Bauen wird immer teurer, Kredite ebenso. Was die Inflation am Immobilienmarkt und die Zinserhöhungen für Käufer und Bauherren sowie Eigentümer und Mieter bedeuten. Von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag
Neulich in einem Münchner Bistro. Ernst Striegel, der seinen richtigen Namen hier nicht lesen will, sitzt beim Mittagessen und berichtet von den laufenden Geschäften. Striegel baut und verkauft kleine Mehrfamilienhäuser und Reihenhäuser im Münchner Umland. "Wenn ich im vergangenen Jahr noch 20 Kaufinteressenten auf eine Wohnung oder ein Reihenhaus hatte, sind es heute nur noch zwei", erzählt er. Nicht dass er sich Sorgen machen würde, aber die Tendenz sei bemerkenswert. An potenziellen Mietern würde es hingegen nicht mangeln, weiß er.
Was bei Striegel im Kleinen passiert, geschieht bei großen Projektentwicklern im Großen. Noch werden die fertigen Wohnungen und Häuser zwar verkauft, aber laut einer Umfrage, die das Immobilienberatungsunternehmen Prea gemeinsam mit €uro, dem Schwesterblatt von €uro am Sonntag, unter Wohnungsbaufirmen durchgeführt hat, ist die Stimmung gedämpft. Viele sehen eine geringere Nachfrage und rechnen mit steigenden Zinsen.
Noch düsterer ist die Stimmung, die BF Direkt, einer der großen Finanzierungsvermittler für Immobilienprofis, ebenfalls in einer Umfrage eingefangen hat. Befragt, wie die gestiegenen Zinsen sich aufs Geschäft auswirkten, erklärten viele Unternehmen, dass einige Projekte nun nicht mehr wirtschaftlich seien. Im Klartext: Es wird entweder bald Bauruinen geben, oder die Vorhaben werden gebaut und dann zu einem vergleichsweise niedrigeren Preis teils unvollendet weitergegeben.
Dies alles sind Hiobsbotschaften für eine Branche, deren Gewinne sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren steil nach oben entwickelt haben. Schon stellen sich die Ersten die Frage, ob der Immobilienboom, der nun ganz offensichtlich zu Ende geht, eine Blase genährt hat, die wie in Spanien und den USA im Zuge der Subprime-Krise 2008 platzen wird. Andererseits steigen die Preise für Wohnungen und Wohnhäuser weiter. Nachfolgend erfahrenen Sie, welche Auswirkungen das Ende des Immobilienbooms, das zweifelsohne gekommen ist, haben wird.
Das Ende des Rauschs
Kaum ein Preisschub hat die Menschen hierzulande mehr bewegt als jener, der seit dem Jahr 2008, spätestens seit 2009 bei Wohnimmobilien in Deutschland stattgefunden hat. Im Zuge der Finanzkrise hatten viele Anleger und auch große institutionelle Kapitalverwalter, Wertpapieren den Rücken gekehrt und sich Sicherheit in Form von Beton gesucht. Die Politik der Notenbanken, die in der Krise die Zinsen immer weiter senkten und die Zinsen "risikoloser" Anlagen wie amerikanischer und deutscher Staatsanleihen immer weiter gen null trieben, tat ihr Übriges.
Alle wollten auf einmal Wohnungen und Wohnhäuser kaufen, und durch die niedrigen Zinsen konnten sich viel mehr Menschen Immobilien leisten. Die Preise stiegen rasant. "Wer vor zehn Jahren eine Wohnung für 100.000 Euro in Berlin gekauft hat, kann sie heute leicht für 300.000 Euro wieder loswerden", sagt Jürgen Michael Schick. Der Präsident des Maklerverbands IVD übertreibt mit seiner Aussage nicht. Zwar fand der Boom nicht flächendeckend statt und in den sogenannten Top 7, zu denen Immobilienfachleute die Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf zählen, stiegen die Preise schneller als anderswo, doch in kaum einer Region des Landes sanken die Kaufpreise.
Diese Entwicklung konnte auch die Corona-Pandemie nicht bremsen - im Gegenteil: Viele Menschen mussten sich gezwungenermaßen mehr mit ihrer Wohnsituation auseinandersetzen. Und da die Bundesregierung durch Kurzarbeitergeld und weitere Maßnahmen keine Rezession aufkommen ließ, konnten es sich viele leisten, nun Eigentum zu kaufen.
Doch nun steigen die Preise nicht mehr oder nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dafür gibt es mehrere Gründe: Besonders wichtig sind die Zinsen. Einerseits steigen die Zinsen für Baugeld und machen Kredite so teuer, dass viele Haushalte, die kaufen wollen, es sich schlicht nicht mehr leisten können, die Raten zu bedienen. Institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen finden inzwischen wieder Alternativen zu Immobilien, denn die Zinsen für US-Staatsanleihen haben fast das Niveau eines vergleichbar sicheren Wohnungsportfolios erreicht. Oder sie sind wählerischer geworden: "Wir suchen uns derzeit in erster Linie Immobilien, die von strukturellen gesellschaftlichen Umwälzungen profitieren, wie etwa Pflegeimmobilien", sagt Indraneel Karlekar, Strategiechef bei der US Gesellschaft Principal Real Estate.
Auch in der Eurozone gilt es inzwischen als ausgemacht, dass die Zinsen steigen und sich immer mehr den Renditen, die Immobilien versprechen, annähern werden. Durch die bislang immer weiter gestiegenen Preise haben Immobilieninvestoren bei Wohnungen mit immer niedrigeren Mietrenditen rechnen müssen, denn die Mieten stiegen in den vergangenen Jahren lange nicht so stark wie die Kaufpreise.
Trotz dieser Trends droht in Deutschland nicht der große Knall. Wir haben preislich ein Hochplateau erreicht, sagt IVD-Chef Schick. Aus seiner Sicht ist das nicht schlecht, denn es wird den Markt beruhigen. In der Diskussion um eine mögliche Immobilienblase ist auch Reiner Braun recht gelassen, obwohl der von ihm mitentwickelte Blasenindikator des Beratungsunternehmens Empirica immer mehr Landkreise und Städte als gefährdet einstuft. "Ja, Mieten und Kaufpreise haben sich völlig unabhängig voneinander entwickelt", sagt Braun, "aber zu einer Immobilienblase gehört auch ein Überangebot von Wohnungen, und das sehe ich momentan und auf absehbare Zeit nicht." Seiner Ansicht nach stabilisierten die Lieferprobleme für Baumaterial und die fehlenden Arbeiter am Bau die Preise. Denn viele Bauvorhaben kommen dadurch mehr und mehr ins Stocken.
Obendrein waren die Banken in den vergangenen Jahren sehr vorsichtig. Durch strenge Vorgaben wie etwa die Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie ist das Risiko, dass hierzulande Baukredite massenhaft nicht bedient werden können, sehr gering.
Das alles bedeutet, dass die Preise nicht mehr rasant steigen, es bedeutet aber auch, dass Immobilienprojekte nicht reihenweise Pleite machen. Es scheint, als würde der Blase, so es sie denn jemals gegeben hat, langsam die Luft ausgehen.
Wo es sich noch lohnt
Die Inflation gilt als ein weiterer Stabilisator der Immobilienpreise, denn der Glaube an Immobilien als Geldanlage, der die Teuerung nichts anhaben kann, ist tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Hier gilt es jedoch einiges zu beachten. Denn nicht jede Immobilie schützt vor Geldentwertung, und der Glaube, die Inflation an die Mieter weitergeben zu können, wird sich nur bei Indexmieten bewahrheiten. Wenn eine Immobilie aber in einer Gegend steht, in die auch künftig Menschen ziehen werden, wird ihr Wert voraussichtlich weiter steigen.
Diese Regionen sind vor allem die Speckgürtel und das Umland der Top-7-Städte sowie einiger Universitätsstädte. Es gibt aber auch Lagen in Regionen, die per se nicht wachsen, in denen die Preise dennoch steigen können.
Für private Käufer gilt, dass sie sich nicht nur mit der Immobilie an sich auseinandersetzen und prüfen sollten, ob die Substanz solide ist oder unschöne Überraschungen drohen, sondern dass sie auch die nähere Umgebung und die wirtschaftliche Situation der jeweiligen Stadt genau betrachten. Dabei sollte es um Arbeitsplätze vor Ort, Supermärkte, Ärzte, Straßen, den Nahverkehr und vieles mehr gehen.
Richtig finanzieren
Die schlechte Nachricht zuerst: Die Zinsen werden nicht mehr sinken, sondern eher steigen. Die gute Nachricht, die aber auf Sicht der vergangenen Jahre ein eher schwacher Trost ist: Mit Baugeldzinsen um drei Prozent auf zehn Jahre sind Immobilienkredite noch immer günstiger als im langjährigen Durchschnitt. Daher raten Zinsexperten wie Max Herbst von der FMH Finanzberatung: Lieber die Zinsen von heute als die von morgen nehmen. "Aber bitte keine Panikkäufe", schiebt Herbst hinterher. Eine Immobilie zu finanzieren sei eine Aufgabe für mehrere Jahrzehnte "Es ist töricht, sich nur der Zinsen wegen eine Immobilie anzulachen, mit der man nicht froh wird", warnt Herbst.
Unter allen, die nun finanzieren, gibt es zwei Gruppen. Solche, die das nun zum ersten Mal tun, und jene, die eine Anschlussfinanzierung brauchen. Beide Gruppen sollten vergleichen und nicht nur zur Hausbank gehen. Oder mit dem Zins einer Fremdbank versuchen, den der Hausbank etwas zu drücken. €uro am Sonntag druckt Woche für Woche die besten Zinsofferten ab. Der Markt ist trotz der gestiegenen Zinsen eng, sodass Banken sich um Kunden mit guter Bonität bemühen. Bei der Zinsbindung lohnt es sich für alle Erstfinanzierer, lieber 20 statt zehn Jahre Zinsbindung zu wählen. Der Unterschied liegt aktuell bei 0,4 Prozentpunkten und der Zinssatz ist für 20 Jahre fix. Kombiniert mit einer jährlichen Sondertilgung von bis zu fünf Prozent der Darlehenssumme kann der Kredit bereits zum Ende der Zinsbindung komplett getilgt sein.
Alle, die sich in absehbarer Zeit um eine Anschlussfinanzierung kümmern müssen, können sich die Zinsen bis zu fünf Jahre in die Zukunft sichern. Die Aufschläge für diese Forward-Darlehen sind vergleichsweise moderat. So kostet ein Forward-Darlehen, das im Jahr 2024 gebraucht wird, zwischen 0,2 und 0,5 Prozentpunkte mehr.
Wie sich Mieten entwickeln
Deutschland ist ein Mieterland. Das sorgte bereits in der Vergangenheit dafür, dass Gesetze wie die Mietpreisbremse und die Kappungsgrenze eingeführt wurden. Beide sollen dafür sorgen, dass die Mieten dort, wo Wohnraum besonders knapp und teuer ist, nicht allzu schnell steigen können - auch nicht in Zeiten, in denen die Inflation stark anzieht. Problematisch können jedoch die Energiepreise werden. Wenn sie zu stark steigen, können sie laut Ansicht von IVD-Präsident Schick sogar zu einer impliziten Mietpreisbremse werden. Denn nicht wenige Haushalte kommen durch die hohen Heizkosten in finanzielle Nöte.
Indexmieten hingegen können entsprechend der Inflationsrate weiter steigen. Nur die Miete zum Zeitpunkt, zu dem der Mietvertrag geschlossen wird, muss in Gebieten mit Mietpreisbremse mit dieser konform sein. Indexmieten waren in der Vergangenheit aus Mietersicht eher positiv, denn die Inflationsrate war sehr niedrig. Nun könnten Indexmieten aber kräftig steigen.