"Die EZB muss sehr vorsichtig agieren, immer gut kommunizieren und zwar im Vorgriff und die Märkte nicht überraschen", sagt Börsen-Experte Tobias Basse von der NordLB. Im Zweifel sei es besser, etwas mehr zur Vorsicht zu neigen als den Märkten zu viel auf einmal zuzumuten. "Das ist der US-Notenbank Fed gut gelungen - mit einer Ausnahme." Als 2013 der damals amtierende Fed-Chef Ben Bernanke nach Jahren der Krisenpolitik überraschend von einer möglichen Beendigung der Anleihenkäufe sprach, löste er damit weltweit Börsenturbulenzen aus. Dies will die EZB unbedingt vermeiden.
Die Euro-Notenbank hat für das Ende ihrer Wertpapierkäufe, die im März 2015 starteten und mittlerweile auf 2,55 Billionen Euro angelegt sind, eine wichtige Bedingung gesetzt: Die Inflation muss sich nachhaltig auf ihre Zielmarke von knapp zwei Prozent zubewegen. Dieses Niveau garantiert der EZB einen ausreichenden Puffer gegenüber fallenden Preisen. Denn eine Abwärtsspirale aus sinkenden Löhnen, stockenden Investitionen und fallenden Preisen lässt sich geldpolitisch nur sehr schwer bekämpfen - wie die jahrzehntelange Wirtschaftsflaute in Japan gezeigt hat.
Für die Volkswirte der Bank of America Merrill Lynch hängt jetzt viel von den Inflationsdaten der nächsten Monate ab: "Die Schlüsselfrage ist, ob die EZB bis Ende des zweiten Quartals in der Lage sein wird, ohne Zweifel zu erklären, dass eine solche nachhaltige Anpassung da ist." Schwache Preisdaten würden sie zwar nicht von der Beendigung der Käufe abhalten. "Aber das könnte die innere Konsistenz der EZB-Botschaft ankratzen und potenziell die Börsenreaktion auf das Ende der Anleihenkäufe beeinflussen."
Die jüngsten Prognosen der hauseigenen EZB-Ökonomen sagen für 2020 eine Teuerung von 1,7 Prozent hervor. Im März lag die Inflation bei 1,4 Prozent, nach lediglich 1,1 Prozent im Februar. Laut Draghi ist die Notenbank wegen der mittlerweile wieder rund laufenden Konjunktur zuletzt zwar zuversichtlicher geworden, dass der Preisauftrieb mit der Zeit an Stärke gewinnt. Aber es bestünden noch Unsicherheiten.
ZINSAUSBLICK RÜCKT IN DEN FOKUS
Aus Sicht der Chefvolkswirtin der norwegischen Bank DNB, Kjersti Haugland, kann die EZB nicht einfach ein Ende der Anleihenkäufe verkünden. Ein solcher Schritt müsse flankiert werden mit einem Versprechen, die Zinsen noch für längere Zeit niedrig zu halten. "Das wird notwendig sein, damit vermieden wird, eine unerwünschte Verschärfung der Finanzbedingungen auszulösen, wie etwa einen merklichen Anstieg der Marktzinsen sowie des Euro."
Haugland spricht damit zwei neuralgische Punkte an: Denn mit steigenden Staatsanleihen-Zinsen würden die Finanzprobleme der schuldengeplagten Südeuropäer womöglich wieder zunehmen, da es dann teurer wäre, sich frisches Geld am Kapitalmarkt zu besorgen. Und ein starker Euro schmälert tendenziell die Absatzchancen europäischer Waren auf dem Weltmarkt und verbilligt die Importe - mit inflationsdämpfenden Folgen. Beides käme der EZB in einer Phase des Übergangs höchst ungelegen. Haugland erwartet, dass sie deshalb ihren Ausblick neu fasst und eine erste Leitzinserhöhung nicht vor Sommer 2019 in Aussicht stellt.
Mit ihren bisherigen Trippelschritten konnte die EZB Kursturbulenzen weitgehend vermeiden. Bereits 2017 strich sie aus ihrem Ausblick die Option, die Leitzinsen weiter zu senken. Diese liegen seit März 2016 schon auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Zudem halbierte die EZB von diesem Januar an das Volumen ihrer monatlichen Wertpapierkäufe auf 30 Milliarden Euro. In der Spitze waren es einst 80 Milliarden Euro. Und erst kürzlich kippten die Hüter des Euro ersatzlos die Option, ihre Anleihenkäufe notfalls erneut auszuweiten. Ein kompletter Stopp wäre allerdings eine Zäsur, sind sie doch das zentrale Instrument gegen die schwache Preisentwicklung.
Laut Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Bank ING-Diba, wird viel davon abhängen, ob die im Juni erwarteten Inflationsprognosen der Notenbank-Ökonomen bis 2020 wirklich einen Trend zu mehr Preisauftrieb zeigen. "Dann könnte die EZB die Käufe nach September auf 20 oder 15 Milliarden Euro monatlich verringern und bis Jahresende ganz einstellen." Eine erste Leitzinserhöhung sei dann im späteren Jahresverlauf 2019 drin. Sollten die Daten allerdings enttäuschen, schließt Brzeski eine Verlängerung der Käufe um sechs Monate bis März 2019 nicht aus. Das würde aus seiner Sicht auch die erste Anhebung seit 2011 nach hinten schieben - womöglich sogar bis ins Jahr 2020 hinein.
rtr