BÖRSE ONLINE: Herr Prof. Heise, im Frühjahr finden in Frankreich die Präsidentschaftswahlen statt. Marine Le Pen von der rechtspopulistischen Front National liegt in den Umfragen zum ersten Wahlgang am 23. April vorne. Dass sie auch die Stichwahl am 7. Mai gewinnt, gilt zwar als wenig wahrscheinlich, aber nicht als unmöglich. Was würde ein Wahlsieg von Le Pen für die Börsen bedeuten?


Prof. Michael Heise: Ein Sieg von Marine Le Pen wäre sicher ein Schock für die Börsen. Der Kursrückgang würde sehr davon abhängen, ob es dem Front National gelingt, auch die anschließenden Parlamentswahlen zu gewinnen. In diesem extrem unwahrscheinlichen Fall dürfte ein regelrechter Einbruch der Aktienmärkte in der Eurozone zu erwarten sein.

Wie hoch ist die Chance, dass sie die Präsidentschaftswahlen gewinnt?


Für den zweiten Wahlgang sehen alle Umfragen einen Sieg von Marine Le Pen als sehr unwahrscheinlich an. Wenn 80 Prozent der Wähler zur Wahl gingen, müsste Marine Le Pen in der Stichwahl 18 Millionen Stimmen bekommen, um zu gewinnen. Das wäre ein politischer Urknall: Das beste Ergebnis, das der Front National bisher in Präsidentschaftswahlen erreicht hatte, waren 6,4 Millionen Stimmen.

Marine Le Pen will im Falle eines Wahlsieges die Franzosen über den Austritt aus der EU abstimmen lassen. Wäre der so genannte "Frexit" schlimmer als der Brexit?


Ein formaler Austritt Frankreichs aus der EU ist selbst bei einem Wahlsieg Le Pens keineswegs vorgezeichnet. Politisch ist der Weg zu einem Frexit ziemlich weit. Das Parlament könnte dagegen stimmen und im Falle eines Referendums wäre es sehr fraglich, ob die Franzosen tatsächlich für einen Austritt stimmen würden. Falls es doch zum Austritt käme, wäre dies für die EU zweifelslos schlimmer als der Brexit, weil damit nicht nur das zweite wirtschaftliche Schwergewicht aus der EU austräte, sondern die gesamte Statik der EU aus den Fugen geriete.

Marine Le Pen lehnt auch den Euro ab und will stattdessen zum Franc zurückkehren. Hätte der Euro ohne Frankreich eine Zukunft?


Eine Währungsunion ohne Frankreich ist schwer vorstellbar. Dazu wird es aber wohl kaum kommen, denn das hätte für Frankreich enorme Nachteile. Die Zinsen würden sofort hochschießen, die Aktienkurse einbrechen und die neue Währung an Wert verlieren. Ein solches Szenario wird daher vermieden werden. Aber unabhängig vom Euro würde ein Wahlsiegs Le Pens die Koordinaten der Europapolitik nachhaltig verschieben: Mehr nationale Alleingänge, weniger gemeinsame Politiken. Für die Eurozone, die seit der Krise ja deutlich zusammengerückt ist - zum Beispiel mit der Bankenunion - wäre dies eine enorme Schwächung.

Die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen sind momentan auf einem Vierjahreshoch, das Vertrauen der Investoren in das Land sinkt. Wird sich dieser Trend weiter fortsetzen?


In den Spreads spiegelt sich in erster Linie die politische Unsicherheit wider; bis zur Wahl dürfte sich daran wenig ändern, im Gegenteil: die Unsicherheit dürfte noch weiter zunehmen, da sich neue Umfrageergebnisse und Ankündigungen von Le Pen auch auf die Kurse auswirken werden. Dabei sollte aber auch nicht übersehen werden, dass Risikoaufschläge per se nichts schlechtes sind, sie reflektieren die Unterschiede in den wirtschaftlichen Aussichten der einzelnen Länder, die auch innerhalb der Eurozone nicht kleiner geworden sind. Daran kann auch das Ankaufprogramm der EZB nichts ändern.