder mittelfristige Gewinne. Uber brachte etwa 80 Milliarden Dollar auf die Waage. Doch schon der erste Kurs lag drei Dollar unter dem Ausgabepreis. Am Ende des Börsentags ging das Papier mit minus acht Prozent aus dem Handel - ein erstes Indiz dafür, dass Investoren mit dem Preis nicht einverstanden waren.

Und kaum war die Lock-up-Periode, in der Altaktionäre nicht verkaufen dürfen, im November abgelaufen, ging es weiter bergab. Goldman Sachs stieß das komplette Aktienpaket ab, Gründer und Ex-Vorstands­chef Travis Kalanick trennte sich von 90 Prozent seiner Anteile. Neben Uber gingen die Kurse des Wettbewerbers Lyft und des Softwareunternehmens Slack in die Knie. Ebenso verschwand Pinterest, ein Spezialist für elektronische Pinnwände, in der Versenkung. Auch Grubhub, einem US-amerikanischen Essenslieferanten, erging es nicht besser. Allerdings ist dieses Ex-Unicorn schon länger börsennotiert.

Warmer Geldregen


Noch bis vor wenigen Monaten herrschte am Markt eine wahre Goldgräberstimmung. In Finanzierungsrunden sammelten vor allem Technologiekonzerne unglaublich viel Geld ein. Es wurde ihnen regelrecht in den Rachen gestopft. Die Folge: Laut CB Insights, einem der führenden Anbieter von Wirtschaftsdaten privater Unternehmen, gibt es weltweit derzeit 442 nicht börsennotierte Firmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar. Deren Gesamtwert soll sich auf ein Volumen von 1431 Milliarden Dollar belaufen. Vor allem die niedrigen Zinsen sorgten für den ungebremsten Geldfluss.

Ein Branchenkenner drückt es so aus: "Investoren in den USA fragten nicht, wann sie ihr Geld wiederbekommen, sie fragten, wann sie die nächste Million in die Newcomer investieren dürfen." Kurzfristig dürfte dieser Run noch anhalten - doch werden die Investoren in Zukunft genauer hinschauen, vor allem ob und wann unterm Strich nicht nur die Fantasie, sondern auch das Ergebnis passt.

Letztlich braucht es für den Erfolg eine große Portion Vertrauen. Wework, ein Vermittler von Büroimmobilien, hat es verspielt. Der Shootingstar der Szene brachte es vor dem geplanten Börsengang auf eine Bewertung von knapp 50 Milliarden Dollar. Kurz vor dem IPO stellten Investoren jedoch das Geschäftsmodell infrage. Hohe Schulden, der extrem ambitionierte Preis, eine zweifelhafte Unternehmensführung und die Fehlstarts anderer Einhörner an der Börse drückten auf die Stimmung. Um zu retten, was noch zu retten war, übernahm letztlich Großaktionär Softbank das Unternehmen und sagte den Börsengang ab.

Einhörner gab es auch vor der Jahrtausendwende, wenn auch nicht so viele. Schon damals waren Gewinne zweitrangig. So dauerte es Jahre, bis Amazon zum ersten Mal schwarze Zahlen schrieb. Und für die mittlerweile hohen Margen ist nicht das ursprüngliche Geschäftsmodell, der Onlinebuchhandel, verantwortlich, sondern die Cloud-Sparte, von der einst niemand wusste, dass es sie je geben würde. Zum Börsengang war Amazon 1,5 Milliarden Dollar wert. Mittlerweile kratzt der Konzern an der Marke von einer Billion Dollar.

Ähnlich war es bei Google, jetzt ­Alphabet. Kaum jemand konnte sich beim Börsengang 2004 vorstellen, dass eine Firma mit dem Geschäftsmodell Internetsuche Geld verdienen kann. Heute ist der Konzern einer der weltweit profitabelsten und wies allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres 23,7 Mil­liarden Dollar Gewinn aus. Der Ausgabepreis der Aktie lag 2004 splitbereinigt bei rund 45 Dollar, inzwischen notiert sie bei 1466 Dollar.

Solche Erfolge haben dafür gesorgt, dass die Bewertungen, zu denen junge Unternehmen an die Börse kommen, um ein Vielfaches gestiegen sind. Wer heute auf Einhörner setzt, muss damit rechnen, dass die Performance nicht mehr ganz so üppig sein wird wie damals, obwohl das Risiko mindestens genauso hoch ist. Dennoch kann sich ein Blick auf die viel beachteten Unternehmen lohnen.

Raus aus dem tiefen Tal


Auf Erholungskurs ist etwa Uber. Skeptiker weisen immer wieder darauf hin, dass der Vermittler von Fahrdiensten es nie schaffen wird, aus den roten Zahlen zu kommen. Der Kursrutsch war für sie deswegen keine Überraschung.

Das insgesamt schwierigere Umfeld für die Ex-Einhörner könnte für Uber jedoch sogar von Vorteil sein. Denn: Je weniger Wettbewerber auf den Markt drängen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Kalifornier behaupten. "Das Wework- Debakel könnte zu einem härteren Finanzierungsumfeld führen", schreibt Analyst Youssef Squali von Suntrust Robinson Humphrey. Das Vermitteln von Autofahrten, das sogenannte Ridesharing, steht zwar bei Uber weiter im Zentrum des Handelns, doch werden Frachtangebote, Essensdienste oder E-Scooter und E-Bikes wichtiger. Auch bei Flugtaxis mischt Uber mit. Schließlich will der Techkonzern zum "Amazon des Transports" werden.

Uber darf sich jedoch nicht verzetteln. "Wenn wir das Gefühl haben, nicht die Nummer 1 oder 2 in einer Region sein zu können, werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet", sagt Finanzvorstand Nelson Chai. Vor Kurzem verkaufte der Konzern deswegen Uber Eats India an den dortigen Wettbewerber Zomato. Im Gegenzug erhielt der Konzern knapp zehn Prozent der Anteile an Zomato. Um Geld einzunehmen, könnte die Zahl solcher Verkäufe zunehmen. Ubers Ziel ist es, zumindest vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen im Jahr 2021 einen Gewinn zu erwirtschaften. Einige Analysten trauen das dem US-Konzern auch zu. Für Morgan Stanley ist die Aktie sogar der "Top-Pick" unter den Internetwerten aus den USA für 2020 - trotz mancher regulatorischer Bedrohung.

Ungeahnte Geschäftsmodelle


Damit kämpft auch der etwas kleinere, dafür aber fokussiertere Wettbewerber Lyft. Das Ridesharing-­Geschäft ist zwar im Gegensatz zu dem von Uber operativ noch nicht profitabel, doch ist auch Lyft sehr beweglich. Laut Nachrichtendienst Bloomberg deutet einiges daraufhin, dass die Firma ihr Angebot auf kurzfristige Reisen mit Mietwagen erweitert. So könnten Daten und Muster rund um Mietstandorte genutzt werden, um profitable Nischen im Reisegeschäft zu finden. Für Expedia, Booking.com und andere Reisevermittler entstünden so neue Wettbewerber.

Die Idee dahinter ist ähnlich wie die von Uber: Durch Zusatzdienste soll die Plattform monetarisiert werden. Aktuell hat Lyft 20 Millionen aktive Nutzer, Uber 103 Millionen, Booking.com 47 Millionen und Expedia 14 Millionen. Pluspunkt für Lyft ist die Zusammenarbeit mit Waymo. Die Google-Tochter ist mit Abstand Marktführer beim autonomen Fahren. Setzt es sich durch, würde der Fahrer als größter Kostenblock entfallen. Wir setzen den Titel nochmal auf die Kaufliste.

Auch der Finanzdienstleister Square, gegründet und immer noch geführt von Twitter-Chef Jack Dorsey, musste einen Abschlag zur vorbörslichen Bewertung hinnehmen. Im Jahr 2014 wurde das Unternehmen mit knackigen sechs Milliarden Dollar bewertet. Am Tag des Börsengangs waren es noch drei Milliarden. Dabeizubleiben hat sich aber ausgezahlt: Seit damals hat sich der Wert mehr als verzehnfacht. Längst hat sich mobiles Bezahlen durchgesetzt, und Square hat sich bereits ein ganzes Ökosystem aufgebaut: Zahlungsabwicklungen, Gehaltsabrechnungen, Terminplanung und auch der Kauf von Bruchteilen von Aktien gehören dazu. Vor Kurzem kündigte Square an, beim Soforttransfer von Händlern eine Gebühr verlangen zu wollen. Das würde zwar den einen oder anderen Kunden kosten, das Unternehmen aber profitabler machen. Wettbewerber wie Visa verdienen zurzeit mehr, dafür wächst Square schneller.

Über ein Direktlisting kam der Messenger-Dienst Slack an die Börse. Anders als bei einem klassischen Börsengang sammeln Firmen dabei kein Geld ein. Das hatte Slack auch nicht nötig, die Taschen waren schon vor dem Börsengang prall gefüllt. Die Geschäftsidee: Über eine Art Business-Whatsapp verschicken Teilnehmer in Gruppen Sofortnachrichten, stimmen Termine ab und organisieren Besprechungen. Doch der Wettbewerb ist stark. Dem steilen Anstieg nach der Erstnotiz folgte eine Kurshalbierung. Kürzlich startete der Wettbewerber Microsoft eine Kampagne für das hauseigene Produkt "Teams". Auch bei diesem ehemaligen Einhorn zeigt sich: Ein paar Quartale lang an der Seitenlinie zu bleiben, schadet nicht. Wenn Kurseinbrüche etwas Gutes haben, dann, dass die Börse eine zweite Chance bietet. Fast immer.

Einhörner aus Deutschland


Vor allem die Beteiligungsgesellschaft Rocket Internet gilt in Deutschland als Brutstätte für ­Einhörner. Fünf ihrer Fabeltiere sind mittlerweile börsennotiert.

Die Kurse entwickelten sich extrem unterschiedlich. Positiv sticht aktuell vor allem Hellofresh heraus. Mehrmals hob der Essenslieferant zuletzt seine Prognose an und erhöhte das Ziel für die Ebitda-Marge. Frühzeitig hat BÖRSE ONLINE den Titel empfohlen. Auf Sicht von zwölf Monaten hat er sich nahezu verdreifacht. ­Momentan ist er jedoch etwas heiß gelaufen, die Bewertung ist ambitioniert. Ins Depot legen sollten sich Anleger hingegen Delivery Hero - eine Ex-Beteiligung von Rocket. Auch dieses ehemalige Einhorn legte bislang eine Spitzenperformance aufs Parkett. Hohe Wachstumsraten und eine zunehmende Profitabilität sollten hier Rückenwind verleihen - auch wenn der Titel in den vergangenen Wochen schon angezogen hat. Nicht mehr beteiligt ist Rocket auch beim Modehändler Zalando. Kurstechnisch sieht es hier wieder besser aus. Der Titel ist nah dran, die alte Bestmarke zu überspringen. Auch hier können Anleger zugreifen.

Böse unter die Räder kam dagegen Home24. Seit dem IPO im Jahr 2018 zu 28,50 Euro fiel der Kurs auf 5,28 Euro. Die Kursziele der Analysten liegen aktuell zwar weit darüber, doch erst mal braucht der Online-Möbelhändler ein erfolgreiches Quartal, um aus der Misere zu kommen. Auch Global Fashion Group konnte den vorbörslichen Wert nicht halten. Von mehr als einer Milliarde sind aktuell lediglich 417 Millionen Euro übrig.

Besser sieht es bei Biontech aus: Trotz fehlendem Stallgeruch aus Berlin und einem Börsengang in den USA, ist die Firma äußerst ­erfolgreich: Seit dem IPO vervielfachte sich der Kurs. Der Titel ist ­sicher kein Schnäppchen mehr, dennoch stehen die Chancen auf weitere Kursavancen gut. Auch bei den deutschen Milliardenunternehmen gilt: selektieren.