von Martin Hüfner, Assenagon

Wie in jedem Jahr zehn Entwicklungen, die aus heutiger Sicht abwegig erscheinen, aber trotzdem eintreten können.

Ein paar Beispiele: Staatsbankrott und Bank Run in Russland.

Oder: Der Ölpreis steigt wieder an und bringt die Europäische Zentralbank in Schwierigkeiten.

Im letzten Jahr erschienen mir alle Punkte so unwahrscheinlich, dass ich mich darauf einstellte, keinen "Treffer" zu landen. Es kam aber anders. 2014 gab es sogar mehr Entwicklungen, mit denen so kaum jemand gerechnet hatte: Die starke Abschwächung der Konjunktur in Deutschland, der Absturz des Ölpreises und die Einführung von negativen Zinsen. Alles waren Punkte in meinen Überraschungen des Jahres 2014.

Ich sehe das nicht als Ergebnis hellseherischer Kräfte. Denn was ich hier schreibe, sind keine Prognosen. Es zeigt aber, dass es vielleicht doch nicht ganz unnütz ist, sich Gedanken darüber zu machen, was alles anders als gedacht kommen könnte. Auch die folgenden Punkte sind wie immer keine Prognosen. Es sind Beispiele für Gedankenexperimente, um den Horizont zu erweitern. Sie sollen wie jedes Mal kein in sich konsistentes Bild ergeben.



Erstens: Statt Aufschwung gibt es Rezession in der Welt. Die Arbeitslosigkeit steigt an. Die Preise sinken. Verbraucher reduzieren ihre Nachfrage, weil sie auf noch niedrigere Preise hoffen. Es kommt zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung. Die Zentralbanken müssen machtlos zusehen, da sie ihr Pulver schon verschossen haben. Schließlich kommt Saudi-Arabien zu Hilfe, indem es die Ölförderung kürzt. Die Ölpreise steigen. Die Deflation ist zu Ende.



Zweitens: Die Wachstumslokomotive USA gerät ins Stocken. Es zeigt sich, dass selbst ein so großes und starkes Land wie die Vereinigten Staaten nicht in der Lage ist, die Weltwirtschaft insgesamt zu ziehen. Das amerikanische Wirtschaftswachstum fällt zuerst auf 2 % zurück, dann auf 1 %. Die Zentralbank verschiebt die geplante Zinserhöhung. Sie beginnt wieder Wertpapiere zu kaufen. Auf den Devisenmärkten schwächt sich der Dollar ab. Ende 2015 liegt er bei 1,50 Dollar je Euro.



Drittens: In Frankreich setzt Präsident Hollande dank seiner präsidentiellen Befugnisse ein weitreichendes Reformprogramm durch. Seine Popularität geht noch mehr in den Keller. Schließlich tritt er zurück. Aber dem Land geht es überraschend schnell besser. Das Bild Hollandes in der Öffentlichkeit wandelt sich. Er geht in die Geschichte ein, als einer der besten und mutigsten Präsidenten.



Viertens: In Europa wird eine zweite Währung eingeführt. England tritt aus der EU aus. Es schließt sich mit Norwegen, Schweden und Dänemark zu einer neuen Gemeinschaft zusammen. Die Länder gründen auch eine eigene Währung. Die baltischen Staaten finden das so attraktiv, dass sie sich anschließen. Die übrigen Euroländer sind geschockt. Andererseits entsteht ein Wettbewerb der zwei Währungen in Europa. Italien und Frankreich verstärken ihre Reformanstrengungen, damit "ihr" Euro nicht zurückfällt.



Fünftens: Weihnachten wird verschoben. Eine Gruppe von Arbeitnehmern stellt fest, dass 2015 wegen der ungünstigen Lagen der Feiertag an mehr Tagen gearbeitet werden muss. Sie halten das für unzumutbar. Sie klagen beim Bundesverfassungsgericht. Dieses gibt ihnen Recht und fordert die Regierung auf, den Tag der Deutschen Einheit auf den 4. Oktober (einen Montag) zu verlegen und Heiligabend einen Tag vorzuziehen.



Sechstens: Generalstreik in Deutschland. Angeregt durch die Aktionen der Lokführer und der Piloten besin-nen sich die Gewerkschaften auf ihre politische Macht. Sie fordern nicht höhere Löhne, weil sie wissen, dass das der Beschäftigung schadet. Sie treten vielmehr dafür ein, dass Kohlekraftwerke nicht stillgelegt werden, dass den Unternehmen die Beschäftigung von Arbeitnehmern über 63 Jahre untersagt wird und dass es ei- ne Sonntagsruhe für den öffentlichen Nahverkehr gibt.



Siebtens: Die Zinsen werden dank der expansiven Geldpolitik auch bei längeren Laufzeiten negativ. Womit niemand gerechnet hat: Die Sparer reagieren darauf, indem sie weniger auf die hohe Kante legen. Die Geldzuflüsse bei den Banken werden geringer. Es fehlt an den notwenigen Ersparnissen, um Investitionen und Wachstum zu finanzieren. Die Regierung überlegt, wie sie die Defizite bei der Altersvorsorge schließen kann.



Achtens: Die Russen ziehen ihre Truppen aus den Grenzregionen zur NATO zurück und verkünden lauthals, dass der Verteidigungsetat gekürzt wird. Der Westen jubelt und denkt, dass die Zeit der Entspannungspolitik zurückkehrt - bis er merkt, dass mit einem Mal die Cyber-Attacken auf Regierungsstellen und Unternehmen im Westen steigen. Der Krieg wird vom Militär auf Hacker verlagert.



Neuntens: Bei den Bremer Bürgerschaftswahlen im Sommer 2015 verliert die SPD ihre traditionelle Mehrheit. Mehr und mehr SPD-Mitglieder zweifeln, dass sich ihre Partei in der großen Koalition ausreichend profilie-ren kann. Die Regierungsarbeit in Berlin wird noch mühsamer. Arbeitsministerin Nahles tritt zurück, um sich auf künftige Aufgaben vorzubereiten.



Zehntens: Nach sechs Jahren kontinuierlicher Aufwärtsentwicklung am deutschen Aktienmarkt stürzen die Kurse ab. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar. Weder ist die Konjunktur so schlecht, noch geht die Liquidität zurück, noch sind die Weltbörsen so schwach. Die Regierung fürchtet, dass sich die Entwicklung negativ auf ihre Popularität auswirken könnte. Sie bittet die Bundesbank, am Aktienmarkt zu intervenieren.

Dies ist der letzte Wochenkommentar in diesem Jahr. Ich bedanke mich herzlich für viele Anmerkungen, die Sie mir geschrieben haben. Ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten und ein Jahr mit vielen - positiven - Überraschungen.