Herr Halver, bei den französischen Präsidentschaftswahlen ist die befürchtete Katastrophe ausgeblieben. Statt der europa-feindlichen Marine Le Pen hat der liberale Emmanuel Macron mit einer klaren Zwei-Drittel-Mehrheit das Rennen gemacht. Ist jetzt alles wieder in Butter in Europa?
Es ist sicherlich beruhigend, dass mit der Wahl Macrons das größte politische Risiko des Superwahljahres 2017 vom Tisch ist und der Kelch des Austritts der Franzosen aus EU und Eurozone zunächst an den Anlegerinnen und Anlegern vorübergegangen. Aber jetzt beginnt die eigentliche Arbeit in Frankreich. Das "Sunnyboy-Image" des neuen Staatspräsidenten muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Er muss nach den Parlamentswahlen im Juni 2017 wahrscheinlich eine "Cohabitation", also eine Zusammenarbeit mit liberalen Sozialisten und Konservativen, eingehen. Damit wird viel an macronistischem Reformeifer zur Gesundung der französischen Wirtschaft verwässert. Ab sofort findet die Kärrnerarbeit statt.
Der Dax und andere Leitindizes haben positiv reagiert. Geht die Erleichterungsrallye an den Börsen jetzt weiter?
Die Aktienmärkte haben das französische Wahlergebnis erwartet. Von daher ist die Erleichterungsrallye ausgeblieben. Es könnte jetzt auch einmal zu Gewinnmitnahmen kommen, die aber in ihrem Ausmaß nicht der ohnehin kalauerhaften Börsenregel "Sell in May and go away" entsprechen. Dafür ist nicht zuletzt die konjunkturelle und gewinnseitige Stimmung zu stabil.
Aber der Markt ist schon sehr heiß gelaufen. Der Dax hat alleine seit dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen vor zwei Wochen rund sechs Prozent zugelegt. Seit Jahresanfang liegen wir inzwischen elf Prozent vorn. Wie viel Luft hat der Dax noch nach oben?
Im weiteren Jahresverlauf ist für den DAX noch mehr drin, auch über 13.000 Punkten. Denn nach dem Abebben politischer Risiken in Europa, einem handelsprotektionistisch verhalten auftretenden US-Präsidenten Trump, einer weltkonjunkturellen Stabilisierung mit verbesserten Gewinnaussichten für Unternehmen bei gleichzeitig üppig bleibender Geldpolitik spricht viel für Aktien und wenig für Zinspapiere. Das verhindert nicht, dass es zu zwischenzeitlichen Aktienkonsolidierungen kommt. Die sind sogar gesund.
Auf Seite 2: Die Aussichten für Gold und den Euro
Hat Gold als Krisenwährung damit jetzt erst mal ausgedient?
Gold hat in den letzten Tagen zu viel verloren. Von daher ist eine Gegenbewegung angesagt. Bis zum Ende des Jahres ist aber kaum ein Preis von 1300 Dollar pro Unze zu erwarten. Das liegt einerseits an den fortgesetzten Drückungsaktionen der Notenbanken, die Gold als Ersatzwährung zu Geld kleinhalten wollen. Und andererseits hat sich das politische Risiko in Europa zunächst zurückgebildet, was eine Krisenwährung wie Gold naturgemäß behindert. Mit Blick auf die nachhaltige Verschuldung der Finanzwelt und einem auch unter Macron nicht ausbrechenden Reformeifer bleibt Gold für mich jedoch unbedingt eine langfristig faszinierende Anlageform. Für mich glänz Gold nach wie vor. Die Zeit der Goldbesitzer wird noch kommen.
Und beim Euro?
Der Euro neigt zur Stärke, weil die Themen Eurosklerose und Deflation ihren Schrecken verloren haben. Auch haben viele Nicht-Euro-Anleger Europa als Aktienmarkt wiederentdeckt, zumal in Amerika die Trumponomics Ladehemmung haben. Totgesagte leben offensichtlich länger. Bis Jahresende sollte der Euro zwischen 1,08 und 1,10 stehen.
Der neue französische Präsident steht vor einer Unzahl von Herausforderungen. Eines der wichtigsten Probleme ist die hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich und der stark regulierte Arbeitsmarkt. Aber die französischen Gewerkschaften sind in der Vergangenheit selbst gegen kleinste Deregulierungsversuche auf die Barrikaden gegangen. Trauen Sie Macron hier die überfällige Wende zu?
Wenn nach einem konservativen Sarkozy und einem sozialistischen Hollande auch noch ein pragmatischer Macron an der französischen Wirtschaftsgesundung scheitert, könnten bei der nächsten Präsidentenwahl 2022 aus Wählerenttäuschung doch noch rattenfängerische Europa-feindliche Parteien an die Futtertröge der Pariser Politik gelangen. Trotz des vermeintlichen Euro-Jokers Macron kommt Europa dann schließlich doch noch unter die Guillotine.
Es ist überhaupt fraglich, ob Macron die heißen Reformeisen anpackt. Ein bisschen Arbeitsmarktreform und wirtschaftsfreundliche Politik genügt nicht. Hier müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden. Die 35-Stundenwoche ist ein Dinosaurier aus der Sozialromantik. Frankreich braucht eine Agenda-Politik wie Deutschland vor 15 Jahren. Nur wenn Unternehmen bereit sind, in Frankreich freiwillig zu investieren, werden Arbeitsplätze geschaffen. Vor allem den vielen arbeitslosen Jugendlichen darf er sprichwörtlich nicht nur wie dem Esel die Karotte vor die Nase halten, sondern ihnen auch die Chance geben, diese zu erlangen. Die Gewerkschaften allerdings, die in hohem Maße ideologisch und bislang wenig pragmatisch sind, werden Macron wo es geht Steine in den Reformweg legen. Und wenn im Parlament die Abgeordneten merken sollten, dass der politische Stern Macrons fällt, werden sie sich auf dem Absatz umdrehen und sich von Macron distanzieren.
Man sollte nicht vergessen, welche Auseinandersetzungen unsere Hartz IV-Reformen in Deutschland verursachten. In Frankreich werden die Konflikte noch deutlich größer werden.
Ich wünsche Herrn Macron zwar diesen Erfolg von Herzen. Aber es ist wird eine Aufgabe, die selbst Hercules nicht hätte lösen können. Seine Bewegung "En Marche" wird kein Durchmarsch werden.
Auf Seite 3: Welche Belastungen dem deutsch-französischen Verhältnis bevorstehen
Frankreich ist traditionell der engste Freund und Partner Deutschlands und der wichtigste Verbündete in der EU. Macron hat sich im Wahlkampf unter anderem für einen Finanzminister in der Eurozone ausgesprochen. Berlin steht dem bislang skeptisch gegenüber. Außerdem hat auch Macron Deutschland wegen seiner Handelsbilanzüberschüsse kritisiert. Dazu würde er die Ausgabe von gemeinsamen Euro-Anleihen begrüßen, was Berlin entschieden ablehnt. Wie groß ist vor diesem Hintergrund die Gefahr, dass die deutsch-französische Freundschaft hier ernsthaften Schaden nehmen könnte und was verheißt das für die Zukunft der EU?
Der Konflikt zwischen Paris und Berlin ist vorprogrammiert. Es ist zwar schön zu wissen, dass Macron die europäische Idee verbreitern will. Aber in welche Richtung? Macron ist ein Anhänger der Vergemeinschaftung von Schulden der Euro-Länder. Er findet Eurobonds so lecker wie französische Karamell-Bonbons. Kein Wunder, denn dann bekommt sein bonitätsschwaches Land bessere Zinskonditionen, für die der linksrheinische Nachbar im Sinne höherer eigener Schuldzinsen den Kopf hinhalten darf. Das stärkt nicht unbedingt den Anreiz für eigene, französische Reform- und Stabilitätsbemühungen. Mit einem Präsidenten Macron kommt es zu einem harten deutsch-französischen Richtungsstreit zwischen Europäischer Stabilitäts- und Romanischer Schuldenunion.
Die Kritik am deutschen Handelsüberschuss ist ein Ablenkungsmanöver. Zunächst einmal wird niemand - auch nicht in Frankreich - gezwungen, ein deutsches Auto oder eine deutsche Maschine zu kaufen. Die Käufer tun das freiwillig, weil sie von der Qualität überzeugt sind. Warum macht Frankreich es nicht genauso? Jeder ist auch seines eigenen Wirtschafts-Glückes Schmied. Monsieur Macron, Klassenkeile gegen den Streber ist kein Ersatz für das eigene Leistungsprinzip. Machen Sie knallharte Wirtschaftsreformen.
Grundsätzlich ist die politische Gefahr groß, dass Macron Berlin die Waffe auf die Brust setzt. Er wird fordern, aus den Resten der Europäischen Stabilitätsunion die Französische Schuldenunion zu machen, um damit die sozialpolitischen Wogen in Frankreich ohne zu große eigene Reformanstrengungen zu glätten. Ansonsten - so der Vorwurf an Berlin - ist Deutschland schuld, wenn Europa versagt und 2022 La Femme Fatale doch noch das Zepter übernimmt.
Es ist zu hoffen, dass Berlin weiter die Fahnen des Leistungsprinzips und der Stabilität hochhält.