Wer in Italien nach dem Namen Vittorio Cini sucht, wird allenthalben mit seinen großzügigen Schenkungen und Stiftungen konfrontiert. Ein "Kunstliebhaber von herausragendem Geschmack und großer Bildung" heißt es über ihn etwa im Schloss von Monselice, das er 1971 mitsamt einer großen Kunstsammlung der Kleinstadt in der Provinz Padua schenkte. In Ferrara hatte Cini den Palast von Renata di Francia bereits 1942 an die Stadtverwaltung überschrieben, um ihn "auf ewig für Bildungszwecke" der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Im Familiensitz in der Via Santo Stefano gründete er das Kulturinstitut Casa Giorgio Cini, das 1950 den Jesuiten gestiftet wurde. Und auch in seinem venezianischen Palast wurde eine bedeutende Kunstsammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Liste der guten Taten des Conte Cini lässt sich noch viel weiter führen. Was weniger kommuniziert wird, ist, wie Cini an den Reichtum kam, mit dem er die großzügigen Gaben finanzieren konnte.
Geboren wurde Vittorio Cini 1885 in Ferrara. Im selben Jahr gründete sein Vater Giorgio ein Bauunternehmen, das sich, so die Familienchronik, "auf infrastrukturelle Bauarbeiten (Straße, Schiene, Fluss, See) sowie auf neben- und miteinander verbundene Sektoren von der Rohstoffgewinnung bis zur Versorgung und zum Transport mit eigenen Mitteln, von der Lagerung in Lagerhäusern und auf Baustellen bis zu Reparaturen in Werkstätten und Betrieben spezialisierte". In der industriellen Aufbruchstimmung Norditaliens Ende des 19. Jahrhunderts florierte der Betrieb. Als designierter Unternehmenserbe wurde Vittorio nach dem Abschluss des Gymnasiums in Venedig ins schweizerische St. Gallen auf das renommierte Institut International Schmidt zum Kaufmannsstudium geschickt, eine Bankausbildung in London schloss sich an.
1905 kehrte Vittorio nach Italien zurück und trat in die väterliche Firma ein, deren Leitung er fünf Jahre später übernahm. Gleichzeitig gründete er auch eine Beteiligungsgesellschaft in der Hafenstadt Chioggia im Süden der Lagune von Venedig. Dieses Vehikel stellte sich als äußerst erfolgreich heraus, wenn es darum ging, über politische Einflussnahme oder andere Zuwendungen öffentliche Aufträge oder Ausschreibungen zu gewinnen. Bei den Cinis nannte man das salopp "Integration der Sektoren", die auch "Leitmotiv ihrer späteren Tätigkeit" sein sollte.
Vittorio Cini wurde zusammen mit dem durch Agrarhandel, Versicherungen und Minen ebenfalls zu Vermögen gekommenen Guiseppe Volpi aus Bergamo zu einem der führenden Köpfe der sogenannten Gruppo Veneziano. In ihr fanden sich Adelige, Landbesitzer und Händler zusammen, um gemeinsam die italienische Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen und die Industrialisierung vor allem der Region Venetien voranzutreiben - und die Gewinne daraus dann unter sich aufzuteilen.
Starthilfe für den Diktator
Ein Teil der Strategie von Cini und Konsorten war es, die Energieversorgung unter ihre Kontrolle zu bringen. Hilfreich war da die vom Deutschen Otto Joel in Venedig gegründete Banca Commerciale Italiana (BCI), mit der nach und nach neu entstandene Wasserkraftwerke am Alpenrand aufgekauft oder große Beteiligungen daran erworben wurden. Auch bei vielen anderen Investitionen der Gruppe spielte die BCI - die mit Hilfe Joels auch bedeutende Geldgeber aus dem deutschen Kaiserreich anzog - die entscheidende Rolle. Die andere Strategie der gar nicht so ehrbaren Kaufleute aus Venedig war, die Regierung in Rom in ihrem Großmachtstreben und ihrer Gier nach Kolonien zu unterstützen, schließlich versprachen Aufrüstung, Kriegswirtschaft und neu eroberte Absatzgebiete noch mehr Reichtum.
Zur medialen Unterstützung ihrer Interessen hatten die norditalienischen Unternehmer und die längst von ihnen gesteuerte Regierung einen gewissen Benito Mussolini dabei gefördert, die Zeitung "Il Popolo d’Italia" zu gründen. Mussolini war wie so viele andere Faschisten zuerst begeisterter Sozialist, doch weil ihn die Partei nicht genug würdigte und er statt der "Internationale" eher das Nationale im Sinn hatte, wurde der spätere "Duce" nun auch für die Gruppo Veneziano interessant - und hoffähig.
Ausgerechnet der für Gesamt-Italien so verlustreiche Erste Weltkrieg ebnete Vittorio Cini und seinen Kumpanen endgültig den Weg zur Verwirklichung ihrer Pläne mit dem Veneto: Venedig selbst sollte nur noch Touristen anziehen, auf dem Festland wurden die petrochemische Industriestadt Marghera und die Arbeiterstadt Mestre vorangetrieben. Und der seit 1922 in Rom regierende Mussolini sorgte für billige sowie gefügige Arbeitskräfte und stellte gleichzeitig wirtschaftliche Konkurrenten durch politische Vorgaben kalt. So wurde der Jude Otto Joel, der die Expansion der Gruppo Veneziano mitfinanziert hatte, aus seiner Bank gedrängt. Cini indes kontrollierte die Häfen rund um Venedig und etliche Reedereien, gründete die Bank Credito di Venezia sowie die adriatische Elektrizitätsgesellschaft und saß in den Führungsgremien von zig bedeutenden Industrieunternehmen.
Zum Dank für seine Unterstützung des Faschismus wurde Cini 1934 zum Senator ernannt, 1940 von König Viktor Emanuel III. sogar zum Grafen geadelt. Während des Krieges wurde Cini erst Mussolinis Kommunikations-, dann sein Verkehrsminister. Doch ab 1943 zeigte sich immer mehr, dass der Duce wohl nicht auf Dauer führen würde - und Cini reichte seinen Rücktritt ein. Angeblich auf Intervention Mussolinis wurde Cini kurz darauf von der deutschen SS verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Doch die "Rücksichtnahme der deutschen wirtschaftlichen und politischen Führung sowie das entschiedene Eingreifen seines Sohnes Giorgio führten dazu, dass er in eine Klinik nach Friedrichroda verlegt wurde, damals eine stillschweigende Zustimmung zur Befreiung, verdeckt durch die Konstruktion einer von Giorgio organisierten Flucht", heißt es in der Chronik der Cini-Stiftung.
Um sich seine Pfründe auch für die Zeit nach dem Krieg zu sichern, nahm Vittorio Cini gleich nach seiner Rückkehr in Padua Kontakt zu Egidio Meneghetti, einem Führer der Widerstandsbewegung gegen die Deutschen und den Faschismus, auf und stellte ihm und seinen Partisanen "beträchtliche Mittel" zur Verfügung. Das Geld war gut investiert: Als gegen Cini und andere Mitglieder der Gruppo Veneziano 1946 wegen ihrer jahrzehntelangen Unterstützung Mussolinis vor dem Hohen Gerichtshof für Sanktionen gegen den Faschismus verhandelt wurde, endete das Verfahren dank der Aussagen des Befreiungshelden Meneghetti für ihn mit einer Art Freispruch. Er habe "klar gegen die Weisungen des Regimes" Stellung bezogen und "einen lebendigen Patriotismus und eine gewalttätige Abneigung gegen den Faschismus und den deutschen Eindringling" gezeigt, so die Richter.
Mit diesem Persilschein in der Tasche machte Cini in den 50er- und 60er-Jahren weiter wie vor dem Krieg, auch seine Geschäftspartner waren dieselben. Man investierte in die Seefahrt, in Elektrizitätswerke und Infrastruktur - und immer sorgten staatliche Aufträge für reichlich Gewinn. Vittorio Cini starb am 18. September 1977 in Venedig - und an seinem Grab verneigte sich noch einmal die Nomenklatura Italiens vor dem hochdekorierten Industriellen, der doch so viel Gutes für das Land getan hatte.