Herr Kullas, Griechenland ist mit 320 Milliarden Euro verschuldet, das sind 177 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Kann das Land seine Verbindlichkeiten auf ein tragbares Niveau reduzieren?
Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission gehen davon aus, dass Athen es schaffen kann. Ansonsten dürften sie dem Land keine weiteren Kredite zur Verfügung stellen. Die Geldgeber erwarten, dass Griechenland bis zum Jahr 2022 die Schuldenlast auf unter 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken kann. Die Annahme allerdings ist ambitioniert. Der Primärüberschuss, also das Plus im Staatshaushalt vor Zinszahlungen und ohne Berücksichtigung einmaliger Ausgaben, müsste auf 4,5 Prozent des BIP steigen. Aktuell sind es nur 1,5 Prozent. Auch die Wachstumszahlen müssten wesentlich höher als bislang ausfallen. Die Budgetziele der Geldgeber für Griechenland verlangen der griechischen Bevölkerung also viel ab und erfordern von der Regierung deutlich mehr Reformeifer.

Wäre es da nicht besser, die Gläubiger stimmten gleich einem Schuldenschnitt zu?
Der IWF ist ein bevorrechtigter Gläubiger und wird einem Schuldenschnitt daher nicht zustimmen, und die Europäische Zentralbank, die gegenwärtig ein Drittel der griechischen Schulden hält, würde bei einem Schuldenschnitt monetäre Staatsfinanzierung betreiben, was ihr verboten ist. Die Lasten eines Schuldenschnitts müssten daher in erster Linie von den Geberländern der Eurozone getragen werden. Ob diese dazu bereit sind, ist fraglich.

Würde denn ein Schuldenschnitt Griechenland wirklich helfen?
Nein, die Zinssätze auf die Hilfskredite betragen gerade mal 1,5 Prozent und die Laufzeiten wurden auf durchschnittlich rund 30 Jahre verlängert. Die jährliche Zinsbelastung für Griechenland beträgt gerade mal 4,2 Prozent des BIP. Das ist weniger, als Portugal und Italien aufbringen müssen. Die griechischen Probleme sind also nicht auf die hohen Schulden zurückzuführen. Das Hauptproblem ist, dass es Griechenland an einer wettbewerbsfähigen Exportindustrie mangelt. Der aktuelle Leistungsbilanzüberschuss sollte über die griechische Exportschwäche nicht hinwegtäuschen. Er ist nämlich auf Kapitalflucht zurückzuführen, was die Situation für Griechenland noch verschlimmert.

Tsipras will mit den Geldgebern dennoch über einen Schuldenschnitt verhandeln. Die sind dazu aber nicht bereit. Ist ein Kompromiss möglich?
Die Geldgeber haben dies vor den Wahlen ja schon signalisiert. Doch nun dreht die Regierung die Reformen zurück und stoppt Privatisierungsvorhaben wie den geplanten Verkauf des Hafens Piraeus oder des Energieversorgers DEI. Das belastet die künftigen Gespräche. Auch haben die Geldgeber nicht mehr allzu viele Möglichkeiten, Athen weiter entgegenzukommen. Die Zinszahlungen für Kredite aus dem zweiten Hilfspaket wurden bereits für zehn Jahre gestundet.

Auf Seite 2: Schuldenanstieg trotz Sparanstrengungen



Trotz der Sparanstrengungen in den vergangenen Jahren ist die Verschuldung Griechenlands weiter gestiegen. Woran liegt das?
Die Verschuldung wird meist relativ zum BIP dargestellt. Griechenlands BIP ist in den vergangenen Jahren regelrecht eingebrochen. Seit 2008 um 25 Prozent. Dies hat die relative Verschuldung in die Höhe getrieben. Aber auch die öffentlichen Defizite waren in den vergangenen Jahren konstant hoch, was sich negativ auf die absolute Verschuldung ausgewirkt hat.

Griechenland krankt weiterhin an den alten Problemen?
Ja, es gibt kaum Unternehmen, die international wettbewerbsfähig sind. Somit fehlt eine gesunde Steuerbasis. Zudem funktioniert die öffentliche Verwaltung nicht und die Steuermoral ist schlecht. Vor den jüngsten Wahlen haben die Bürger bereits weniger Steuern an den Staat überwiesen. Die erwarteten Wohltaten der neuen Regierung wurden von den Bürgern schon vorweggenommen. Dadurch fehlen aber bereits mehrere Milliarden Euro im Haushalt. Ministerpräsident Tsipras will nun die Reichen höher besteuern. Doch die sind mobil und können das Geld außer Landes schaffen.

Tsipras’ Koalitionspartner "Unabhängige Griechen", fordert die Einstellung des Schuldendiensts. Welche Folgen hätte dies für Griechenland?
Das ist sehr schwer abzuschätzen, , es gibt ja bislang keine Präzedenzfälle. Klar ist nur, dass Griechenland sich am Kapitalmarkt für längere Zeit nicht refinanzieren könnte. Das kann es jetzt schon nicht mehr, die Anleiherenditen sind durch die Wahl wieder deutlich nach oben gegangen. Ein Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone ist bei Einstellung der Schuldenzahlungen wahrscheinlich. Denn bei Einstellung des Schuldendiensts würde die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren. Das Land wäre demnach von der Versorgung mit Notenbankgeld abgeschnitten. Ein Austritt wäre dann wohl unvermeidlich. Die Drohungen Griechenlands sind nicht neu. Bislang hat Griechenland aber immer geliefert, sobald ein Ausschluss aus der Eurozone drohte, da die Griechen den Euro behalten wollen, auch die neue Regierung möchte dies.

Tsipras will die Sozialausgaben erhöhen und wieder mehr Beamte einstellen. Wäre Griechenland in der Lage, dies zu finanzieren, wenn es nicht mehr Mitglied der Eurozone wäre?
Nein. Die griechische Notenbank könnte zwar Geld drucken, aber das würde die Inflation anheizen. Die damit einhergehende Abwertung der wiedereingeführten Drachme würde das ohnehin geringe Vertrauen erschüttern.

Angenommen, die Gläubiger einigen sich mit der aktuellen Regierung auf eine Erleichterung des Schuldendiensts. Werden dann auch Spanien und Portugal Entlastungen fordern? Und werden dann in diesen Ländern ebenfalls europakritische oder antieuropäische Parteien an Zulauf gewinnen?
In den beiden Ländern finden in diesem Jahr Wahlen statt. In Spanien verspricht die Podemos-Partei ähnlich wie Syriza ein Ende der Sparpolitik. Ob sie die künftige Regierung bildet, dürfte zum Teil auch von den bis dahin erzielten Erfolgen oder Misserfolgen in Griechenland abhängen.

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Matthias Kullas

Dr. Matthias Kullas ist seit dem Jahr 2010 Fachbereichsleiter für Wirtschafts- und Fiskalpolitik, Binnenmarkt und Wettbewerbspolitik am Centrum für Europäsche Politik (cep). Kullas ist zudem Dozent an der Universität Würzburg. Er studierte in Würzburg und an der Renmin Universität in Peking. Kullas ist einer der Autoren der jüngsten Griechenland-Studie.