Die Bedeutung der Schwellenländer wird oft unterschätzt. Denn mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung stammt inzwischen aus den Emerging Markets (EM). Diese Länder verbrauchen zwei Drittel der Energie und es leben fünf Sechstel der Erdbevölkerung dort. Weil das Anlageuniversum weit verzweigt ist und die einzelnen Schwellenländer sehr verschieden sind, bestehen große Unterschiede in den Stärken und Schwächen der einzelnen Märkte.

Zwar ist die Verfügbarkeit von Corona-Impfstoffen in der Breite derzeit in den meisten Schwellenländern nicht so gegeben wie in den USA und Europa. Damit liegt das Ziel einer Herdenimmunität aufgrund des langsameren Impftempos weiter entfernt als in den Industrieländern. Aber nicht alle Länder traf die Corona-Pandemie so hart wie Brasilien oder zuletzt Indien. So konnte sie in Nordasien bereits vor der Impfkampagne gut eingedämmt werden. Auch andere Schwellenländer wie Israel, Chile und Ungarn verfolgen sehr erfolgreiche Impfstrategien.

Obwohl die Pandemie die Emerging Markets in Mitleidenschaft gezogen hat, ist nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds ihr Sozialprodukt im Durchschnitt im Jahr 2020 nur um 2,2 Prozent eingebrochen. In den entwickelten Volkswirtschaften gab es indes um 4,7 Prozent nach. Auch bleibt das Potenzialwachstum der Schwellenländer längerfristig höher, etwa aufgrund des Bevölkerungswachstums oder einer Reifung der Wirtschaftsstrukturen.

Und es gibt derzeit weitere ermutigende Zeichen. Durch die Erholung der Weltwirtschaft steigen viele Rohstoffpreise, wovon EM-Länder profitieren. Zudem befinden sich die meisten Schwellenländer mittlerweile in einer sehr stabilen außenwirtschaftlichen Lage. Damit sind die Vorzeichen besser, dass die EM-Anleihemärkte eine geldpolitische Straffung durch die US-Notenbank Fed verkraften können, zumal diese nur sehr behutsam in ihren Zinsschritten vorgehen dürfte.

Auch zeichnet sich keine breite Schuldenkrise ab, wie vor einem Jahr teilweise befürchtet wurde. Internationale Gläubiger wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben in der Krise mit vielen Staaten den Dialog gesucht, damit die finanziellen Auswirkungen der Pandemie nicht in eine Schuldenkrise münden. Insgesamt zeigt sich heute, dass die meisten Schwellenländer in den vergangenen Quartalen eine effektive Geldpolitik betrieben und gleichzeitig die Finanzstabilität bewahrten.

Das Augenmerk sollte auf den Fundamentaldaten liegen

Schwellenländeranleihen bleiben damit grundsätzlich attraktiv für Anleger in einem Niedrigzinsumfeld, weil sie noch einen Renditeaufschlag bieten. Das spiegelt sich auch in Zuflüssen von Investorengeldern. Seit Jahresbeginn summieren sie sich auf über 29 Milliarden Euro. Und: Auf währungsgesicherter Basis hat diese Anlageklasse in den vergangenen Jahren eine bessere Kursentwicklung erreicht als deutsche Staatsanleihen.

EM-Staats- und Unternehmensanleihen in Hartwährung (wie US-Dollar und Euro) haben deshalb in einem diversifizierten Anlageportfolio durchaus ihren Platz. Eine weitere Erholung der Wirtschaft dürfte ihre Kurse stützen. Im Gegenzug sind höhere Risiken wie eine größere Schwankungsbreite der Kurse in Kauf zu nehmen, eine mehrjährige Anlage ist darum angezeigt.

Entscheidend ist und bleibt die Selektion. So weisen Länder mit schwachen fiskalischen und makroökonomischen Fundamentaldaten und die bereits vor der Covid-19-Krise zu kämpfen hatten, klar höhere Risiken auf als Länder, die über finanziellen Spielraum und besser funktionierende Institutionen verfügen. Während Länder wie Argentinien oder Libanon eine extrem angespannte Finanzlage haben, verbesserte sich beispielsweise die Situation von Russland oder Indonesien in den vergangenen Jahren deutlich - entsprechend unterschiedlich fiel die Kursentwicklung am Anleihemarkt aus.

Dies lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. Solche, die aktiv mit internationalen Investoren zusammenarbeiten, etwa bei den Themen Umweltschutz, Soziales und Unternehmensführung (ESG), und bereit sind, am Reformkurs festzuhalten, dürften auf mehr Anlegerinteresse stoßen als jene, die sich damit schwerer tun. Erfreulicherweise haben viele EM-Konzerne recht solide Bilanzen und oft niedrigere Verschuldungsgrade als ihre Wettbewerber aus Industrieländern. Doch ist sorgfältiges Risikomanagement, aktive Auswahl und Diversifikation in dieser Anlageklasse entscheidend.

 


Christian Kopf:
Leiter Portfoliomanagement Renten bei Union Investment

Kopf leitet seit 2017 das Rentenfondsmanagement von Union Investment. Er ist eines von sechs Mitgliedern des Union Investment Committee, das die Kapitalmarktstrategie von Union Investment formuliert und damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds setzt.

Union Investment ist die Investmentgesellschaft der DZ Bank und Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe.