Die Debatte ist kurz vor den Landtagswahlen auch deshalb verwirrend, weil Spitzenkandidaten von SPD und Grünen die CDU-Chefin gegen Kritik aus den eigenen Reihen in Schutz nahmen - während SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt, die Wende sei längst da. Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer wiederum betonten einerseits nach dem Unions-Spitzentreffen am Mittwoch, dass sie an ihren Positionen festhielten. Andererseits sagte Seehofer nun dem "Spiegel": "Es gibt eine Wende in der Flüchtlingspolitik durch die weitgehende Schließung der Balkan-Route."

Die Lage scheint verwirrend. Tatsächlich dürfte sich aber auf dem EU-Sondergipfel am Montag zeigen, wie sehr sich die europäische Flüchtlingspolitik in den vergangenen Wochen bereits verändert hat. Und das hat Auswirkungen auf die Debatte in Deutschland. Wer nur auf strittige Fragen wie Obergrenzen oder Tageskontingente schaut, übersieht zum Beispiel, dass die 28 EU-Regierungen bereits Mitte Februar vereinbart haben, die Politik des "Durchwinkens" zu beenden und schrittweise zu den Regeln des passfreien Schengen-Raumes zurückzukehren. Dazu gehört, dass Asylanträge in den Staaten mit Schengen-Außengrenzen gestellt werden sollen - und nicht im EU-Land der Wahl. Die EU-Kommission möchte bis zum Jahresende einen so effektiven Schutz der EU-Außengrenzen erreichen, dass die überall verhängten nationalen Grenzkontrollen in der EU wieder aufgegeben werden können.

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KONTROLLEN STATT DURCHWINKEN



Dieser Weg konnte aber nur eingeschlagen werden, weil einige EU-Staaten dies seit Wochen vorbereiten - darunter Deutschland. Schrittweise hat die Bundesregierung die Politik des Durchwinkens bereits beschränkt. So wurden 2015 Flüchtlinge, die nach Schweden wollten, von Bayern bis Schleswig-Holstein einfach durchgewunken, obwohl sie eigentlich einen Asylantrag schon in den EU-Staaten südlich der Bundesrepublik hätten stellen müssen. Seit Anfang dieses Jahres sind dagegen mehr als 7300 Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze abgewiesen worden - entweder weil sie keine Papiere hatten oder kein Asyl in Deutschland beantragen wollten.

Im Oktober hatte der Balkan-Gipfel in Brüssel außerdem den Aufbau von Aufnahmestellen entlang der Balkanroute vereinbart. Dies hatte vor allem humanitäre Gründe, aber nicht nur. Denn erst wenn zurückgewiesene Migranten versorgt werden können, können die EU-Staaten die Schrauben wieder anziehen, ohne Katastrophen zu riskieren. Auch die "Hotspots" in Griechenland haben eine Versorgungsfunktion. Deshalb kann Merkel heute anders entscheiden als im September: Damals waren Ungarn und Österreich überfordert, Deutschland sprang ein. Nun sagt Merkel mit Blick auf die an der mazedonischen Grenze Gestrandeten: "Es gibt Übernachtungsmöglichkeiten und Aufenthaltsmöglichkeiten in Griechenland und die müssten auch von den Flüchtlingen genutzt werden."

Für Merkel gibt es also eigentlich keine Wende, obwohl sich die Politik für die Betroffenen faktisch verändert. Deshalb ist auch die Kluft zwischen Seehofer und Merkel heute weniger tief als oft beschrieben. Seehofer hat mehrfach betont, dass sich die Kanzlerin auf ihn zubewege, wenn auch zu langsam. Die Kanzlerin wiederum hat klargemacht, dass auch sie für eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen sorgen werde - nur will sie eben nicht über einen nationalen Plan B reden, weil sie weiter an eine Lösung mit den anderen EU-Staaten und der Türkei glaubt.

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DIE REIHENFOLGE MACHT DEN UNTERSCHIED



Ein Hinweis auf die kleiner werdenden Differenzen war, dass sich Seehofer am Mittwoch nach dem Unions-Spitzengespräch hinter Merkels Ansatz stellte - und lediglich mehr Tempo einforderte. "Wenn die internationalen Maßnahmen nicht rechtzeitig oder nicht wirksam genug kommen, werden wir um nationale Maßnahmen der Begrenzung nicht umhinkommen", sagte er.

Auch in der EU wird mittlerweile vor allem über die Geschwindigkeit und die Reihenfolge der Schritte gestritten und weniger über das Ziel an sich. Merkel wollte erst den Schutz der EU-Außengrenzen, die Vereinbarung mit der Türkei und ausreichend große Aufnahme- und Verteillager in Griechenland sehen, bevor man zu den alten Schengen-Regeln zurückkehrt. Österreich und die Osteuropäer haben mit ihren Tageskontingenten die Reihenfolge umgekehrt, was dann für den für Rückstau von rund 10.000 Menschen an der mazedonisch-griechischen Grenze gesorgt hat.

Die große Streitfrage der Verteilung der Flüchtlinge wird nun übrigens ans Ende gestellt, auch darüber sind alle einig: Wenn die Zahl der Neuankömmlinge erst drastisch zurückgegangen ist, so die Hoffnung in Berlin, werden viele EU-Staaten auch Flüchtlinge direkt aus Griechenland oder der Türkei aufnehmen.

Reuters