Aktien werden an zwei Stellen von der Demografie beeinflusst: Erstens wirkt sie sich auf die Umsatz- und Gewinnentwicklung der Unternehmen aus. Und zweitens auf die Bewertung von Aktien, also die Multiples, die diesen Gewinnen zugestanden werden. Gewinne sind zweifellos einer der wichtigsten Treiber für Aktienkurse. Der amerikanische Zukunftsforscher Harry Dent hat einen interessanten Zusammenhang zwischen der Demografie und der Entwicklung der Aktienmärkte aufgezeigt. Er untersucht, in welchem Alter die Amerikaner am meisten Geld ausgeben. Die Antwort lautet: zwischen 46 und 50 Jahren. In jüngeren Jahren fehlt ihnen die Finanzkraft, in älteren Jahren sind die wesentlichen Käufe getätigt, die Kinder verlassen das Elternhaus, und die Kauflust nimmt wieder ab.
Mit diesem Wissen im Gepäck betrachtet Dent nun die Geburtenzahlen der Vergangenheit und setzt die verschiedenen Altersklassen in Verbindung zu ihrer statistischen Konsumfreude. Es entsteht eine Projektion des Konsumverhaltens in Form einer sogenannten Ausgabenwelle. Die Übereinstimmung zwischen der Ausgabenwelle und der - inflationsbereinigten - Entwicklung des Dow Jones ist sehr hoch. Es scheint so, als sei das demografisch abgeleitete Konsumverhalten tatsächlich ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der Unternehmensgewinne und damit auch der Aktienkurse.
Dents Indikator sieht sehr bedrohlich aus. Die USA haben den Höhepunkt der Ausgabenwelle überschritten und stehen vor einem langjährigen Rückgang, der erst in den Jahren 2020 bis 2022 wieder einen Boden findet. Allerdings signalisiert der Indikator einen Rückgang bereits seit dem Jahr 2010 - und der hat ja bekanntlich nicht stattgefunden. Ein zusätzliches Warnzeichen sendet eine Untersuchung des kalifornischen Ablegers der amerikanischen Notenbank. Die Fed aus San Francisco hat sich die Auswirkungen der Demografie auf die Bewertungen der Aktien angeschaut. Sie kommt zu dem Schluss: Je mehr Amerikaner sich in dem Alter von 40 bis 49 befanden, in dem die Aktienanlage verbreitet ist, desto höher war historisch das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das amerikanische Aktien aufwiesen.
Fakt ist aber, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in den nächsten Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Damit verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der Älteren. Diese Altersgruppe allerdings verkauft tendenziell ihre Aktien. Entweder weil sie in konservativere Geldanlagen wechselt oder weil sie schlicht vom Ersparten lebt. Ein Anwachsen der älteren Generation dürfte aber nach Berechnungen der Fed dazu führen, dass das KGV sinkt. Konkret kommen die Notenbanker zu der Prognose, dass das durchschnittliche KGV von 15 im Jahr 2010 auf nur noch 8,3 im Jahr 2025 sinken könnte. Bei gleichbleibenden Gewinnen würde das also fast eine Halbierung der Aktienkurse bedeuten. Selbst wenn die Unternehmen es schaffen sollten, ihre Gewinne zu verdoppeln, würden die Kurse lediglich stagnieren. Wir sehen also, dass zwei völlig unterschiedliche Betrachtungsweisen der Aktienmärkte zu einem verblüffend einheitlichen Ergebnis kommen. Aus Sicht der Demografie steht den Aktienmärkten ein schwieriges Jahrzehnt bevor - sowohl mit Blick auf die Unternehmensgewinne als auch unter dem Aspekt der Bewertungen.
Von einem "Crash der Demografie" zu sprechen mag etwas übertrieben sein. Aber die Untersuchungen machen deutlich, dass auch der breite Aktienmarkt aller Voraussicht nach nicht der Zufluchtsort für den erfolgreichen Vermögensaufbau eines privaten Investors sein wird. Wer von den Entwicklungen der Demografie profitieren will, sollte sich Aktien von Unternehmen anschauen, die aus den Schwellenländern kommen oder dort einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes erwirtschaften. Denn in Lateinamerika, Südostasien oder in Nordafrika steht die demografische Ampel in absehbarer Zeit noch auf Grün.
Roland Klaus
Klaus arbeitet als freier Journalist und Analyst in Frankfurt am Main. Für den US-Finanzsender CNBC und den Nachrichtenkanal N24 berichtete er von der Frankfurter Börse; er wurde bekannt durch seine Tätigkeit als Reporter für den Sender n-tv. In seinem Buch und in Vorträgen unter dem Titel "Wirtschaftliche Selbstverteidigung" analysiert er die Folgen der Finanzkrise und der Demografie für die Aktienmärkte.