Emmanuel Macron hat die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 58,55 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. An den Börsen wurde sein Sieg erwartet. Was bedeutet der Ausgang der Wahl jetzt für die Märkte?


An den Börsen war die Wahl nur eine Randnotiz - vor und nach der Stichwahl. Nur für den Fall eines überraschenden Siegs Le Pens wären größere Ausschläge wahrscheinlich gewesen. Die Wiederwahl Macrons bedeutet Kontinuität, vor allem im europäischen Kontext. Damit richtete sich der Fokus sofort wieder auf die derzeit wesentlichen marktbeeinflussenden Faktoren, vor allem auf den Ukrainekonflikt, eng damit zusammenhängend die weiteren Konjunkturperspektiven, die globalen Lieferkettenprobleme unter besonderer Berücksichtigung der Pandemielage in China sowie die Auswirkungen der anhaltend hohen Inflation und steigender Zinsen. Diese Gemengelage wirkt aktuell negativ auf Aktien und den Euro. Daran konnte auch Macrons Sieg nichts ändern.

Macron versprach am Sonntagabend, sich für "ein stärkeres Europa" einzusetzen. Wie könnte das aussehen?


Der Begriff "stärkeres Europa" gewinnt angesichts des Ukrainekrieges gerade massiv an Bedeutung. Macrons Sieg ist die Grundlage für eine engere innereuropäische Kooperation, vor allem mit Deutschland und Italien. Eines der drängendsten Themen ist die bessere Koordination der Verteidigungsstrategien. Aber auch andere, von Macron in den Vordergrund gestellte Aspekte wie die Energiewende werden nur kooperativ mit den europäischen Nachbarn effektiv zu meistern sein. Letztlich wird es darauf hinauslaufen, auch finanziell einen stärkeren Ausgleich, eine fiskalische Integration zwischen den europäischen Staaten zu forcieren. Macron dürfte entsprechende Gesprächsangebote an die europäischen Regierungen zeitnah lancieren. Allerdings ist das Zeitfenster eng, denn im Mai 2023 finden Parlamentswahlen in Italien statt, nach denen der sehr pro-europäisch eingestellte Ministerpräsident Mario Draghi abtreten dürfte. Ob Macron auch die Verlagerung von politischer Macht gen Brüssel anstreben wird, darf bezweifelt werden, weil er damit eine der Kernsorgen vieler Franzosen untermauern würde.

Er möchte eine engere europäische Zusammenarbeit auch in Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Was bedeutet das für die heimische Rüstungsindustrie?


Die Rüstungsindustrie rückt zumindest kurzfristig in ein anderes, ein weniger negatives Licht, unabhängig von der Frankreich-Wahl. Niemand möchte gern Geld für Rüstung ausgeben, aber die aktuellen Entwicklungen zwingen dazu und werden die Nachfrage für die Industrie unterstützen. Der positive Effekt der Friedensdividende ist offensichtlich weg. Die engere Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen innerhalb Europas liegt damit auf der Hand und dürfte in den kommenden Jahren auch von Macron forciert werden.

Macron hat in Energiefragen einiges vor. So soll Frankreich als erstes Industrieland aus den Energieträgern Gas, Öl und Kohle aussteigen. Erwarten Sie einen Schub für erneuerbare Energien oder dürfte lediglich die in Frankreich traditionell sehr wichtige Atomkraft davon profitieren?


Der Schub für Erneuerbare Energien wird auch durch Macron unterstützt, wird aber letztlich entscheidend durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens mit dem Wunsch nach einer weitgehenden Dekarbonisierung der Volkswirtschaften in Europa getragen. Frankreich setzt dabei anders als Deutschland auch auf die Atomkraft und diversifiziert in diesem Sinne die Risiken der Energiewende.

In seiner ersten Amtszeit hatte Macron Reformen angestoßen: Er hatte etwa die Steuerlast der Firmen gesenkt oder den Arbeitsmarkt aufgebrochen. Die Arbeitslosigkeit sank. Welche Reformen erwarten Sie für seine zweite Amtszeit?


Macron kann mit Blick auf seine erste Amtszeit klare Erfolge vorweisen, unter anderem wurde die Arbeitslosenquote deutlich gesenkt - trotz zwischenzeitlicher Corona-Rezession - und es hat sich eine wachsende Startup-Szene in Frankreich etabliert. Eines der wichtigsten Vorhaben zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs steht allerdings noch aus, die Rentenreform inklusive Anhebung des Renteneintrittsalters. Macrons Anspruch ist, diesen für viele Franzosen wunden Punkt nach ersten Ansätzen in den letzten 5 Jahren noch einmal anzugehen und erfolgreich umzusetzen. Kurzfristig wird er zudem auch den steigenden Unmut der Bevölkerung über stark steigende Lebenshaltungskosten adressieren müssen.

Macron kündigte im Wahlkampf an, das Mindestrentenalter anzuheben und Sozialleistungen an Bedingungen wie eine 15- bis 20-stündige Ausbildung zu knüpfen. Könnten diese Reformen Erfolg haben oder erwarten Sie dadurch eine neue Welle an Protesten, ähnlich der "Gelbwesten"-Proteste?


Weitere Sozialreformen sind in Frankreich dringend notwendig, nicht zuletzt, um der stark gestiegenen Staatsschuldenquote zu begegnen. Größere Proteste dagegen sind aber auch sehr wahrscheinlich. Ob Macron weitere Reformen umsetzen kann, hängt entscheidend vom Ausgang der kommenden Parlamentswahlen ab. Ohne eine Mehrheit im Parlament wird er keine entscheidenden Schritte erzielen können.

Wie gefährlich können die Parlamentswahlen im Juni Macron werden?


Zumeist gewinnt in Frankreich die Partei des kurz zuvor gewählten Präsidenten auch die Parlamentswahlen. Allerdings werden seine Herausforderer, neben Marine Le Pen vor allem auch Jean-Luc Mélenchon, alles daransetzen, das zu verhindern. Macron kann sich trotz seines Wahlsiegs nicht auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung stützen. Vielmehr ist Frankreich tief gespalten. Viele sind unzufrieden, eher europakritisch eingestellt und haben Macron nur gewählt, weil sie Le Pen verhindern wollten. Ein entsprechend hohes Überraschungspotenzial bieten die Parlamentswahlen. Macron sollte den Wahlgang nicht unterschätzen und in den kommenden Wochen einen beherzten Wahlkampf führen, anders als vor der Aprilwahl.