Herr Prof. Dr. Heise, die Briten haben es getan und sich Umfragen zufolge offenbar tatsächlich für den Brexit entschieden. Wie schlimm wird es jetzt an den Börsen?


Das Brexit-Votum hat für Schockwellen an den globalen Finanzmärkten gesorgt. Da das Brexit-Risiko bis zuletzt von den Märkten deutlich unterschätzt wurde, ist es zu dramatischen Kurseinbrüchen gekommen. Die Zentralbanken werden nun unterstützend bereitstehen und die angekündigten Brexit-Pläne umsetzen, um die Gefahr für die Finanzstabilität zu bannen. Dennoch rechne ich angesichts der erhöhten wirtschaftlichen und politischen Ungewissheit auch in den kommenden Wochen mit anhaltenden Marktturbulenzen.

Wird das nur ein kurzer politischer Börsendonner oder kann das heute der Beginn einer neuen Baisse sein?


Brexit ist kein Ereignis, sondern ein langwieriger, ungewisser und wahrscheinlich unumkehrbarer Prozess. Die Unsicherheit über die ökonomischen Auswirkungen des Brexit wird durch die politische Krise in Großbritannien noch verstärkt. Das Referendum hat gezeigt, dass nicht nur die Regierungspartei, sondern das Land als solches tief gespalten sind - eine denkbar schlechte Voraussetzung, um den Märkten das Vertrauen wiederzugeben. Dazu kommt noch das jetzt stark erhöhte Risiko eines erneuten Unabhängigkeitsreferendums in Schottland, und vielleicht sogar in Nordirland.
Auch die Austrittsverhandlungen werden die Märkte immer wieder verunsichern. Obwohl beide Seiten ein starkes Interesse an offenen und intensiven Wirtschaftsbeziehungen haben, werden sie mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen in die Verhandlungen gehen. Die Briten wollen Binnenmarktzugang ohne irgendwelche Auflagen. Die EU kann genau das nicht akzeptieren, da es sonst eine Kettenreaktion von Sonderwünschen in andern EU-Ländern auslösen könnte. Die Verhandlungen werden also kontrovers geführt werden.

Welche Folgen wird die Entscheidung für die britische Wirtschaft haben?


Für die britische Wirtschaft wird sich die Entscheidung als große Belastung herausstellen. Kurzfristig ist sogar ein Rezessionsrisiko gegeben. Die anstehenden Neuaushandlungen des Verhältnisses zur EU wird in Großbritannien eine Phase großer wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit einläuten. Ich rechne damit, dass das Austrittsvotum das jährliche BIP-Wachstum in den nächsten Jahren um 1-2 Prozentpunkte senkt. Die erhöhte Unsicherheit treibt Risikoprämien in die Höhe. Die starke Abwertung des Pfundes führt zu einem Anstieg der Importpreise. Dies wird den privaten Konsum als auch nationale wie internationale Investitionen in Großbritannien stark belasten.
Die mittel- bis langfristigen Wachstumsaussichten der britischen Wirtschaft werden maßgeblich von der Neuregelung des Verhältnisses zwischen der EU und Großbritannien abhängen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Lage für Großbritannien auch nur annähernd so günstig gestaltet wie in Zeiten der EU-Mitgliedschaft. Wir erwarten deshalb, dass das Land in Bezug auf seine Produktivität und sein Wirtschaftswachstum mit negativen wirtschaftlichen Konsequenzen zu rechnen hat. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie wirtschaftspolitische Reformen aussehen könnten, mit denen das Königreich den eingeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt ausgleichen könnte.

Auf Seite 2: Welche Auswirkungen hat der Brexit auf die deutsche Wirtschaft?





Welche Auswirkungen erwarten Sie für die Konjunktur in Deutschland? Droht uns jetzt der Rückfall in eine Rezession?


Die Schwäche der britischen Wirtschaft verbunden mit der Abwertung des Pfundes werden die deutschen Exporte nach Großbritannien deutlich reduzieren. Der stabile konsumgetriebene Aufwärtstrend dürfte dadurch zumindest kurzfristig gedämpft werden. Von einer Rezession kann aber keine Rede sein.

Der Brexit erschüttert auch die EU in ihren Grundfesten. Wie gefährlich ist der Brexit für den Bestand der Europäischen Union?


Die EU wird nicht auseinanderfallen, dazu hat man in den letzten 60 Jahren einfach zu viel erreicht. Aber die Entscheidung der Briten ist ein schwerer Schlag für eine Europäische Union, die durch die Folgen von Eurokrise, Flüchtlingsdrama, Terrorgefahr und externe Bedrohungen bereits mehr als genug Herausforderungen hat. Das Nachbeben des Brexit Referendum und die schwierigen bilateralen Verhandlungen, die jetzt folgen werden, werden sehr viel politische Energie erforderlich machen.
Das Brexit-Votum ist ein Weckruf. Es ist offensichtlich, dass die Staats- und Regierungschefs Reformen in Gang setzen müssen, um wieder Rückhalt für die europäische Integration zu gewinnen. Es bedarf mehr Geschlossenheit in wichtigen europäischen Fragen wie der Flüchtlingskrise und der Sicherheits- und Außenpolitik. Die Europäische Union muss wieder bürgernäher werden und sich auf die großen Fragen der Politik konzentrieren.

Der Goldpreis hat heute Morgen bereits deutlich zugelegt. Steht das Edelmetall jetzt vor einer Rallye?


Ich rechne allenfalls mit einer kurzfristigen Rally. Der Goldpreis wird auf Dauer stärker von globalen Entwicklungen bestimmt. Eine inflationäre Entwicklung, die den Goldpreis nach oben bewegt, ist zurzeit nicht erkennbar.