Dieser wirtschaftliche Bedeutungsverlust wirft Fragen über die deutsch-französischen Beziehungen auf. Zumal der Druck auf die beiden größten Volkswirtschaften der Euro-Zone steigt, im Kampf gegen die Schuldenkrise gemeinsam voranzugehen.

"Deutschland und Frankreich haben sich in den vergangenen Jahren in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelt", sagt der Direktor des Jacques Delors Instituts in Berlin, Henrik Enderlein. "Diese Divergenz macht uns Sorgen." In Deutschland begann 2006 der bis heute währende Aufschwung, der von der weltweiten Finanzkrise nur kurz unterbrochen wurde. Galt die Bundesrepublik zur Jahrtausendwende wirtschaftlich noch als "kranker Mann Europa", so hat sie ihre Vormacht als Europas größte Volkswirtschaft seither gefestigt. Rekordbeschäftigung, sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Reallöhne und Überschüsse im Staatshaushalt sind die Früchte, die nun dank der Reformen der "Agenda 2010" geerntet werden, wie sich Ökonomen weitgehend einig sind.

Frankreich hingegen steckt seit Jahren in einer ausgeprägten Konjunkturflaute, leidet unter Rekordarbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und einem beständig zu hohen Staatsdefizit. Die EU-Kommission traut der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone in diesem Jahr nur ein Wachstum von 1,0 Prozent zu, während viele Experten für Deutschland ein doppelt so großes Plus erwarten. Die Dauerflaute ist auch der Grund dafür, wenn der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) davon ausgeht, dass Frankreich seine jahrzehntelang unangefochtene Position als größter deutscher Exportkunde an die USA verliert.

AUCH CHINA UND GROSSBRITANNIEN AUF DER ÜBERHOLSPUR

"Die Vereinigten Staaten wachsen viel schneller als unser Nachbar", sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "2015 dürften unsere Exporte in die Staaten deshalb um 8,5 Prozent zulegen", erläuterte er. "Bei den Ausfuhren nach Frankreich ist hingegen nur ein Plus von knapp zwei Prozent drin." 2014 lieferten die deutschen Unternehmen Waren im Wert von 102 Milliarden Euro nach Frankreich - sechs Milliarden Euro mehr als in die USA. Diesen Rückstand könnten die USA schon in diesem Jahr aufholen, während China und Großbritannien ab 2018 an Frankreich vorbeiziehen könnten, wie der DIHK erwartet.

Dieser Trend allein ist für den Ökonomen Enderlein noch kein Grund, sich Sorgen um Frankreich zu machen. "Politisch kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand diese Rangliste so wichtig nimmt", sagt er. "Frankreich wird immer unter unseren Top-Handelspartnern bleiben. Die Beziehungen bleiben wirtschaftlich sehr, sehr eng." Aber gerade deshalb wird in Berlin mit großer Sorge auf den westlichen Nachbarn geschaut.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gab vorigen Herbst mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron ein Gutachten in Auftrag, dass Reformideen für Deutschland und Frankreich liefern sollte. "Als die beiden größten Volkswirtschaften in Europa haben Frankreich und Deutschland eine besondere Verantwortung und eine wichtige Rolle, um sowohl für eine rasche Erholung als auch für ein kräftiges und dauerhaftes Wachstum sich sichern", wurde das damals begründet.

Enderlein ist einer der Autoren des Werkes. Er hofft, dass zumindest einige seiner Vorschläge nun auch umgesetzt werden. "Beide Länder sind kein integrierter Markt, weil die regulatorischen Hürden auf beiden Seiten viel zu hoch sind - etwa für Internetunternehmen", sagt der Experte. "Mein Vorschlag ist daher, ein gemeinsames Datenschutzgesetz zu verabschieden - mit einem identischen Gesetzestext auf beiden Seiten." Das Kalkül dahinter: Mit einem Schlag würde ein doppelt so großer Markt für Internetunternehmen entstehen. Gerade kleine und junge Firmen könnten sich dann teure Rechtsexperten sparen und neue Ideen, Dienstleistungen und Produkte sofort in beiden Ländern anbieten.

Auch auf anderen Feldern kann sich Enderlein solch ein gemeinsames Vorgehen vorstellen - etwa auf dem Energiesektor. "Hier gelten völlig unterschiedliche Regeln, etwa für Subventionen für erneuerbare Energien", betont der Ökonom. "Will ein Unternehmen in beiden Ländern aktiv sein, muss es praktisch zwei unterschiedliche Firmen betreiben."

GROSSES POTENZIAL

Das sieht die Industrielobby beider Länder genauso. "Bei den Themen Energieunion und Digitalisierung müssen Deutschland und Frankreich gemeinsam Zugpferd in Europa sein, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu wahren", fordern BDI-Präsident Ulrich Grillo und sein französischer Kollege Pierre Gattaz. Allein ein digitaler Binnenmarkt mit einheitlichen Regeln könnte Europa nach einer BDI-Studie bis 2025 einen Zuwachs von bis zu 1,25 Billionen Euro an industrieller Wertschöpfung bringen.

Die Krise in Frankreich erhöht den Druck auf beide Regierungen, noch enger zusammenzuarbeiten und in Europa vorzupreschen. Paris kann sich weitere Jahre der Stagnation nicht leisten, Berlin dem Niedergang des politisch wie wirtschaftlich so wichtigen Nachbarn nicht tatenlos zusehen. Francois Hollande mag in den kommenden Jahren nicht mehr als Präsident des wichtigsten deutschen Exportkunden nach Berlin reisen. Dafür aber vielleicht als Staatschef eines Landes, das die Weichen für eine bessere Zukunft gestellt hat.