Mehr als sonst ist in den Börsenkommentaren in diesem Jahr nicht nur von ökonomischen Faktoren die Rede. Immer mehr Raum wird den politischen Krisenherden in der Welt eingeräumt. Da geht es um Iran und Israel, um die Türkei, um China und Nordkorea und um Protektionismus und Populismus. Das entspricht der allgemeinen Gefühlslage der Anleger. Ist es aber auch richtig? Haben politische Faktoren für die Märkte derzeit wirklich eine so große Bedeutung?
Ich möchte hier ein paar Fragezeichen setzen. Dazu habe ich mir die Zusammenhänge etwas genauer angeschaut. In der Grafik habe ich die Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes (jeweils Veränderungen zum Vorjahr) seit dem Zweiten Weltkrieg mit wichtigen Krisen in der Welt in Verbindung gebracht. Es zeigt sich, dass die politischen Krisen die Aktienmärkte weit weniger durcheinanderwirbeln als vermutet.
Auf Seite 2: Politische Börsen haben kurze Beine
»Politik und Wirtschaft sind zu einem großen Teil jeweils eigenständige Regelkreise.«
Das alles bestätigt die alte Weisheit: Politische Börsen haben kurze Beine. Sie führen manchmal zu großer Aufregung und Untergangsszenarien. In den allermeisten Fällen zeigt sich dann aber, dass Wirtschaft und Börsen davon nicht stärker tangiert werden. Aktien werden in erster Linie durch wirtschaftliche Dinge wie Konjunktur, Inflation, Geldpolitik und Wechselkurse bestimmt. Politische Faktoren kommen nur insofern ins Spiel, als sie diese Variablen nachhaltig beeinflussen. Das ist seltener der Fall als man annimmt. Politik und Wirtschaft sind zu einem großen Teil jeweils eigenständige Regelkreise.
Auch der Goldpreis reagiert auf geopolitische Krisen weniger als vermutet. In jedem Fall lässt sich die These, dass der Goldpreis ein verlässliches Krisenbarometer ist, mit den Fakten nicht belegen. Können wir geopolitische Ereignisse also vergessen? Nein, so weit würde ich nicht gehen. Zum einen gibt es immer wieder große geopolitische Ereignisse, die die Welt verändern und deren Einfluss sich auch die Finanzmärkte nicht entziehen können. Siehe etwa die Ölpreiskrisen in den 70er und 80er Jahren. Zum anderen sind geopolitischen Risiken eine Art von Kosten, die die wirtschaftliche Aktivität insgesamt belasten und auf die Finanzmärkte abstrahlen. Ein Beispiel ist der aktuelle Trend zu mehr Protektionismus. Umgekehrt entwickeln sich die Börsen umso besser, je ruhiger das weltwirtschaftliche Umfeld ist. Siehe etwa die positive Entwicklung in den 90er Jahren, die auch mit den vergleichsweise geringen Spannungen nach dem Fall des eisernen Vorhanges zusammenhing.
Im Übrigen erhöhen die geopolitischen Risiken natürlich die Volatilität an den Märkten. Investoren stellen Projekte vorübergehend zurück. Anleger sichern ihre Positionen ab. Bestes Beispiel dafür ist die Unsicherheit, die von dem Verhalten des amerikanischen Präsidenten Trump ausgeht. Die Unsicherheiten über den Ausgang der Brexit-Verhandlungen belasten die britischen Börsen.
Auf Seite 3: Für die Anleger
Für den Anleger
Lassen Sie sich von politischen Krisen und Veränderungen nicht ins Bockshorn jagen. Nur weil man politische Veränderungen nicht mag (etwa weil man eine andere Meinung hat), heißt das noch lange nicht, dass sie auch schlecht für die Finanzmärkte sind. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA haben viele nicht gemocht. Für die nüchtern kalkulierenden Finanzmärkte war aber die Einschätzung entscheidend, dass dadurch die Gewinne der Unternehmen steigen könnten. In diesem Jahr wird es wegen der vielfältigen geopolitischen Unsicherheiten geringere Kurssteigerungen und höhere Volatilität geben, aber keinen größeren Absturz bei den Kursen.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.