Wie kommen solche Zinsunterschiede innerhalb der Eurozone zustande? Das Zinsgefälle ist auf die unterschiedlichen Bankenlandschaften zurückzuführen. In Estland zum Beispiel haben die Geldhäuser massiv unter der Finanzkrise gelitten. Privatkredite werden seitdem nur noch sehr zurückhaltend vergeben - oder mit hohen Zinsen. Die kleinteilige Prüfung und die hohen Kapitalanforderungen an die Banken machen Privatkredite für die Institute zusätzlich unattraktiv. Das gleiche Bild zeigt sich auch bei den Dispozinsen. In Lettland müssen Bankkunden fast 22 Prozent an Dispozinsen zahlen, in Estland rund 16 Prozent. Obwohl sich hierzulande die Mehrheit über die hohen Zinsen beschwert, ist Deutschland mit durchschnittlich 8,6 Prozent Dispozins vergleichsweise gut bedient.
Noch extremer ist der Unterschied, wenn man sich den Markt für Kurzzeitkredite anschaut. Sogenannte Payday Loans sind in Deutschland wenig bekannt, dafür in den baltischen Ländern, in Großbritannien und unter anderem in Spanien stark verbreitet. Die Anbieter verlangen für Kredite mit einer Laufzeit von 30 Tagen zum Teil horrende Zinsen - in Spanien gibt es aktuell Anbieter, die einen hochgerechneten Jahreszins von bis zu 780 Prozent verlangen. Zum Vergleich: Der britische Marktführer bei Kurzzeitkrediten verlangt im Schnitt 1509 Prozent an Zinsen - und das, obwohl die Regierung die Zinssätze bereits nach oben hin gekappt hat. Viele Verbraucher kennen nur zwei Alternativen: den Bankkredit, den sie häufig nicht bekommen, und die Kurzzeitkreditanbieter mit ihren überhöhten Zinsen.
Deutsche Kreditnehmer erfreuen sich demgegenüber zwar an vergleichsweise moderaten Kreditzinsen - für deutsche Anleger sind niedrige Zinsen jedoch wenig einträglich: Tagesgeld wirft kaum noch etwas ab und auch am Aktienmarkt wird es immer schwieriger, die bislang gewohnten sechs bis acht Prozent Rendite zu realisieren.
Eine europaweite Vernetzung kann daher auf beiden Seiten Abhilfe schaffen: Wenn man spanische und baltische Kreditnehmer mit deutschen Anlegern zusammenbringt, dann bekommen Erstere einen günstigeren Kredit als in ihrem Heimatland und Letztere erhalten mehr Rendite als bei traditionellen Anlagen. Wir von Bondora haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt und vermitteln über unsere P2P-Plattform Kredite von Privatkunden an Privatkunden (peer to peer). Die Kreditnehmer stammen aus Spanien, Estland und Finnland, die Geldgeber aus Deutschland und anderen Niedrigzinsländern.
Der größte Vorteil der P2P-Plattformen - es gibt in Deutschland inzwischen schon über sechs Anbieter - liegt in der Risikostreuung. So können beispielsweise 1000 Euro über mehrere Hundert Privatkredite diversifiziert werden. Einzelne Ausfälle werden so durch die breite Streuung aufgefangen. Je nach Risikoneigung kann der Anleger in höher oder niedriger risikobehaftete Kredite investieren - und damit sein Risikomanagement einhergehend mit der Renditeerwartung aktiv steuern. Insgesamt liegt das Volumen dieser Kreditplattformen allein in Deutschland bei 953 Millionen Euro. Bis 2020 soll das P2P-Volumen um 533 Prozent auf sechs Prozent des gesamten deutschen Kreditvolumens anwachsen (Quelle: Digital Market Outlook, Statista).
Pärtel Tomberg
Tomberg wurde 1987 in Tallinn geboren. Er hat einen Bachelor-Abschluss der Oxford Brookes University in International Business Management und einen weiteren Bachelor in Banking and Finance der Londoner School of Economics and Political Science. Die 2008 von Tomberg mitgegründete Bondora mit ihrer Zentrale in Tallinn (Estland) zählt zu den führenden Onlineplattformen für P2P-Kredite in Europa.