KOBLENZ (dpa-AFX) - Der Softwareanbieter Compugroup will in diesem Jahr mit viel Wachstum die Grundlage für den Erfolg der kommenden Jahre legen. Doch die Investitionen dafür gehen ins Geld, die Anleger scheinen zu zweifeln. Der sei Jahresanfang amtierende neue Chef Dirk Wössner muss nun den richtigen Kurs finden. Was das Unternehmen umtreibt, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

WAS IST LOS BEI COMPUGROUP:

Über die reine Nachfrage kann der Anbieter von Software für Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern in der Corona-Pandemie kaum klagen. Auch die Übernahmen sorgen für Wachstum. Woran es hapert sind die Gewinne.

Compugroup hatte bereits eine eher gedämpfte Gewinnentwicklung im laufenden Jahr in Aussicht gestellt. In diesem Jahr fließt viel Geld in neue Technologien und in den Vertrieb, um die Wachstumsmöglichkeiten durch die Digitalisierung des Gesundheitssystems nutzen zu können. Das Ziel, 2021 die Umsatzmilliarde zu knacken und bis zu 1,04 Milliarden Euro Erlös zu erreichen, würde denn auch einem Plus von 19 bis 24 Prozent entsprechen. Das organische Wachstum aus eigener Kraft soll dabei 4 bis 8 Prozent betragen.

Bei dem um Sondereffekte bereinigten Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) erwartet das Management dagegen nur 210 bis 230 Millionen Euro - bestenfalls ein kleines Plus gegenüber dem Vorjahreswert von 215 Millionen Euro.

Im ersten Quartal legte der Umsatz um ein Viertel auf 229 Millionen Euro zu, ohne Zukäufe wären es nur knapp 5 Prozent Plus gewesen. Angetrieben wurde das Wachstum von der teilweisen Übernahme des Europa-Geschäfts für Krankenhaus-Informationssysteme von Cerner sowie vom Zukauf des texanischen Anbieters von Arztinformationssystemen eMDs im vergangenen Jahr. Das operative Ergebnis legte nur um 7 Prozent auf 46,5 Millionen zu.

Wössner macht derweil mit kleineren Übernahmen weiter. Noch im Dezember kaufte die Compugroup in den USA den Laborsoftwareanbieter Schuyler House. Anfang Juni blätterte das Unternehmen einen Barkaufpreis von 50 Millionen Euro für den Archivierungsspezialisten Visus Health hin. Zuletzt kam der Abrechnungsspezialist Meta IT für einen nicht genannten Betrag hinzu.

Die Corona-Krise konnte den Koblenzern bislang nur wenig anhaben. Sie sorgte in Krankenhäusern und Testzentren sogar für zusätzliche Nachfrage nach Informationssystemen, auch die Plattform Clickdoc für Videosprechstunden mit Ärzten konnte zulegen.

So rechnet sich das Unternehmen für die kommenden Jahre große Chancen dadurch aus, dass die Notwendigkeit einer stärkeren digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen selten so deutlich wurde wie im Corona-Jahr 2020. Wie auch andere Software- und Technologiefirmen will die Compugroup jetzt die Gunst der Stunde nutzen und das künftige Wachstum ankurbeln.

In den vergangenen Jahren konnte die Compugroup gute Geschäfte damit machen, dass die Gesetze zur Datenvernetzung im deutschen Gesundheitswesen nach und nach ihre Wirkung entfalten. Dazu gehört unter anderem die elektronische Gesundheitskarte für die Versicherten, aber auch weitere Projekte wie die zu Jahresanfang mit einer Testphase gestartete elektronische Patientenakte.

Die Compugroup liefert für die sogenannte Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen unter anderem die in Fachsprache Konnektoren genannte Hardware, Router-ähnliche Verbindungsboxen für angeschlossene Praxen. Bei den Konnektoren konkurriert die Compugroup unter anderem mit T-Systems, der IT-Tochter der Deutschen Telekom . Von dort - zumindest aus dem Konzerngefüge der Bonner - kam auch Wössner zu den Koblenzern. Er leitete bei der Telekom vor seinem Weggang das wichtige Deutschlandgeschäft.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Das im MDax notierte Papier geriet zuletzt immer wieder deutlich unter Druck, mehrfach mussten die Anleger eine regelrechte Achterbahnfahrt mitmachen. Die überraschende Investitionsoffensive sorgte Anfang Dezember für den Sturz der Aktie um bis zu knapp 12 Prozent an einem Tag. Vorher war sie noch fast 85 Euro wert gewesen. Anfang Februar ging es nach durchwachsenen Eckdaten einmal um bis zu fast 9 Prozent nach unten.

Danach folgte ein längerer Abwärtstrend bis auf rund 65 Euro. Da landete der Kurs auch wieder nach einer zwischenzeitlichen Erholung, als es nach den detaillierten Zahlen zum ersten Quartal an einem Tag bis zu fast 19 Prozent abwärts ging. Unter dem Strich verlor das Papier im laufenden Jahr bisher knapp 16 Prozent und gehört damit zu den schwächsten deutschen Standardwerten.

Aktuell liegt die Aktie mit rund 66 Euro zwar noch komfortabel über dem Corona-Tief von unter 50 Euro. Aber bis zum Rekordhoch von gut 85 Euro fehlt doch einiges. Für länger engagierte Anleger könnte der Einstieg aber immer noch eine lohnende Angelegenheit gewesen sein, erst 2016 war der Kurs erstmals über 40 Euro gestiegen. Bis Ende 2014 hatte er sich kaum über die 20 Euro hinaus getraut.

Das Unternehmen ist derzeit an der Börse insgesamt rund 3,6 Milliarden Euro wert. Knapp die Hälfte der Anteile halten Gründer Frank Gotthardt, der heute Vorsitzender des Verwaltungsrats ist, und seine Familie sowie der Mediziner Reinhard Koop. Der Streubesitz liegt leicht unter 50 Prozent.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die von der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX seit der Vorlage der Zahlen für das erste Quartal im Mai erfassten Analysten sind überwiegend positiv gestimmt. Während drei von fünf Analysten zum Kauf der Papiere raten, empfiehlt ein Experte die Aktie zu halten und ein anderer den Anteilsschein zu verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel liegt mit 80 Euro deutlich über dem aktuellen Niveau.

Unternehmensgründer Gotthardt hat nach Ansicht von Analyst Uwe Schupp der Deutschen Bank große Fußstapfen hinterlassen. Doch der neue Chef Wössner habe das Zeug dazu, den Unternehmergeist des auf das Gesundheitswesen spezialisierten Softwareanbieters zu erhalten, der weiter auf dem Weg sei, eines der größten deutschen Softwareunternehmen zu werden.

Die Aktien des auf Arztpraxen spezialisierten Softwareherstellers seien seit Jahresbeginn - absolut gesehen und auch im Vergleich mit Mitbewerbern - deutlich gefallen, schrieb Analystin Charlotte Friedrichs von der Privatbank Berenberg in einer jüngsten Studie. Die Sorgen über die Geschäftsentwicklung im ersten Halbjahr und über das weitere Ausrollen der Telematikinfrastruktur seien aber übertrieben.

Sie hob die starke Marktstellung von Compugroup hervor, die große Kundenbasis und die signifikanten Wachstumschancen durch die fortschreitende Digitalisierung in der Branche.

Auch Analyst Florian Treisch von der Commerzbank hält den Kursrutsch in Reaktion auf die Vorlage der Zahlen zum ersten Quartal als überzogen. Der Software-Anbieter sei zwar schwächer als erwartet in das Jahr gestartet, das Quartal könne aber nicht auf das Gesamtjahr hochgerechnet werden. Vielmehr dürften sich die forcierten Investitionen ab dem zweiten Halbjahr positiv bemerkbar machen. Das Unternehmen sollte vom Wandel hin zu mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen sowie von der starken Pipeline möglicher Geschäfte mit Krankenhäusern profitieren.

Weniger euphorisch zeigte sich Analyst Knut Woller von der Baader Bank. Der Jahresauftakt sei wie erwartet schwach ausgefallen, wobei vor allem der operative Gewinn negativ überrascht habe. Auch das zweite Quartal dürfte noch schwach ausfallen. Der Kauf von Visus sei zwar eine überschaubare Akquisition, aber strategisch sinnvoll. Er rät, sich von den Aktien des Unternehmens zu trennen./men/mne/zb/jha/

Quelle: dpa-Afx