Das Brexit genannte Ausstiegsszenario sei mit ins Kalkül genommen worden, räumte Yellen am Mittwoch ein: "Es war einer der Faktoren, die in unsere heutige Entscheidung eingeflossen sind." Die Folgen eines britischen EU-Austritts könnten auch die US-Wirtschaft treffen. Die Währungshüter signalisierten dennoch, dass sie 2016 noch zwei Zinsschritte nach oben wagen wollen. Der erste komme womöglich bereits im Sommer: "Wir werden in den nächsten Monaten handeln, wenn es angebracht sein sollte", sagte Yellen.

Auch eine Erhöhung im Juli sei nicht vom Tisch. Sollte die Fed die Geldpolitik im nächsten Monat oder im September straffen, gilt dies auch mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen für viele Experten als geschickter Schachzug: Denn das sich abzeichnende Duell zwischen dem Republikaner Donald Trump und der Demokratin Hillary Clinton im Kampf ums Weiße Haus dürfte vor dem Wahltermin im November geldpolitische Schritte zum Politikum machen. Trump gilt ohnehin nicht als Anhänger Yellens: Er hat bereits angekündigt, als Präsident langfristig einen Republikaner an die Spitze der Fed berufen zu wollen. Die Notenbank schiele jedoch nicht mit einem Auge auf den Wahlkampf, betonte Yellen. Für die Notenbank stünden die Wirtschaftsdaten im Vordergrund.

Doch mit Blick auf den Brexit hatten Investoren bereits damit gerechnet, dass die Fed jetzt die Füße stillhalten würde. Die Briten stimmen am 23. Juni ab. Der Ausgang gilt als völlig offen. Seit Wochen überschattet das Thema die Entwicklung an den globalen Finanzmärkten.

"YELLEN HAT ALLES RICHTIG GEMACHT"



Sollten die Briten der EU "Goodbye" sagen, erwarten Experten ein weltweites Börsenbeben und eine Abkühlung der Weltwirtschaft. "Yellen hat alles richtig gemacht: Die Finanzmärkte konnten sich darauf verlassen, dass sie wegen eines möglichen Brexits den Juni-Termin für die Zinsanhebung sausen lässt - sonst wäre die Verunsicherung noch größer geworden", sagte der Chefvolkswirt der Targo-Bank, Otmar Lang. Doch nicht nur der bange Blick über den Atlantik dürfte die Fed dazu veranlassen, Erhöhungen des Schlüsselsatzes zur Versorgung der Banken mit Geld auf die lange Bank zu schieben: Auch der maue Start der amerikanischen Wirtschaft ins Jahr und ein überraschend schwacher Arbeitsmarktbericht im Mai lieferten der Notenbank gute Gründe, die Zinszügel noch nicht anzuziehen. Yellen rechnet jedoch damit, dass sich die Lage am Jobmarkt nach dem jüngsten Durchhänger wieder aufhellen wird. Auch die Wirtschaft werde in diesem Jahr weiter in moderaten Tempo zulegen, so die Fed-Chefin. Die Notenbank strebt Vollbeschäftigung und stabile Preise an. Dabei hatte sie zuletzt einen Rückschlag zu verkraften, da der Stellenzuwachs im Mai mit 38.000 weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Diese Zahlen lassen Zweifel an der Stabilität des Aufschwungs aufkommen, zumal die US-Wirtschaft zu Jahresbeginn kaum wuchs. Hiobsbotschaften kamen nun von der Industrie: Die Firmen drosselten die Produktion im Mai deutlicher als erwartet. Der Wirtschaft zwischen New York und San Francisco macht der starke Dollar zu schaffen, der US-Produkte im Ausland verteuert. Zuletzt hatte die Fed im Dezember die Zinsen angehoben - erstmals seit fast zehn Jahren.