Auch mit den lautstark von Brexit-Befürwortern versprochenen neuen Möglichkeit für London, auf eigene Faust und an Brüssel vorbei Handelsverträge mit Staaten weltweit zu besiegeln, wird es auf Jahre hin nichts. Die Kröten könnten für wichtige britische Politiker zu groß und zahlreich sein, um sie zu schlucken. Brexit-Minister Dominic Raab ergriff bereits die Flucht. Und die notwendige Zustimmung des britischen Unterhauses zu dem vorläufigen Vertragswerk ist unsicher.
ALLES HÄNGT AN NORDIRLAND
Dreh- und Angelpunkt für die Weichenstellungen in den 585 Seiten des Ausstiegsvertrags ist der Clinch um die irische Grenze zu Nordirland. Die wird nach dem Brexit eine EU-Außengrenze. Dort soll es nach dem Willen von Brüssel auf keinen Fall wieder Kontrollen geben. Befürchtet wird ein Wiederaufflammen der Gewalt zwischen Katholiken und Protestanten. Also sollen nicht nur Personen, sondern auch Waren die Provinz ohne Kontrollen durchqueren können. Das wirtschaftliche Zusammenwachsen der Region wird als elementar für einen dauerhaften Frieden gesehen.
Um das zu gewährleisten, wäre ein Handelsvertrag zwischen der EU und dem Königreich nötig. Doch darüber kann erst ab dem Brexit Ende März verhandelt werden, wenn das Land ein EU-Drittstatt wird. Zudem ist unklar, wie lange die Verhandlungen über das Handelsabkommen dauern werden. Die EU-Kommission, die beim Außenhandel allein zuständig ist, benötigte beispielsweise für den Abschluss des jüngsten Handels-Deals mit Japan fünf Jahre - und der wird erst 2019 Inkrafttreten.
Beobachter weisen zwar daraufhin, dass Großbritannien als ehemaliges EU-Vollmitglied von einer ganz anderen Position startet. Doch dürften die Verhandlungen auf jeden Fall Jahre dauern. Hier wird es keinen schnellen Erfolg für die Brexit-Verfechter geben.
VERLÄNGERUNG BIS "20XX"
Auch mit der Hoffnung von Brexit-Fans, dass London schnell neue Handelsverträge zu besseren Konditionen schließen könnte, wenn man erst einmal die EU verlässt, wird es wohl nichts. Denn solange das Königreich noch eng mit der Staatenunion verbandelt ist, kann es keine eigenen Abkommen abschließen.
Und die Periode wird sich wohl noch hinziehen. Vereinbart ist bereits der sogenannte Brexit-Übergang. Die Verlängerung dauert vom EU-Ausstieg Großbritanniens im März 2019 bis Ende 2020. In der Zeit muss das Königreich sich an EU-Regeln halten, verbleibt aber im Binnenmarkt. Der Punkt ist insbesondere für Firmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals wichtig, die nun ihre Geschäfte ohne Unterbrechung weiterbetreiben können. Da die Übergangszeit aber zu kurz ist, um den Handelspakt zwischen EU und London zu besiegeln, sieht der Ausstiegsvertrag eine einmalige Verlängerung vor - bis "20XX". Also von unbekannter Länge. Auch hier schrillen in London die Alarmglocken.
Falls auch die Verlängerung nicht genügend Zeit für eine Handelseinigung schafft, hat die EU-Kommission eine Art Versicherungs-Police durchgesetzt, den sogenannten Backstop. "Wir wissen nicht, was die nächste Regierung in London macht", begründete ein Vertreter eines EU-Landes die Vorsicht. Der Backstop würde das Königreich in einer Zollunion mit der EU halten, wobei Nordirland eine Sonderrolle hätte. Die Provinz müsste sich stärker als der Rest des Landes an das EU-Zollsystem und die Produktstandards halten. Gültig ist die Klammer, bis beide Seiten sich auf eine dauerhafte Lösung einigen. Auch wenn beide Seiten betonen, dass der "Backstop" nie greifen soll, ist seine Laufzeit de facto unbegrenzt. Neue Handelsverträge sind in der Zeit nicht erlaubt. Damit will die Kommission verhindern, dass die Briten Waren zu günstigeren Zöllen importieren als man es selbst kann. Vor allem die nordirischen Unionisten aber lehnen eine Sonderstellung der Provinz kategorisch ab.
rtr