Wieder einmal geht die Angst vor Inflation um. Auslöser sind diesmal, wie immer wieder in den letzten Jahren, die großen Rettungsprogramme der Zentralbanken. Weltweit wurden die Zinsen gesenkt, Liquidität in die Märkte gepumpt und Assets gekauft. In der Corona Krise haben diese Programme in den größeren Ländern in der Regel die Billionengrenze weit überschritten. Ein Ende ist nicht absehbar.
Der enorme Einsatz der Zentralbanken ist kein neues Phänomen. Bereits nach der Finanz- und Schuldenkrise haben die Zentralbanken die Weltwirtschaft mit Programmen dieser Art vor größeren Schäden bewahrt. Auch damals gab es immer wieder Phasen mit einer größeren Sorge vor einem schnellen Inflationsanstieg, doch Inflation gab es in den letzten 10 Jahren aber eigentlich nicht.
In der Regel haben die Protagonisten der Inflationsangst ein Szenario wie im Deutschland der 20er Jahren vor Augen. In dieser Zeit hat die deutsche Regierung (und nicht unabhängige Zentralbanken) Geld gedruckt, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Geldmenge ist in Deutschland sehr stark gestiegen und hat sich vom der Wirtschaftsleistung komplett entkoppelt. Die Folge war ein vollständiger Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Währung und am Ende eine Hyperinflation. Ein solches Szenario ist aus meiner Sicht heute kaum möglich. Zwar hat sich das Wachstum der Geldmenge zuletzt etwas beschleunigt, ist aber weit davon entfernt, sich von den wirtschaftlichen Grundlagen zu entkoppeln. Zudem kann man auch keine Kapitalflucht aus dem Euroraum feststellen und der Wechselkurs ist stabil. Ein solche Wirkungskette als Auslöser für eine nachhaltige Inflationsbeschleunigung kann man ausschließen.
Kommen wir also zu den realwirtschaftlichen Aspekten. Die aktuellen geldpolitischen Programme der Notenbanken sichern die Liquiditätsversorgung der Realwirtschaft durch die Banken, aber nicht die Banken direkt. Durch den wirtschaftlichen Stillstand ist die Nachfrage nach Liquidität und damit einhergehend auch die Kreditnachfrage sehr stark angestiegen. Die Geschäftsbanken, zusammen mit den Förderbanken, kommen ihrer Verpflichtung nach und haben die Kreditvergabe kräftig gesteigert. In der Folge hat sich das Wachstum der Geldmenge auch etwas beschleunigt. Damit könnte eigentlich die Grundlage für eine höhere Inflationsdynamik gelegt sein.
Zwar ist die Kreditnachfrage gestiegen, die Kredite werden aber nur als Liquiditätsersatz benötigt. Es werden kaum Investitionen getätigt werden. Vielmehr dürfte die Investitionstätigkeit der Unternehmen in den kommenden Jahren eher sehr verhalten bleiben. Die Coronakrise war zu Beginn ein Angebotsschock, hat sich mittlerweile aber in einen Nachfrageschock gewandelt. Die Unternehmen stehen plötzlich einer deutlich schwächeren Nachfrage gegenüber, die auch noch einige Zeit andauern sollte, da die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einschränkungen nicht vollständig gelockert werden können. Zudem könnten sich durch die Pandemie die Lebens- und Konsumgewohnheiten verändern, was zumindest eine veränderte und eventuell auch geringere Nachfrage zur Folge hat.
Die massiven Hilfszusagen der Zentralbanken und Regierungen haben das erklärte Ziel, dass es zunächst nur eine geringe Anzahl an Insolvenzen geben sollte. Damit wird dafür gesorgt, dass die Kapazitäten nicht kleiner werden. Somit sinkt global zwar die Nachfrage, während das Angebot nur unwesentlich zurückgeht.
Die weltweiten Kapazitäten waren aber bereits vor der COVID-19 Krise mehr als ausreichend. Zumindest gab es in den letzten Jahren keine nachfragegetriebene Inflation. Somit sollte in den kommenden Jahren die Weltwirtschaft also eher mit den Überkapazitäten zu kämpfen haben. Dies schränkt den Spielraum für Preiserhöhungen ein und der Anreiz für Investitionen sinkt weiter.
Die Unterstützungsmaßnahmen der Zentralbanken und Regierungen wirken also eher disinflationär, also in Richtung einer geringen Inflation, als dass sie für eine hohe Inflationsdynamik sorgen. Sicherlich, in einigen Jahren, wenn die Weltwirtschaft ein neues Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gefunden hat, könnte sich der jetzige Politikmix inflationssteigernd auswirken. Aber bis dahin wird ein Großteil der laufenden Programme bereits zurückgebaut worden sein.
Man braucht sich also keine Sorge um Inflation machen, sondern eher um ein dauerhaftes Umfeld gekennzeichnet von sehr niedriger Inflation. Also ein Umfeld, wie wir es in den letzten 10 Jahren beobachten konnten. Die Gefahren, die daraus entstehen, sind allerdings auch nicht unerheblich. Das Geld, das die Zentralbanken in die Märkte pumpen, wirkt sich zwar nicht auf die Güterpreise aus, aber dafür umso mehr auf die Preise an den Finanzmärkten. Die Finanzmärkte koppeln sich dadurch zunehmend von der Realwirtschaft ab. Damit könnten die Zentralbanken die Grundlage für eine Weltwirtschaftskrise legen. Nämlich dann, wenn der Höhenflug der Assetpreise ein Niveau erreicht hat, das nicht mehr haltbar ist. Hier sei an die Tulpenkrise und an den Zusammenbruch der Wallstreet und nachfolgend die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren erinnert.
Außerdem könnte das jetzige Zentralbankensystem selbst in Gefahr kommen. Die zentrale Aufgabe der Zentralbanken ist, für ein moderates Inflationsumfeld zu sorgen. Wenn Inflation aber für weitere 10 Jahre kein Thema ist, könnte die Frage aufkommen, ob man Zentralbanken mit der gesamten Machtfülle eigentlich braucht. Dies könnte politisch durchaus opportun werden. Es sei aber dran erinnert, dass eigentlich nur das Vertrauen der Bevölkerung und die Zentralbanken in den letzten Jahrzehnten ein niedriges Inflationsumfeld und niedrige Volatilitäten an den Finanzmärkten gebracht haben, was ein wichtiger und essentieller Beitrag für den Anstieg des Wohlstands in der Welt war.
Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank.