Wenn in den kommenden Jahrzehnten Erdgas an Bedeutung verliert, muss das nicht das Ende der Leitungen bedeuten. Im Gegenteil besteht Einigkeit darüber, dass Länder wie Deutschland weiterhin zu einem Großteil auf Lieferungen von Gas und klimafreundlichen Wasserstoff aus dem Ausland angewiesen sein bleiben - per Schiff oder über Pipelines. Mit erneuerbarer Energie produzierter Wasserstoff soll nach politischem Willen eine Schlüsselrolle bei der Energiewende spielen.

"In Deutschland liefern Wind und Sonne nicht genügend Energie, um in Zukunft den Bedarf an Grünem Wasserstoff zu decken", erklärt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Der Energiebedarf sei höher als die Menge, die Deutschland selbst produzieren könne. Daher gehörten Kooperationen - etwa mit Afrika und Australien - zur Strategie. Die neue Ampelkoalition in Berlin hat in ihrem Programm den Willen bekräftigt, von Kohle, Gas und Atom wegzukommen. Durch Ausbau und Umrüstungen auf klimaneutralen Strom und Gase solle der Energiebedarf gedeckt werden. Bis 2030 sollen zehn Gigawatt Elektrolysekapazität für grünen Wasserstoff aus Wind und Sonne entstehen.

Die Initiative für einen Europäischen Wasserstoff Backbone (EHB) zielt auf ein Wasserstoffnetz von knapp 40.000 Kilometern ab, das bis 2040 stehen soll und zu mehr als zwei Dritteln aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestünde. Ein Drittel neuer Leitungen können neue Regionen anbinden. Auch danach soll das Netz weiter ausgebaut werden können. Open Grid Europe (OGE) und die Partner-Unternehmen spielen bereits Möglichkeiten durch, Wasserstoff in Regionen bis hin zur Sahara herstellen zu lassen und diesen in das europäische Gasnetz einzuspeisen. Mit einer heutigen Länge von 198.500 Kilometern ist dies mehr als viermal soviel wie der Umfang der Erde. Snam-Vorstandschef Marco Alvera sieht die Pläne als Projekt von historischer Bedeutung. Wenn die Sonne der Sahara in den Fabriken Deutschlands scheine, gleiche dies den Straßen, die die Römer gebaut haben. "Das ist für die Ewigkeit."

460 Milliarden Euro für Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft


Die EHB schätzt, dass mit bis zu 81 Milliarden Euro die 40.000 Kilometer für den Wassertoff-Transport fitgemacht werden könnten. Das Projekt ist eines von Hunderten, die sich mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft beschäftigen. Bei Null anfangen müssten Europa und Afrika nicht, gibt es doch bereits Gasleitungen, die Algerien, Marokko, Libyen und Tunesien mit Spanien und Italien verbinden.

Die EU hat den Investitionsbedarf für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf bis zu 460 Milliarden Euro bis 2030 beziffert. Das angedachte Wasserstofftransportnetz würde den Bezug von Energie in Europa auf breitere Beine stellen. Bislang stammt ein Drittel des Gasbedarfs in der EU aus russischen Feldern.

"Ich finde, dass ist eine hervorragende Idee", sagte EU-Klimaschutz-Kommissar Frans Timmermans der Nachrichtenagentur Reuters. Denn die Nutzung von bestehenden Gastransportnetzen verursache nur ein Viertel der Kosten für den Neubau von Leitungen für erneuerbaren Strom. Finanzhilfen der EU gibt es für dieses Projekt nicht. Die Gelder müssten von der Industrie oder den nationalen Regierungen kommen oder im Rahmen der Gasnetzaufsicht auf Verbraucher umgelegt werden.

Damit der Transport technisch funktioniert, muss der Wasserstoff in den Leitungen mit Erdgas gebunden werden. Abnehmer können Stahl-, Chemie- oder Zementkonzerne sein oder auch Raffinerien. Der Transport muss sicher und bezahlbar sein. Grundsätzlich könnte der Wasserstoff auch für die Automobilindustrie oder zum heizen genutzt werden.

Das Schicksal der "Hindenburg" Mahnt: Safety First


Brennbarkeit ist nur ein Problem. Verglichen mit Erdgas kann Wasserstoff auch leichter entweichen und sogar bestimmte Stahlgüter brüchig machen. Die Voraussetzungen für die Umrüstung sind verschieden je nach Gasnetz. Alle müssen jedoch sicheren Stahl haben und luftdicht sein. Die Verdichter müssen womöglich aufgerüstet werden und Sensoren den Transport sichern.

Das größte Problem ist den Gasnetzbetreibern zufolge, dass es bislang keinen regulatorischen Rahmen für diesen Bereich gibt. "Die Regulierung muss Wasserstoff als ein Gas definieren, das transportiert werden kann und ähnlich genutzt werden kann", sagt die Strategiechefin des spanischen Ferngasnetzbetreibers Enagas, Maria Sicilia. Wenn Regulierer die Standards festgelegt hätten, könnten die Netze miteinander verbunden werden.

Wasserstoff ist nicht nur vielseitig verwendbar, er gehört auch zu den entzündlichsten Stoffen. Dutzende von mit dem Stoff angetriebene Flugschiffe sind explodiert. Das bekannteste Beispiel ist das Luftschiff "Hindenburg", das 1937 in Lakehurst im US-Bundesstaat New Jersey in Flammen aufging.

rtr