In der Euro-Zone gilt es, die Märkte vorsichtig darauf vorzubereiten, dass die EZB bei ihren billionenschweren Anleihenkäufen allmählich den Fuß vom Gas nimmt: ein riskantes Manöver, wie die US-Notenbank Federal Reserve 2013 mit einem kommunikativen Fehltritt erleben musste. Er brannte sich als "taper tantrum" ins kollektive Gedächtnis der Finanzmärkte ein und rüttelte sie kräftig durch. EZB-Chef Mario Draghi drohen ähnliche Schwierigkeiten.

"Die Wende zu vollziehen und Wertpapierkäufe zurückzufahren wird wie das Ankündigen einer tektonischen Plattenbewegung sein - sehr schwer zu schaffen ohne wenigstens eine kleine Erschütterung," meint Zinsstratege Kit Juckes von der Bank Societe Generale. National-Bank-Volkswirt Dirk Gojny sieht dies ähnlich: "Es wird Verwerfungen am Markt geben, dies müsste jedem klar sein." Die Europäische Zentralbank habe kaum mehr Chancen, als bei unerwünscht heftigen Reaktionen zu versuchen, öffentlich gegenzusteuern. "Denn selbst wenn man die Börsen vorbereitet hat: Das heißt noch lange nicht, dass sie nicht reagieren."

Draghi musste dies bereits schmerzlich erfahren. Als er auf einer Notenbank-Konferenz in Portugal signalisierte, dass die EZB ihren Kurs künftig etwas weniger expansiv ausrichten könnte, reagierte der Markt heftig: Der Euro schoss auf ein Zwölf-Monats-Hoch von 1,1390 Dollar. Am Tag darauf versuchten Notenbank-Insider zurückzurudern. Draghis Rede zum weiteren Kurs sei überinterpretiert worden.

"Gewisse Parallelen zu Äußerungen von Fed-Chef Bernanke, der im Mai 2013 überraschend die Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Ankaufprogramm angedeutet hatte, sind nicht ganz von der Hand zu weisen", sagt LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert. Ben Bernankes Bemerkungen lösten damals Schockwellen an den Finanzmärkten aus. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen kletterte binnen weniger Wochen um gut einen Prozentpunkt.

Solche Kurssprünge wollen Draghi & Co aber verhindern. Denn ein plötzlicher Renditeanstieg von Anleihen der Euro-Staaten droht die Finanzprobleme der schuldengeplagten Südeuropäer wieder zu vergrößern, da sich frisches Geld am Kapitalmarkt für sie verteuern würde. Gerade diese Länder sind aber durch das EZB-Kaufprogramm de facto seit Jahren am Markt entlastet worden. Dennoch schließt EZB-Direktor Benoit Coeure nicht aus, dass künftig ein Kurswechsel auf die Agenda kommen könnte. Der EZB-Rat habe Veränderungen der Geldpolitik zwar noch nicht diskutiert, aber: "Das könnte künftig geschehen." Experten erwarten, dass die Euro-Hüter bei einem weiterhin günstigen Konjunkturverlauf im September oder Oktober über ein Abschmelzen der Käufe ab 2018 entscheiden werden.

VOR HÖHENTRIP IN DÜNNER LUFT



Die EZB wird daher nach Einschätzung von LBBW-Ökonom Burkert immer wieder Versuchsballons starten. Sie gebe die Richtung vor, lasse den Markt aber über den konkreten Verlauf im Unklaren. "Damit ergeben sich immer wieder Gewöhnungsmöglichkeiten wie bei einem Basislager beim Himalaya-Aufstieg", so der Ökonom. Die Euro-Notenbank versuche auf diese Weise zu vermeiden, dass die Renditen auf einen Schlag nach oben schnellen.

In Großbritannien hat es die altehrwürdige Bank of England (BoE) beim Aufstieg aus den Ebenen der Nullzinspolitik nun aber offenbar recht eilig. Dabei blieb wohl nicht einmal Zeit, die Märkte schonend auf den Trip in höhere Regionen vorzubereiten. Zunächst ließ BoE-Chefvolkswirt Andy Haldane eine erste Signal-Rakete steigen. Erst später wagte sich auch BoE-Chef Mark Carney aus der Deckung und sagte offen, dass das Thema Zinserhöhung bald auf den Tisch kommt. "Bereits im August könnte es soweit sein, auch wenn dies noch längst nicht ausgemachte Sache ist", meint Ökonom James Knightley von der Bank ING.

Die Notenbank hatte erst vorigen Sommer die Zinsen auf das historische Tief von 0,25 Prozent gesenkt. Die Wirtschaft auf der Insel hat sich jedoch trotz der Unsicherheiten wegen des geplanten EU-Austritts als überraschend robust erwiesen. Die geldpolitische Lockerung des vorigen Jahres sei angesichts der Konjunkturlage und einer stark gestiegenen Inflationsrate nun ein Anachronismus, meint Ökonomin Lena Komileva vom Beratungshaus G+Economics: "Ohne den Brexit wäre die britische Geldpolitik ohnehin viel straffer."

Dass die Notenbanken nichts übers Knie brechen dürfen und lange Zeitrahmen im Auge behalten müssen, machte jüngst der oberste kanadische Währungshüter deutlich: Man müsse dabei "antizipieren", wo die Wirtschaft in 18 bis 24 Monaten stehe, sagte Notenbankchef Stephen Poloz. Der Höhepunkt der Finanzkrise, die mit dem Kollaps der US-Bank Lehman Brothers die Weltwirtschaft im September 2008 erschütterte, liegt bereits fast neun Jahre zurück. Die Notenbanken müssten aufpassen, dass sie nicht als zahnlose Tiger dastünden, warnt Ökonomin Komileva: "Die Erwartung, dass es immer so locker weiter geht, bedroht die Finanzstabilität. Das müssen auch die Märkte kapieren."