D ie türkische Lira hat derzeit kaum eine Chance zu erstarken. Von zu vielen Seiten wird die Währung in die Mangel genommen. Zum Euro und US-Dollar fiel sie diese Woche auf neue Rekordtiefs. Schuld ist Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Dieser hatte am Wochenende zehn westliche Botschafter, darunter jene aus Deutschland und den USA, zu unerwünschten Personen erklärt. Sie hatten zuvor die Freilassung des Menschenrechtsaktivisten und Kulturmäzens Osman Kavala gefordert.

Bereits am Montag nahm Erdogan allerdings davon Abstand, die Diplomaten tatsächlich auszuweisen. Nach Meinung von Beobachtern ging es dem türkischen Staatschef ohnehin eher darum, von den wirtschaftlichen Problemen des Landes abzulenken und in der Bevölkerung Empörung über die Einmischung von außen zu schüren. Innenpolitisch steht Erdogan unter Druck wie selten zuvor. Denn die türkische Wirtschaft steckt in einer schweren Krise.

Teuerungsraten bis zu 30 Prozent

So leidet die Bevölkerung unter einer hohen Arbeitslosenquote, die nach Ansicht der Gewerkschaften wohl deutlich über den amtlich verkündeten 12,1 Prozent liegt. Daneben ist der für das Land so wichtige Tourismussektor im zweiten Jahr der Corona-Krise noch nicht richtig in Schwung gekommen. Allenfalls der bedeutende Sektor der Exportwirtschaft profitiert von den niedrigen Kursen der türkischen Lira. Im Gegenzug trifft der Wertverfall der Währung die Bevölkerung mit voller Härte. Diese stöhnt unter einer Inflationsrate, die offiziell bei fast 20 Prozent liegt, bei Lebensmitteln sogar um die 30 Prozent.

Bei derartigen Teuerungsraten ist es ökonomischer Konsens, dass eine Notenbank die Zinsen anhebt. Doch das möchte Erdogan um jeden Preis verhindern. Nach seiner Vorstellung helfen nur niedrigere Zinsen der türkischen Wirtschaft aus der Krise. Die Notenbank gab vergangene Woche erneut dem Druck des Staatspräsidenten nach und senkte die Leitzinsen um zwei Prozentpunkte auf 16 Prozent. Der aktuelle Notenbankchef Sahap Kavcioglu ist erst seit März im Amt. Alle seine Vorgänger, die durch straffes Zinsregime die Inflation drücken wollten, wurden von Erdogan gefeuert, zuletzt im Frühjahr Naci Agbal.

Finanzmärkte verlieren Vertrauen

"Der Fall der türkischen Lira ist ein Paradebeispiel für verloren gegangenes Vertrauen der Finanzmärkte", kommentiert Thomas Gitzel, Chefökonom der liechtensteinischen VP Bank, die jüngsten Ereignisse. Vor allem angesichts des hohen Leistungsbilanzdefizits wird die Lira-Schwäche immer mehr zum Problem. Die Türkei importiert mehr, als sie exportiert. Die Lücke wird durch Fremdwährungskredite gegenfinanziert. Für die steigen die Kosten, und die Inflationsspirale dreht sich weiter. "Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die Auslandsverschuldung bei rund 50 Prozent. Gemäß Zahlen der türkischen Notenbank lauten davon 56 Prozent auf US-Dollar, 30 Prozent auf Euro", weiß Chefökonom Gitzel.

Nachdem Erdogan den Diplomatenstreit nicht weiter eskalieren ließ, hat sich die Lira wieder leicht erholt. Dennoch büßte sie seit Jahresanfang gegenüber US-Dollar und Euro 22 respektive 18 Prozent ein. Und es gibt wenig Hoffnung, dass sich der Abwärtstrend unter einem Präsidenten Erdogan dreht.

Analysten rechnen mit einer fortgesetzten Abwertung der Lira gegenüber Euro und US-Dollar. Wer Mut zum Risiko mitbringt, kann mit einem Long-Mini-Future-Zertifikat von Vontobel (ISIN: DE 000 VF8 ZCX 5) auf eine schwächere türkische Währung (TRY) im Vergleich zum Euro setzen. Das Papier hat einen Hebel von 3,10. Die Knock-out-Barriere, bei der Totalverlust droht, liegt bei 7,76 TRY je Euro. Das ist rund 30 Prozent vom aktuellen Kurs entfernt.