BÖRSE ONLINE: Herr Hübner, die türkische Lira hat ihre Talfahrt am Freitag noch mal beschleunigt und ist zeitweise um mehr als 18 Prozent eingebrochen. Warum?
Die türkische Regierung hat in den vergangenen Jahren die Finanzstabilität beschädigt, indem sie die Zentralbank ihrer Autonomie beraubte und eine überhitzte Wirtschaft immer weiter angetrieben hat. In der Folge war das Vertrauen in den Wert der Lira bereits niedrig. Als in der vergangenen Woche der Streit mit den USA über die Freilassung des US-Predigers Brunson eskalierte führte dies zu einer massiven Beschleunigung des Währungsverfalls, weil nun auch das Vertrauen in die enge strategische Partnerschaft zwischen den USA und der Türkei beschädigt ist.
Finanzminister Berat Albayrak hat am Freitag seine Pläne für eine Stabilisierung der Talfahrt der Lira vorgestellt. Die Reaktion der Finanzmärkte war eher vernichtend. Was missfällt den Investoren an Albayraks Plänen?
Die Pläne gehen in die richtige Richtung. Insbesondere wird hohe Leistungsbilanzdefizit und das zu hohe Wachstumsziel als Problem anerkannt. Doch es fehlten konkrete Maßnahmen. Und die Zusicherung des Ministers, die Zentralbank solle unabhängig agieren, ist unglaubwürdig, weil Präsident Erdogan sich seit langem für eine Kontrolle der Notenbank durch den Präsidenten ausspricht.
Wie tief kann der Wert der türkischen Lira jetzt noch fallen?
Fundamentale Bewertungen helfen im Moment nicht weiter. Hält die Türkei an ihrem Kurs fest, sind weitere Währungsverluste zu erwarten. Die Türkei muss Schritte unternehmen, die wieder für Vertrauen sorgen. Erst dann kann es zu einer Erholung kommen.
Angesichts der Entwicklung hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Landsleute am Freitag erneut dazu aufgerufen, Dollar, Euro und Gold in die Landeswährung Lira zu tauschen. Ist das ein ernst gemeinter Vorschlag oder eher Ausdruck der Hilflosigkeit?
Der Vorschlag ist vermutlich ernst gemeint. Erdogan scheint zu glauben, dass die Türken seinen Wünschen stets folgen. Doch sie sehen, was mit der Währung passiert, und wollen Verluste vermeiden.
Wie kann die Türkei das Vertrauen an den Finanzmärkten wieder zurückgewinnen?
Das wichtigste Signal wäre eine starke Zinsanhebung. Doch mittlerweile reicht das wohl nicht mehr aus. Die Regierung muss ein glaubwürdiges Programm vorlegen, in dem Stabilität der Vorrang vor Wachstum gegeben wird. Dazu gehört, das Inflationsziel ernst zu nehmen und die Fiskalpolitik zu straffen. Zudem wäre eine Beilegung des Streits mit den USA natürlich sehr hilfreich.
Erdogan bezeichnet sich selbst als "Gegner der Zinsen". Derzeit liegt der Leitzins in der Türkei bei 17,75 Prozent, zugleich ist die Inflation auf zuletzt über 15 Prozent gestiegen. Wie lange wird es noch dauern, bis die Notenbank die Zinsen weiter anhebt - trotz des Drucks von Erdogan.
Die Notenbank hätte den Leitzins schon längst anheben müssen, doch offenbar will Erdogan beweisen, dass sich die Türkei gegen die Finanzmärkte behaupten kann. Man kann nur hoffen, dass es in seinem Umfeld Leute gibt, die ihm die zu befürchtenden Folgen der Währungskrise deutlich machen.
Was bedeutet der Verfall der türkischen Lira für die Banken in der Türkei?
Der Währungsverfall trifft vor allem die Unternehmen, die stark in US-Dollar verschuldet sind. So steigt der Anteil notleidender Kredite, wodurch das Eigenkapital der türkischen Banken belastet wird. Zudem dürfte für die Banken der Zugang zum internationalen Finanzierungsmarkt erschwert sein.
US-Präsident Donald Trump hat die Zölle verdoppelt, beim Stahl auf 50 Prozent und beim Aluminium auf 20 Prozent. Was bedeutet das für die türkische Wirtschaft?
Die türkischen Stahl- und Aluminiumexporte in die USA sind nicht sehr bedeutend. Hier geht es eher um die Symbolik. Die Finanzmärkte haben in der Vergangenheit darauf vertraut, dass die USA die Türkei als besonders wichtigen Partner betrachten, dem man im Notfall zur Seite springen wird. Diese Gewissheit gerät gerade ins Wanken.