Wie geht es nach der Frankreich-Wahl an den Börsen weiter, Herr Dr. Krämer?
· Börse Online RedaktionHerr Dr. Krämer, Investoren haben die Frankreich-Wahl mit großer Sorge verfolgt. Nun hat der europafreundliche Emmanuel Macron im ersten Wahldurchgang das Rennen gemacht und trifft in der Stichwahl in zwei Wochen wie erwartet auf die Euro-Gegnerin Marine Le Pen. Fast alle unterlegenen Kandidaten haben bereits ihre Unterstützung für Macron angekündigt. Sind die Sorgen um ein mögliches Ausscheiden Frankreichs aus der EU jetzt einigermaßen gebannt?
Jörg Krämer: Ja, Macron dürfte der nächste französische Präsident werden. Die Sorgen um ein Ausscheiden Frankreichs aus der Währungsunion sind zunächst gebannt. Aber man sollte sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Schließlich haben 41% der Franzosen für die links- und rechtsradikalen Kandidaten Mélenchon und Le Pen gestimmt haben, die die Währungsunion ablehnen. Die starke Stellung der Establishment-Gegner in Frankreich und vielen anderen europäischen Ländern bedroht nach wie vor die Existenz der Währungsunion, für die Deutschland und die südlichen Länder keine gemeinsame Vision haben. Der Euroraum wird nicht zur Ruhe kommen.
Welche Reaktion erwarten Sie an den Finanzmärkten bis zur Stichwahl in zwei Wochen: Kommt jetzt die große Erleichterungsrallye oder bleibt die Handbremse bis Anfang Mai noch angezogen?
Der Euro-Dollar-Wechselkurs sowie der Dax haben bereits klar positiv reagiert. Aus Sicht der Märkte ist das Thema Frankreich jetzt erst einmal gelaufen. Schließlich haben sich die Vorhersagen der Demoskopen als richtig erwiesen. Und Macron führt in den Umfragen klar gegenüber Le Pen. Außerdem haben die Sozialisten und die Republikaner zur Wahl von Macron aufgerufen. Es ist sogar nicht mehr ausgeschlossen, dass die Bewegung von Macron die absolute Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung erringt. Schließlich dürften viele Kandidaten der Sozialistischen Partei nach dem gestrigen Wahldebakel ihrer Partei bereit sein, auf der Liste von Macron zu kandidieren.
Der Goldpreis hat angesichts der wachsenden Sorgen zuletzt spürbar zugelegt. Geht dem Edelmetall jetzt wieder die Puste aus?
Der Goldpreis hatte zuletzt von den gestiegenen politischen Risiken profitiert. Nach dem glücklichen Wahlausgang in Frankreich dürfte beim Goldpreis erst mal die Luft raus sein. Aber auf Sicht von einem Jahr sehen wir einen wieder steigenden Goldpreis. Schließlich bleiben die politischen Risiken etwa in Italien oder in Korea hoch. Außerdem ist der Realzins in den USA trotz höherer Fed-Leitzinsen noch immer niedrig.
Der Euro hat zunächst ebenfalls positiv auf den Wahlausgang reagiert. Welche Entwicklung erwarten Sie hier im Verhältnis zum US-Dollar für die nächsten Monate?
Der Euro dürfte in den kommenden Monaten gegenüber dem Dollar weiter etwas aufwerten. Schließlich dürfte es der EZB wegen der guten Konjunkturzahlen gelingen, das Ende der Anleihekäufe im Herbst als Zeichen der Stärke zu verlaufen. Aber danach dürfte der Euro die Gewinne wieder abgeben. Schließlich sollte die unterliegende Inflation wegen der hohen Arbeitslosigkeit anders als von der EZB erwartet nicht steigen. Dann werden die Marktteilnehmer sehen, dass die EZB die Anleihekäufe gezwungenermaßen beendet. Schließlich darf sie nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen kaufen, um rechtliche Probleme zu vermeiden.
Frankreich steht vor großen Herausforderungen. Der Arbeitsmarkt gilt als überreguliert, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Haushalts-Neuverschuldung lag zuletzt deutlich über dem EU-Zielwert von drei Prozent. Trauen Sie Macron im Falle seiner Wahl zu, Frankreich auch wirtschaftlich wieder in die Spur zu bringen?
Macron ist kein echter Reformer. Seine Politik wird das Problem der bedrückend hohen Arbeitslosigkeit allenfalls lindern, aber nicht lösen. So will Macron Arbeitslosen pro Monat netto 100 Euro mehr "Aktivitätsprämie" zahlen, wenn sie eine Arbeit aufnehmen. Aber er wird nichts ändern an dem einfachen Zugang zum Arbeitslosengeld, das die Anreize zum Arbeiten senkt. Außerdem will Macron anders als Fillon die 35-Stundenwoche nicht abschaffen. Schließlich bleibt es beim im Vergleich zu anderen Ländern sehr hohen Mindestlohn, der viele Unternehmen davon abhält, junge Menschen mit ihrer noch geringen Produktivität einzustellen.
Frankreich ist mit Abstand der wichtigste Partner Deutschlands in der EU. Mit dem scheidenden Präsidenten Francois Hollande hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nach anfänglichen Schwierigkeiten in nahezu allen wichtigen Punkten auf einer Linie gelegen. Bei Macron zeichnen sich allerdings in wichtigen Punkten Differenzen ab, etwa in der Frage der Ausgabe von gemeinsamen Euro-Anleihen, die Deutschland entschieden ablehnt. Bekommt die deutsch-französische Achse mit der Wahl Macrons eine Unwucht, die die Lage in der EU weiter spürbar eintrüben könnte?
Natürlich sind die Politiker in Berlin erleichtert, dass Macron eine Präsidentin Le Pen verhindern dürfte. Aber Macron will für den Euroraum gemeinsame Anleihen einführen, die die Bundesregierung zu Recht strikt ablehnt. Damit bleibt es bei der wirtschaftspolitischen Zwietracht im Euroraum.