Beobachter erhoffen sich insbesondere mit Blick darauf Hinweise von Notenbankchefin Christine Lagarde. Auch der Rücktritt von Bundesbankchef Jens Weidmann dürfte auf der Pressekonferenz nach der Ratssitzung ein Thema sein, bei der die EZB am rekordniedrigen Leitzins nicht rütteln dürfte.
Lagarde hatte Weidmann als Konsens-Stifter im Führungskreis der EZB gelobt. Doch hat sich der deutsche Notenbankchef mit seiner eher auf eine straffere geldpolitische Linie fixierten Haltung im Rat in Zeiten weit geöffneter Geldschleusen immer wieder in eine Minderheitenposition manövriert. Seinen für das Jahresende angekündigten Abgang verband er mit der Mahnung, Inflationsgefahren nicht außer Acht zu lassen. "Trotz der Vertagung der geldpolitischen Entscheidungen auf den Dezember und die offenbar auch recht große Einigkeit in Hinblick auf die Zukunft des PEPP dürfte die EZB-Ratsitzung keineswegs ruhig verlaufen", meint Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer.
Denn im EZB-Führungskreis gibt es mit Blick auf die Preisentwicklung eine Konfliktlinie, die sich seit der September-Sitzung immer deutlicher abzeichnet: Die Volkswirte der EZB hatten dabei einen Inflationsausblick vorgegeben, der für 2022 ein Absinken des derzeitigen Preisauftriebs unter die von der Notenbank angestrebte Marke von 2,0 Prozent vorsieht. Doch manche Währungshüter halten die Prognose für zu tief gegriffen. EZB-Ratsmitglied Klaas Knot warnte Investoren an den Finanzmärkten offen vor den Gefahren einer hohen Inflation. Es gelte sich dieser Risiken bewusst zu sein, um plötzliche Korrekturen zu vermeiden.
Zuletzt sind die von den Währungshütern genau beobachteten Inflationserwartungen exakt auf den von der EZB angestrebten Wert von zwei Prozent gestiegen. Diese Punktlandung können sie zwar als Etappensieg verbuchen, doch bleibt die Gefahr, dass die Erwartungen bei anhaltend hoher Teuerung aus dem Ruder laufen - ein Horrorszenario für die auf Preisstabilität fixierte EZB.
Die Inflation im Euro-Raum ist im September mit 3,4 Prozent bereits weit über den Zielwert hinausgeschossen. Ein Großteil des derzeitigen Preisauftriebs ist nach dem von EZB-Chefökonom Philip Lane entworfenen Szenario jedoch nur vorübergehend und durch die Folgen der Corona-Krise bedingt. Dazu zählen etwa Lieferkettenprobleme und Materialengpässe. "Wie auf eine gegebenenfalls längere Phase mit hohen Inflationsraten zu reagieren wäre, scheint im EZB-Rat umstritten zu sein", meint Commerzbank-Experte Krämer. Die Volkswirte der BayernLB gehen davon aus, dass die EZB am Donnerstag bei dem "Prolog für die Dezember-Entscheidung" dem Inflationsdruck Tribut zollen wird und zumindest ihre Risikoeinschätzung nun nach oben anpassen wird.
2022 KOMMT WOHL AUS FÜR PEPP
Mehrere Notenbankchefs von Euro-Ländern denken schon laut über eine Abkehr von den Corona-Notfallhilfen nach. "Das Motto heißt Ausstieg", betonte Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch jüngst. Das auf 1,85 Billionen Euro angelegte Notfall-Anleihenkaufprogramm PEPP soll nach bisherigen Planungen noch bis mindestens Ende März 2022 laufen. Den Euro-Ländern beschert das unter anderem ultraniedrige Refinanzierungskosten.
Wenn sich die Konjunktur normalisiere und die Covid-Lage es erlaube, werde PEPP ausgedient haben, betonte unlängst EZB-Vizepräsident Luis de Guindos. Im Dezember werde die EZB über "mögliche Alternativen" entscheiden, falls dieses Projekt im März beendet werden sollte. Viele Experten gehen davon aus, dass die EZB dann ihre Anleihenkäufe nicht komplett einstellt, sondern ihr aktuell kleineres Kaufprogramm APP in der einen oder anderen Form weiterführen wird.
Für die Notenbanker gilt es, auch die Markterwartungen an eine Zinserhöhung im Zaum zu halten. Denn international stehen die Zeichen auch wegen der allerorten spürbaren Inflationsgefahr derzeit auf Straffung: Die Bank of England könnte als erste der großen Notenbanken bereits nächsten Monat die Zinsen erhöhen. Für das US-Pendant Fed liegt dies für das nächste Jahr zumindest im Bereich des Möglichen. Die EZB hat die rekordtiefen Zinsen in dem im Sommer aktualisierten Ausblick praktisch auf lange Zeit festgeschrieben und den Investoren damit eine Orientierung gegeben. Dennoch war zuletzt darüber spekuliert worden, dass sie Ende kommenden Jahres die Zinsen anheben könnte - womöglich bereits im September 2022. Chefvolkswirt Lane versuchte die Fantasien zuletzt aber wieder einzufangen und bemerkte, die Orientierungslinie für die Märkte sei ja wohl "ziemlich klar".
rtr