Herr Halver, die FDP hat gestern die Sondierungen über eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP abgebrochen. Wie überrascht sind Sie?
Es ist überraschend und dennoch wieder nicht. Natürlich gibt es den Druck, irgendwie eine Regierung bilden zu müssen. Doch müssen auch die Inhalte stimmen. Wenn sich eine Partei in puncto Markenkern nicht durchsetzen kann, läuft sie Gefahr, in vier Jahren abgewählt zu werden und aus dem Bundestag zu verschwinden. Genau dieses Schicksal hat die FDP ja zwischen 2009 und 2013 erlitten, als Frau Merkel die FDP am langen Arm hat verhungern lassen. Auf eine Wiederholung hat bei den Liberalen keiner Lust. Allerdings haben alle Sondierungspartner Schuld am Scheitern, nicht nur die FDP allein, auch wenn sich hier jetzt viele einen schlanken politischen Fuß machen wollen und die FDP ans Kreuz nageln wollen. Öl und Wasser lassen sich eben nicht mischen.
War’s das jetzt mit Jamaika oder erwarten Sie, dass die Liberalen noch mal an den Verhandlungstisch zurückkehren?
Die Sonne über Jamaika ist untergegangen und sie geht auch nicht mehr auf, sonst hätte man ja weiterverhandeln können, auch bis Weihnachten. Die Frage ist, ob es nicht sogar besser ist, wenn Jamaika nicht kommt. Was bringt es denn, wenn man nur aus persönlichem Selbstzweck regiert, aber nicht mit klarer Reformpolitik dem Gemeinnutz dient. Wir brauchen klare Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung unseres Wirtschaftsstandorts. Dazu gehören auch Bildung und das beherzte Angehen der Digitalisierung, die man bitte nicht nur als soziales Problem auffassen sollte. Entweder Deutschland macht hier mit oder wir werden gefressen und Made in Germany verblasst zulasten der Arbeitnehmer. Grundsätzlich sind die Jamaika-Partner wie Öl und Wasser. Da verbindet sich nichts. Bei jedem größeren Problem würde man doch nur moderieren statt regieren, nur verwalten statt zu gestalten. Es wächst nichts zusammen, was nicht zusammengehört.
Kommen also jetzt Neuwahlen oder eher eine Minderheitsregierung und damit wachsende politische Unsicherheit?
Zuerst, vermute ich, kommt eine Minderheitsregierung, weil der Bundespräsident sich nicht als Erfüllungsgehilfe von strategischen parteipolitischen Stimmgewinn-Visionen leiten lassen will. In einem Zeitraum von maximal zwei Jahren wird es dann zu Neuwahlen kommen. Eine gewisser politischer Charme liegt aber auch in einer Minderheitsregierung. Die Rechte der Bundestagsabgeordneten, die lange Jahre offenbar nur zum Abnicken gebraucht wurden, werden wichtiger. Es ist gut, wenn unser "Präsidialsystem" wieder parlamentarisiert wird. Am Ende brauchen wir aber eine klare stabile Mehrheit in Deutschland.
Deutschland ist keine Bananenrepublik, sondern die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt und das bedeutendste Euro-Land. Gerade jetzt, wo es um den finalen Kampf geht, ob Europa Stabilitätsunion bleiben will oder zu einer Schuldenunion à la francaise werden soll, muss Deutschland stark sein. Denn im Moment hat Macron in Frankreich eine dicke absolute Mehrheit und die Mehrheit der anderen Euro-Länder ist eindeutig mehr an Schuldentoleranz als an Stabilitäts- und Reformdruck interessiert. Ein kakophonischer Berliner Hühnerhof wäre kein geeignetes Gegengewicht zu Paris.
Wird Angela Merkel an der Spitze der nächsten Bundesregierung stehen?
Sie wird zunächst an der Spitze der nächsten Regierung stehen, doch ist ihr Stern - gemäß ungeschriebenen politischen Gesetzten - stark gefallen. Das Scheitern von Jamaika wird man vor allem auch ihr ankreiden.
Welche Entwicklung erwarten Sie beim Euro?
Der Euro mag zunächst etwas nachgeben. Aber das wird nicht weiter stören, zumal damit der europäische und deutsche Export Unterstützung bekommt. Die "Schmerzen" halten sich also in Grenzen. Ohnehin will jedes Land über eine schwache Währung exportieren. Da wird man der Eurozone über Gebühr keine schwache Währung zubilligen. Immerhin befinden wir uns im weltweiten Abwertungswettlauf.Was bedeutet das Scheitern der Gespräche für die Börsen?
Zunächst reibt man sich die Augen. Das erste Mal seit 1949 steht Deutschland ohne stabile Regierung da. Ja, Deutschland, das Land, das als Benchmark für politische Stabilität in Europa, wenn nicht sogar weltweit gilt. Aber nach dem zweiten Nachdenken wird man sich an den Börsen daran halten, dass es spätestens nach einer Neuwahl zu einer Regierung kommt. Eine Bananenrepublik werden wir nicht. Denn dann werden sich die Sozialdemokraten nicht mehr verweigern können und auch in einer Große Koalition stimmt. Denn dann könnten sie klare personelle Konsequenzen beim Koalitionspartner als Bedingung dafür benennen, die man ihnen auch nicht verweigern wird. Überhaupt gilt dann der alte Spruch der SPD: Erst das Land, dann die Partei.
Im Übrigen haben viele Länder keine stabilen politischen Verhältnisse, s. Großbritannien und ob die USA gut regiert werden sei dahingestellt. Auch wir Deutsche müssen uns daran gewöhnen, dass die allgemeine politische Realität auch bei uns kommen kann.
Wird das nur ein kurzer Dämpfer oder müssen Anleger sich jetzt auf Schaukelbörsen oder gar auf eine längere Talfahrt einstellen?
Politische Börsen haben kurze Beine. Das ist die Botschaft seit mehreren Jahren. Und so wird es auch dieses Mal sein. Solange die Notenbanken das Börsenschiff steuern und die Weltkonjunktur stabil ist, kann man von den Niederungen der Politik abstrahieren. Ohnehin sind die deutschen Unternehmen nicht an Deutschland gebunden. Sie können weltweit investieren. Ihnen wird weltweit der rote Teppich ausgelegt. Aber für den deutschen Arbeitsmarkt wäre es dringend erforderlich, dass in deutschen Regierungen wieder mehr Wirtschaftskompetenz vorhanden ist und weniger Gesundbeterei und Innovationsalarm. Die augenblicklich gute Lage ist eben nur augenblicklich gut. Wir müssen die Zukunft gewinnen mit einer wirtschaftspolitisch innovativen Regierung, egal welche Farbkombination sie beinhaltet.