Die EZB erreicht die Privatwirtschaft nicht mehr. Sie hat grandios versagt. Das liegt sicher auch daran, dass sie nicht auf einem Bein stehen kann. Ihr fehlt das zweite Standbein, eine standortverbessernde und längerfristig wachstumsfördernde Reformpolitik, die die Politiker aber meiden wie der Teufel das Weihwasser. Auch in Berlin labt man sich zwar noch an den Segnungen der "Agenda 2010", die eine andere Regierung initiiert hatte. Aber aufgrund einer großkoalitionären Reformpolitik, die ähnlich unbeweglich ist wie der Kölner Dom, wird mittelfristig auch Deutschland an Wachstumspotenzial einbüßen.
Draghi in der Rolle von Bob dem Baumeister: Wir schaffen das!
Wenn also in der Eurozone alle privatwirtschaftlichen Stricke reißen, muss Papa Staat mit Staatsverschuldung die Nachfragelücke schließen. Früher noch, unter normalen Bedingungen, wären die Staatsanleihemärkte der reformunwilligen, dafür aber schuldenfrönenden Staaten jetzt durch höhere Risikoaufschläge bestraft worden. Doch der dann teurer werdende Zinsdienst, dieses Luxusprodukt kann sich ein Otto Normal-Euro-Staat einfach nicht mehr leisten, würde ihn zerreißen. Massenschließungen von beispielsweise Krankenhäusern, Schulen oder dunkle Straßen durch das Abschalten der Straßenlaternen wären die Folgen.
Steigende Renditen wären im Übrigen der Schmetterlingsflügelschlag, der den Vulkan zum Ausbruch bringen könnte, der die eurozonale Anleiheblase als Mutter aller Anlageblasen platzen ließe. Immerhin sind alle Kapitalsammelstellen und Pensionskassen randvoll mit Anleihen aller Art und man sitzt wie die Henne auf ihren Eiern auf dicksten Buchgewinnen. Die will keiner riskieren.
Setzte sich plötzlich die Marktmeinung durch, dass Staatspapiere angesichts der schlechten Bonität der öffentlichen Haushalte und des großen Ozeans an Schuldenbestand viel zu teuer sind, wäre ein panikartiger Verkauf von Zinsanlagen mit sprunghaftem Anstieg der Renditen die logische Folge. Dann gehen an den Finanzmärkten der Eurozone die Lichter aus. Tatsächlich, während deutsche Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von ca. 13 ausgestattet sind, sind deutsche Staatspapiere im Durchschnitt mit fast 300 bewertet. Noch Fragen, was die wahre Teufelsanlage ist?
Und wenn erst einmal die Liebe zu Staatspapieren erkaltet, gibt es noch ganz anderen Beziehungsstress: Der Blick in die Finanz-Geschichtsbücher macht zügig klar, dass die großen Schulden der Vergangenheit eine große Gemeinsamkeit hatten: Sie wurden nie zurückgezahlt!
Auf Seite 2: Mit der EZB wird es keine kalten Finanzmarkt-Winter mehr geben
Mit der EZB wird es keine kalten Finanzmarkt-Winter mehr geben
Diese schlafenden Finanzmarkt-Hunde will keiner wecken, schon gar nicht Mario Draghi. Sein Kettenhund - EZB-Chefvolkswirt Peter Praet - hat erst kürzlich wieder deutlich gemacht, dass es im Kampf gegen schwache Inflation keine Tabus gibt. An rechtlichen Hürden sollte sich dabei niemand stören. Denn das ungeschriebene Gesetz der Eurozone lautet: Was nicht passt, wird passend gemacht! Damit ist die EZB doch noch für was gut, nämlich die weitere planwirtschaftliche Drückung der Renditen, damit die Finanzminister der Eurozone auch morgen noch kraftvoll neue Schulden machen können. Hier versagt die EZB nicht. Nein, sie betreibt Leistung aus geldpolitischer Leidenschaft, sie ist die Notenbank an Eurolands Seite, sie macht den Weg frei, ja, wenn‘s um Geld geht, EZB.
Der Fluch der guten geldpolitischen Tat: Warum zum Buffet gehen, wenn einem das Buffet gebracht wird
Die EZB ist so etwas wie der Durchlauferhitzer der Staatsverschuldung. Leider verführt sie damit die Euro-Finanzminister zur Reformfaulheit. Wenn die geldpolitische Planwirtschaft neue Konjunkturprogramme zu den günstigsten Kreditzinsen aller Zeiten ermöglicht, warum muss man sich dann überhaupt noch die Finger schmutzig machen und harte Wirtschaftsreformen machen? Angesichts der Happy Hour der EZB wird kein Politiker zum Selbstmörder, der seinen Wählern schmerzhafte Reformen zur Standortverbesserung abverlangt. Niemand will den Fluch der Eurozone heraufbeschwören: "Wer reformiert, wird abgewählt".
Wenn aber niemand reformiert, werden die Euro-Industrienationen immer ineffizienter. Damit muss Europa aufpassen, dass es nicht zu einem Industriemuseum wird. Welche aufstrebende Firma will denn in solchen müden Wirtschaftsnationen noch investieren? Die globale Investitionswelt ist groß und bunt. Das Geld wird eben nicht in französischen Cafés oder italienischen Bars verdient, sondern in einer wertschöpfungsstarken Industriegesellschaft. Die Folgen sind weniger Wachstum, Arbeitsplätze, Konsum und Steuereinnahmen. Und dann brauchen wir noch mehr schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme zur Kompensation, sponsered by EZB.
Übrigens möge niemand die Erwartung hegen, dass Griechenland reformistische Tugend zeigen wird. Dennoch werden die Stabilitäts-Schaumschläger dem Land nichts Böses antun. Denn es ist mit seiner EU-Außengrenze von entscheidender Bedeutung in puncto Bewältigung der Flüchtlingskrise. Das wird Tsipras auszunutzen wissen. Das Geld wird fließen. Realpolitik, Dein Name ist Europa!
Reformlosigkeit wird also nicht nur nicht bestraft, sie wird sogar belohnt. Bei weiter anzunehmender Euro-reformpolitischer Trägheit gibt es aus dieser geldpolitischen Rettungsnummer nur einen Ausweg: Keinen!
Auf Seite 3: Der Weltspartag bleibt auch zukünftig ein Volkstrauertag
Der Weltspartag bleibt auch zukünftig ein Volkstrauertag
Die Geldpolitik hat zwar das Euro-Finanzsystem gerettet. Der Preis dafür war, ist und bleibt aber die Massenenteignung von Zinssparern. Wenn die Schuldzinsen nicht steigen, können es auch die Anlagezinsen nicht. Und dennoch lieben deutsche und eurozonale Anleger überhaupt weiterhin jede Form von Zinspapier. Knapp 80 Prozent der Altersvorsorge wird trotz niedrigster Erträge immer noch mit Zinsanlagen bestritten. Die Eurozone ist die Zone der Humoristen.
Liebe Zinssparer, gehen Sie bitte fremd, mit Aktien! Denn die Liquidität der EZB bleibt angesichts unattraktiver Zinsanlagen so etwas wie die Aorta der Aktienmärkte, mindestens aber eine Teilkaskoversicherung gegen Kursverluste. Auf die Rückkehr der Geldpolitik zur Normalität zu warten entspricht dem Warten auf den Sankt Nimmerleinstag. Im Gegenteil, zukünftig wird die Geldpolitik der EZB noch unkonventioneller.
So wird die Jahresend-Rallye an den Aktienmärkten im Trend weitergehen. Und auch vor 2016 ist mir nicht bange.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.