Herr Weinberg, der Ölpreis war zuletzt stark unter Druck. Seit dem vergangenen Frühjahr hat sich der Preis für ein Barrel Brent praktisch halbiert. Seit Sommer 2014 liegt das Minus sogar bei 70 Prozent. Ist ein Ende der Talfahrt jetzt in Sicht?
Das sehe ich im Moment nicht. Obwohl inzwischen wohl alle negativen Faktoren am Markt bekannt sind, lassen sich weitere Rückschläge beim Ölpreis derzeit kaum ausschließen. Denken Sie nur an die vollen Öltanks weltweit. Alleine im vergangenen Jahr sind die Lagerbestände rund um den Globus um bis zu 600 Millionen Barrel angestiegen. Es wird dauern, um von diesen hohen Beständen herunter zu kommen. Diese Entwicklung wird uns also noch eine ganze Weile beschäftigen.

Wie tief kann der Preis noch fallen?
Kurzfristig sind weitere Rückschläge bis in die Zone zwischen 20 und 25 Dollar möglich. Voraussetzung für eine nachhaltige Trendwende ist, dass es statt des bestehenden Überangebots von einem bis zwei Millionen Barrel pro Tag zumindest wieder einen weitgehend ausgeglichenen Ölmarkt gibt.

Warum fördern die Ölproduzenten ungebremst weiter?
Wir sehen hier unterschiedliche Gründe. Jahrzehntelang hat die OPEC regelmäßig eine Förderquote festgelegt, die zwar nie so recht eingehalten wurde, aber es gab zumindest eine grobe Richtung. Das ist vorbei. Vor allem Saudi-Arabien versucht durch eine ungebremste Produktion den Ölpreis niedrig zu halten und so die unliebsame Konkurrenz aus der Schieferöl-Branche niederzuringen. Zudem wollen die Saudis auch dem Erzfeind Iran schaden, der nach dem Ende der UN-Sanktionen nun auf den Weltmarkt zurückdrängt.

Viele Beobachter werten die stark gefallenen Ölpreise auch als Vorboten eines weltweiten Konjunktur-Einbruchs. Zu Recht?
Das sehen wir völlig anders. Die Nachfrage stieg 2015 so stark wie seit fünf Jahren nicht. Im vergangenen Jahr ist die Nachfrage weltweit um knapp zwei Millionen Barrel pro Tag gestiegen - aber das Angebot hat um drei Millionen Barrel pro Tag zugelegt. Saudi-Arabien, Russland, Irak, Norwegen, Venezuela, die USA oder Kanada fördern aus vollen Rohren. Dadurch sind die Preise ins Rutschen gekommen.

Aber Saudi-Arabien könnte die Förderung drosseln und damit ein wichtiges Signal für eine mögliche Trendwende am Ölmarkt setzen. Wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario?
Das halte ich für absolut unwahrscheinlich. Denn die Saudis zielen ja gerade auf eine strukturelle Marktbereinigung auf der Angebotsseite ab. Dieses Ziel würde durch eine baldige Produktionsdrosselung verfehlt. Dazu kommt der offene Konflikt der Saudis mit dem Iran. Da wird also so bald nichts passieren.

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Der Ölboom in den USA und Kanada ist auf Pump finanziert. Viele Anleger befürchten, dass es nun zu einer Pleitewelle kommen könnte - mit bislang unabsehbaren Folgen auch für die US-Finanzbranche. Das sorgt für wachsende Nervosität an den Weltbörsen. Zu Recht?
Es gibt aktuell drei Erklärungen für den fallenden Ölpreis und die jüngsten Kursrückschläge. Die erste Erklärung sieht im gefallenen Ölpreis einen Konjunktur-Indikator: Die sinkende Öl-Nachfrage gilt als Hinweis auf eine Konjunktur-Eintrübung. Tatsächlich ist die Ölnachfrage aber gar nicht gesunken, sondern stark gestiegen. Daher greift dieses Argument aus unserer Sicht zu kurz.

Die zweite Erklärung für die Börsenschwäche zielt auf die Fremdfinanzierung. Die Unternehmen aus der Schieferölproduktion haben Anleihen im Volumen von 200 Milliarden Dollar begeben. Dazu kommen Bankkredite von gut 30 Milliarden Dollar. Außerdem sind in den vergangenen Jahren mehrere 100 Milliarden Dollar in Maschinen und andere Ausrüstungsgegenstände geflossen sowie Zehntausende, teilweise sehr gut bezahlter Jobs entstanden.

Wenn die Schieferölproduzenten wegen der niedrigen Ölpreise Bonds und Kredite nicht bedienen können, könnte dies viele Banken in große Nöte bringen - ähnlich wie in der Subprime-Krise 2008. Dazu kämen die fehlenden Investitionen und der Verlust von vielen 1000 Arbeitsplätzen. Das hätte weitreichende Folgen für die US-Wirtschaft.

Der kritische Punkt hier kommt spätestens im März. Dann überprüfen die Banken ihre Kreditportfolios und könnten sich veranlasst sehen, einige Kredite fällig zu stellen. Wenn das passiert, werden wir eine Reihe von Pleiten sehen.

Viele Volkswirte verweisen angesichts des stark gesunkenen Ölpreises auch auf die Gefahr deflationärer Tendenzen?
Das ist die dritte Erklärung für die wachsende Nervosität an den Börsen. Normalerweise entlastet ein fallender Ölpreis die Verbraucher. Wenn wir aber deflationäre Tendenzen haben und diese durch einen fallenden Ölpreis noch verstärkt werden, haben wir ein Problem. Insofern ist zumindest ein Teil der jüngsten Rückgänge am Aktienmarkt auf die wieder grassierende Deflationsangst der Anleger zurückzuführen.

Die EZB sieht die auch ölpreis-bedingte Mini-Teuerung in der Eurozone mit großer Sorge. EZB-Chef Draghi hat zuletzt erneut Spekulationen auf weitere Geldspritzen genährt?
Ja. Aber die schlechte Botschaft ist: Am Ölpreis kann die EZB nichts ändern.