Ein ruhiger Jahresauftakt sieht anders aus. Nachdem 2014 über weite Strecken halbwegs ruhig verlaufen ist, verstärken sich jetzt wieder die Sorgen mit Blick auf die weiteren Aussichten Europas. Mit an vorderster Front mischt dabei wieder Griechenland mit. Nachdem die Wahl eines neuen Staatspräsidenten gescheitert ist, stehen am 25. Januar Parlamentswahlen an. Umfragen sehen dabei die linke Partei "Syriza" in Führung, was vielerorts für Unbehagen sorgt. Denn "Syriza" ist zwar für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone, will aber die Sparpolitik beenden und auf einen weiteren Schuldenschnitt hinarbeiten. Speziell in Deutschland regt sich aber Widerstand gegen die Gewährung weiterer Kredite an Griechenland, falls sich das Land vom Sparkurs abwenden sollte.

Die auch damit verbundenen Spekulationen um einen Euro-Austritt Griechenlands haben zum Wochenauftakt nicht nur den Euro geschwächt und die griechische Anleiherenditen nach oben geschickt, sondern auch an den Aktienmärkte für negative Reaktionen gesorgt. So fiel der deutsche Leitindex DAX um fast zwei Prozent und der schon länger unter Druck stehende Athex brach um 5,63 Prozent ein.

Wenn diese Kursausschläge eines belegen, dann das: Die Anleger sind inzwischen zweifellos wieder hochgradig nervös. Nach Ansicht von Nouriel Roubini besteht dafür auch ausreichend Anlass. Der Professor an der Stern School of Business der New York University, der unter anderem vor der jüngsten Weltwirtschaftskrise und der US-Immobilienblase im Jahr 2008 gewarnt hat, kennt gleich neun Gründe, warum Europa zerbrechlicher scheint als die USA. Das Urteil von Dr. Doom, wie Roubini auch genannt wird, hat dabei auch deshalb Gewicht, weil er 2006 auf größere strukturelle Risiken in der Eurozone hingewiesen hat. Schon damals befürchtete er dauerhaft anhaltende Schockwellen und eine Fortsetzung der Krise über einige Generationen hinweg.

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte er damals, die Probleme könnten sich so sehr zuspitzen, dass sie innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einer Katastrophe in Europa führen könnten. Unter anderem befürchtete Roubini Probleme aufgrund wachsender wirtschaftlichen Divergenzen in der Form von Wachstumsunterschieden zwischen Deutschland auf der einen und Ländern wie Italien, Portugal sowie Griechenland auf der anderen Seite. Der damalige italienische Finanzminister habe ihn damals wütend unterbrochen und in Anspielung auf Roubinis Herkunft gefordert, er solle doch zurück in die Türkei gehen. Bis zum Frühjahr 2010 hätten sich seine damalige Warnungen aber leider durchaus als sehr gehaltvoll erwiesen, hält Roubini in einer schriftlichen Ausarbeitung rückblickend fest.

Auch aktuell gebe es wieder einige gravierende Probleme. Dazu zähle eine mickrige Inflationsrate von 0,3 Prozent, die Deflationsrisiken signalisiere. Experten befürchten deswegen eine ähnliche Deflationsspirale wie in Japan, wobei Roubini die damit verbundenen Risiken in Europa aber noch größer einschätzt, weil anders als in Japan die europäische Notenbank schwerer auf eine Politik des Gelddruckens einzuschwören sei. Hinzu komme eine Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent in der Eurozone, wobei sich diese Quote in Griechenland oder Spanien sogar bei noch höheren 25 Prozent bewege. In einem Land wie Italien, wo die Industrieproduktion um 25 Prozent eingebrochen sei, müsse sogar von einer industrielle Depression gesprochen werde.

Auf den nachfolgenden Seiten lesen Sie, wie Roubini die derzeitige Ausgangslage in Europa mit der eines ähnlich organisierten Landes vergleicht - den Vereinigten Staaten von Amerika.



Europa-Schwachpunkt Nummer eins: Der Aufstieg extremer Partei

Wenn uns das 20. Jahrhundert etwas gelehrt hat, dann ist es laut Roubini das, dass wirtschaftlich schwierige Zeiten eine Zunahme von politischem Radikalismus begünstigen. 75 Jahre nach dem Beginn des zweiten Weltkriegs liegt es nahe, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob sich die Geschichte wiederholen könnte.



Zu den Entwicklungen, die ihm am meisten Sorge bereiten, zählt Roubini jedenfalls den Aufstieg extremer Parteien mit euroskeptischen Grundhaltungen. Zumeist stammten diese aus dem rechten Lager, doch es gebe auch Beispiele aus der linken Ecke - etwa Podemos in Spanien und noch Besorgnis erregender, Syriza in Griechenland. Ein gutes Beispiel dafür, wie ernst solche Bewegungen genommen werden müsse, sei die von Marine La Pen angeführte Nationale Front in Frankreich. Lange habe es sich hierbei nur um ein Auffangbecken für Sonderlinge und Unzufriedene gehandelt, doch 2014 gewann diese Partei plötzlich bedeutende Bürgermeisterwahlen und wenn heute Präsidentschaftswahlen wären, dann würde laut Umfragen die Nationale Front den ersten Urnengang gewinnen.

Es handele sich somit längst um keine Randgruppe mehr und der Zulauf könnte anhalten, weil in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Öffentlichkeit bekanntlich nach einem Schuldigen suche. Im aktuellen Fall werden dabei gerne Ausländer, die Globalisierung oder Budgetkürzungen aus Brüssel verantwortlich gemacht. Selbst in Italien könnten populistische Anti-Europa-Parteien das Zepter übernehmen, falls der derzeitige Premierminister Renzi mit seinen Reformen scheitern sollte. Roubini warnt davor, die Macht solcher Bewegungen zu unterschätzen.

Die USA seien zwar auch nicht völlig frei von dieser Art der politischen Verdrossenheit, aber die Tea Party, die davon zeitweise profitiert habe, sei derzeit eher eine politische Nebenveranstaltung als eine Bedrohung. Zusammengefasst habe Europa in dieser Hinsicht eine ganz andere Geschichte und das sollte unbedingt ernst genommen werden.



Europa-Schwachpunkt Nummer zwei: Die alternde Bevölkerung

Vor nicht allzu langer Zeit machte der US-Evolutionsbiologe Jared Diamond den Spruch populär "Geographie ist Schicksal." In Anlehnung an diese Weisheit würde Roubini gerne ergänzen, dass auch die Demographie Schicksal sei.



Laut einem Bericht der Zeitschrift Economist wird die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung in Europa in den nächsten fünfzig Jahren drastisch sinken. Die Rede ist dabei ein Rückgang von einem im Vorjahr aufgestellten Hoch von rund 300 Millionen auf rund 265 Millionen. Für fast alle Wirtschaftsbereiche in Europa sei dies ein herber Schlag. Gleichzeitig steige das Verhältnis Rentnern zu Nicht-Rentnern von 28 Prozent, wie sie noch Anfang des Jahrzehnts Gültigkeit hatte, bis zum Jahr 2060 auf 58 Prozent.

Da stellt sich natürlich die Frage, wie das finanziert werden soll, wobei Roubini die Situation schlichtweg als untragbar bezeichnet. Die Gründe für diese prognostizierte Entwicklung sind dabei mannigfaltig und unter anderem tragen dazu sinkenden Geburtenraten und eine steigende Lebenserwartung bei. Aber was auch immer der Anlass dafür ist, die damit verbundenen Auswirkungen dürften gravierend sein.

In den USA kommt man derzeit mit diesem Problem noch besser klar, weil man stärker auf die Zuwanderung setzt. In Übersee stellte laut Roubini Zuwanderer mehr als 13 Prozent der Bevölkerung und absolut belief sich ihre Zahl unter Einberechnung der illegalen Zuwanderer auf mehr als 40 Millionen. Auch in Europa könnte die Zuwanderung das demographische Problem lindern. Allerdings sei das Thema Zuwanderung in Europa ein heißes Eisen und die diesbezüglichen Vorbehalte begünstigten den Aufstieg extremer Parteien. Ausländer dienten dabei bekanntlich schon immer als Sündenböcke in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit.



Europa-Schwachpunkt Nummer drei: Anfälligkeit für externe Schocks

Einer der Gründe, warum Europa gefährdeter als die USA erscheint, ist wie erwähnt eine unvorteilhafte Demographie. Die Vereinigten Staaten seien umgeben von Ozeanen und im Norden und Süden von Ländern mit einer ähnlich gesinnten Bevölkerung. Europa sei dagegen nur eine Halbinsel im deutlicher größeren und instabileren Eurasien.



In Reichweite befinden sich zudem auch noch Afrika und der Nahe Osten, von wo aus bekanntlich ständig eine große Zahl an Flüchtlingen illegal versuchen, nach Europa zu kommen. In der alternden europäischen Bevölkerung wachsen die Ressentiments gegen diesen massenhaften Zustrom. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass aufgrund von großer sozialer und historischer Unterschiede Europa nie ähnlich gut als Schmelztiegel funktioniert habe wie die USA. Als Beleg für diese These führt Roubini auch den jüngsten Vorstoß von US-Präsident Obama an, illegale Flüchtlinge einzubürgern.

Selbst der Versuch, die Zuwanderer zu absorbieren, die nach dem Mauerfall vom Osten in den Westen gezogen sind, sei in Europa noch nicht komplett gelungen. Letztlich sei es aber auch etwas schwieriger, in einer Nachbarschaft wie Eurasien zu leben. Zudem könne Europa anders als etwa die USA nicht so schnell zentralisierte Beschlüsse fassen, um auf periodisch auftretende Krisen zu reagieren.



Europa-Schwachpunkt Nummer vier: Mobilität von Arbeit und Kapital

Die Arbeitsmobilität in Europa ist geringer als in den USA. Erklären lässt sich das unter anderem mit kulturellen Unterschieden, die sich über die Jahrtausende hinweg mit unterschiedlichen Historien entwickelt haben. In den USA kann ein Arbeiter dagegen leicht einer Rezession in North Carolina entfliehen und Arbeit woanders suchen. Oder wenn es volkswirtschaftliche Probleme in Michigan gibt, dann können die sieben Sache gepackt werden und in New York die Zelte aufgestellt werden. Die Grenzen zwischen den Bundesstaaten sind offen und die Sprache ist die gleiche. Auch erworbene staatliche Leistungen können in der Regel mitgenommen werden.



In der Eurozone werde alles das durch zahlreiche Hürden noch immer erschwert. Für die Mitglieder in de 26 Schengen-Staaten sei das Reisen ohne Pass zwar einfacher geworden, aber es gebe noch immer viele Schwierigkeiten die ein Umziehen komplizierter als innerhalb der USA machen. Nicht vergessen werden dürfte auch, dass Europa ein Sammelsurium an Länder mit verschiedenen Sprachen, Kulturen und rechtlichen Restriktionen sei, die miteinander konkurrieren. In Europa fehle es deshalb noch immer an einem komplett offenen Arbeitsmarkt, der als Stoßdämpfer bei Krisen fungiert.

In den USA gebe es außerdem schon lange ein integriertes und föderalisiertes Bankensystem, das einen freien Kapitalfluss ermöglicht. Dieser Vorteil mache die USA krisenresistenter als Europa. Auf dem alten Kontinent gebe es zwar auch Kapitalmobilität, aber nicht in dem gleichen Ausmaß. Im europäischen Ausland zu investieren bedeute durch verschiedene Steuersysteme zu navigieren und man habe es mit verschiedenen Sprachen und Kulturen zu tun. Wer in Connecticut lebt und die Aktie eines kalifornischen Technologie-Unternehmens kaufen will, der muss über die damit verbundenen Konsequenzen gar nicht erst nachdenken. Das Fehlen von Kapitalmobilität laufe dem Denken der Amerikaner komplett zuwider, so Roubini.



Europa-Schwachpunkt Nummer fünf: Asymmetrische Anpassungen

Asymmetrische Anpassungen sind eine schiefe Wortschöpfung, aber dennoch relativ einfach zu verstehen. Letztlich ist laut Roubini damit nichts anderes gemeint als zeitliche Asymmetrien zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern, wenn es darum geht, auf wirtschaftliche Schocks zu reagieren. In der Eurozone führe dies beispielsweise dazu, das Länder, die zu viel ausgeben, wie etwa Griechenland und Italien, und Länder, wie Deutschland oder Niederlande, die dazu neigen, zu viel zu sparen, gleichzeitig getroffen werden, wenn die Kapitalflüsse verebben.



Bei einem wirtschaftlichen Schock neige die Bereitschaft zur Kreditvergabe zu versiegen. In so einem Szenario sind die Schuldnerlänger dazu gezwungen, weniger auszugeben. Aber nichts zwingt gleichzeitig die kreditgebenden Länder dazu, sich ebenfalls anzupassen und weniger zu sparen. Das sei gemeint, wenn von asymmetrischen Anpassungen die Rede ist. Ein instabiles Gleichgewicht werde dadurch letztlich ausgehebelt. Die so genannten PIGS-Staaten Portugal, Irland, Griechenland und Spanien sträubten sich gegen die Austerität, während sich die europäischen Kernstaaten in einer Situation befinden, in der sie Tauziehen spielen, der Gegner auf der anderen Seite aber plötzlich das Seil loslässt.

In den USA könnte sich so eine Situation nie einstellen. Dort handelt es sich um eine einheitliche Volkswirtschaft für die eine Metapher wie sie Eingangs verwendet wurde, einfach nicht passe. New York werde zwar eventuell mehr Geld aufnehmen als West Virginia, letztlich seien beide aber Mitglieder der gleichen Union.



Europa-Schwachpunkt Nummer sechs: Reaktion auf die große Rezession

Auf die Bankenkrise des Jahres 2008 haben die Vereinigten Staaten mit drei entscheidenden Maßnahmen reagiert. Erstens wurden die Banken rekapitalisiert und am Ende hat das sogar viel weniger gekostet als ursprünglich befürchtet. Dadurch wurden die US-Institute in die Lage versetzt, weiterhin Kredite zu vergeben. In Europa dagegen mussten die Banken laut Roubini auf Kredite verzichten, um Kapitalrichtlinien zu erfüllen, was aber letztlich vor allem auch der Konjunktur schadet.



Zweitens hat die US-Notenbank von Anfang an eine viel aggressivere Geldpolitik betrieben als die EZB, die noch heute darüber nachdenke, ob sie nun weitere Lockerungsschritte vornehmen soll oder nicht. Durch eine Vervierfachung des Geldangebots verglichen mit dem Niveau vor der Krise hat die Fed nach Ansicht von Roubini ein Abrutschen der Konjunktur in eine Depression verhindert.

Drittens hätten die USA ihre Konsolidierung der Staatsfinanzen nach hinten verschoben. Diesbezüglich erinnert Roubini daran, dass höhere Steuern und gekürzte Staatsausgaben zunächst das verfügbare Einkommen beschneiden und damit zu Lasten des Konsums gehen. In der Eurozone wurden dagegen die staatlichen Einsparmaßnahmen vorgezogen, was die Volkswirtschaften zusätzlich unter Druck gesetzt habe. Eine geringere Nachfrage sei aber das Letzte gewesen, was die Länder der Euro-Zone damals angesichts einer tiefen Rezession gebraucht hätten.



Europa-Schwachpunkt Nummer sieben: Die Eurozone ist keine fiskalische Union

Eine der größten Herausforderungen, mit denen sich die Eurozone konfrontiert sehe, sei das Fehlen einer Fiskalunion. In den USA sei das dagegen eine Selbstverständlichkeit und man denke überhaupt nicht mehr darüber nach. Komme ein Bundesstaat in Schwierigkeiten, stünden fiskalische Transfers von den anderen Bundesstaaten zur Milderung der Probleme außer Zweifel.



Die Möglichkeiten zur Dämpfung konjunktureller Schocks sind dabei laut Roubini in den USA erheblich. Die Regierung verfüge über einen Steuertopf, der 25 bis 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspreche. Verglichen damit stünden der EU-Regierung nur Mittel in Höhe von einem Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt zur Verfügung. Das sei einfach nicht genug, um wirkungsvoll zu helfen, wenn ein Mitgliedsland in Schwierigkeiten stecke.

Wirtschaftliche Probleme eines Landes schlügen auch deshalb viel stärker durch als in den USA. Solange in der Eurozone keine Fiskalunion geschaffen werde, die Ausgaben, Besteuerung und auch eine gemeinsame Kapitalaufnahme umfasse, würden die von Seiten der EU zur Verfügung stehenden Hilfsgelder für ein in der Krise befindliches Land nicht mehr sein als nur Kleingeld. Doch gegen so eine Währungsunion gebe es in Europa viele Widerstände.



Europa-Schwachpunkt Nummer acht: Fehlende Bankenunion

In den Vereinigten Staaten ist es völlig normal, dass alle Banken der verschiedenen Bundesstaaten durch einen von der Federal Deposit Insurance Corporation garantierten Einlagensicherungsfonds abgesichert sind. In Europa dagegen zahle die deutsche Einlagensicherung nur für deutsche Banken und die italienische Einlagensicherung nur für italienische Banken. Auch werde in den USA zentral auf Bundesebene darüber entschieden, welche Bank Hilfe benötigt und eventuell liquidiert werden muss.



Eine Bankenunion sei wichtig zur Risikoteilung und ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Fiskalunion. In Deutschland rege sich dagegen aber Widerstand, weil eine Unterstützung von Ländern und Banken befürchtet werde, die eventuell vor dem Kollaps stehen. Am Ende könnte daraus dann aus einer Fiskalunion eine Transferunion werden. Ländern wie Deutschland oder die Niederlande wollen aber ein Konstrukt nicht, bei dem sie Gefahr laufen, Wackelkandidaten wie Portugal, Italien, Griechenland oder Spanien auf ewig zu subventionieren.

Fiskal- und Bankenunionen können nach dem Urteil von Roubini nur funktionieren, wenn Schocks nur gelegentlich auftreten und alle Beteiligten auch von den Vorteilen einer Risikoteilung profitieren. Deshalb fordern jene Länder, die jetzt helfend einspringen solle, als Vorleistung von den Krisenstaaten erst einmal Reformen.



Europa-Schwachpunkt Nummer neun: Politische Union und die demokratische Legitimation der Eurozone

In den USA seien die Wähler zwar an Streitereien zwischen demokratisch und republikanisch geführten Bundesstaaten gewohnt, doch vom politischen Mainstream werde die demokratische Legitimation der Staatsregierung nur selten in Zweifel gezogen. In der Eurozone habe man dagegen noch immer oft Probleme damit, dass inzwischen bestimmte Gesetze in Brüssel gemacht würden und nicht mehr von der jeweiligen Landesregierung und das gelte auch für Gerichtsentscheide, die von EU-Institutionen erlassen werden. Nicht jedem gefalle es außerdem, dass die nationale Zentralbank Macht an die EZB hat abgeben müssen.



Dieser Verlust an nationaler Demokratie kann laut Roubini nur dann funktionieren, wenn auf der übergeordneten Ebene ebenfalls demokratisch gewählte Entscheider das Sagen haben. So bestimmen derzeit Bürokraten über das Schicksal der Griechen, die von denen niemals direkt gewählt wurden. Eine Folge von diesem Demokratiedefizit sei auch, dass die Griechen die Schuld für ihre Misere auf die EU, die EZB und die Eurozone abschieben.

Das wiederum bringt laut Roubini das Ausgangsthema in Erinnerung, das aus dem Aufstieg der extremen Parteien bestand. Die Gruppe, die sich gegen Globalisierung, gegen Zuwanderung, gegen Reformen und gegen Austerität ausspricht, werde größer und mit ihr die Zahl jener, die sagen "Genug ist genug". Alles das erinnere alle Beobachter mit einem Gespür für Geschichte daran, wie in den 1930er-Jahren eine Depression, Aktienkurseinbrüche in Verbindung mit der falschen Geld- und Fiskalpolitik zu Deflation führten und am Ende in den zweiten Weltkrieg einmündeten.



Fazit: Die Zukunft der Eurozone steht auf dem Spiel

Zum Jahreswechsel 2014/2015 lässt Roubini gedanklich Revue passieren, was er im vergangenen Jahrzehnt alles über die Eurozone geschrieben hat. Diese Überlegungen bringen ihn zu der etwas provakant klingenden These, wonach in unserer Welt Volkswirtschaften entweder wachsen, weil die Bevölkerung gewillt ist sehr viel zu arbeiten oder weil Arbeitnehmer und Angestellten besonders kreativ und innovativ sind. Etwas verallgemeinernd gesprochen habe sich Asien dabei dazu entschieden, sehr hart zu arbeiten. Das täten die Amerikaner zwar ebenfalls, aber nicht ganz so ausdauernd in Stunden gerechnet wie die Asiaten. Dafür seien die USA in vielerlei Hinsicht führend bei Innovationen und in Sachen Technologie.

Europa befindet sich nach Einschätzung von Roubini in beiden Fällen in einer schlechteren Ausgangslage. Freizeit und Urlaub seien für Europäer von überragender Bedeutung und es fehle an Produktinnovationen, um den damit verbundenen Produktivitätsverlust wieder wettzumachen. Was Europa nach wie vor zu bieten habe, sei viel Kultur und das locke auch viele reiche Chinesen und Inder an. Doch wenn Europa nicht zu einem zweiten Florida werden wolle und damit zu einer Halbinsel voll mit Urlaubern und Ruheständlern, dann sollte man sich schnell zu radikalen Reformen durchringen. All der zuvor genannten neun Schwachpunkte sind laut Roubini Anlass genug für tiefgreifende Beschlüsse durch die Politik. Auch die Investoren sollten sich daran erinnern, wenn sie auf die Zukunft der Eurozone wetten.