Die privaten Haushalte in Deutschland mögen deutsche Aktien. Ende September 2018 verfügten sie über börsennotierte Aktien in Höhe von 328,6 Milliarden Euro, wie die Deutsche Bundesbank berichtet. 66 Prozent davon stammten aus Deutschland, nur 33 Prozent aus dem Ausland. Bei einer Umfrage des Deutschen Derivate Verbands (DDV) im August 2018 entschieden sich 73,4 Prozent der Teilnehmer für DAX, MDAX und SDAX als beliebteste heimische ­Indizes. Die deutschen Haushalte befinden sich international in guter Gesellschaft: Schweizer Depotinhaber waren laut Nationalbank Ende November 2018 zu 63 Prozent in inländischen Titeln ­investiert. Einige Monate zuvor ermittelte Morningstar für private Fonds­anleger in den USA sogar einen Wert von 84 Prozent.

Home Bias - oder auch (übertriebene) "Heimatliebe" - wird das Phänomen genannt, das seit den frühen 90er-Jahren wissenschaftlich untersucht wird. Aus der Sicht der Verhaltensökonomie ist es verständlich, dass sich Anleger für Aktien entscheiden, die ihnen besonders nahe sind - die Portfoliotheorie plädiert dagegen für eine konsequente Diversifizierung des Vermögens über Länder und Branchen zur Optimierung von Rendite und Risiko. Verhaltensökonomie versus Portfoliotheorie - was ist privaten Anlegern in Deutschland zu empfehlen?

Die Branchenverteilung in den Indizes ist sehr unterschiedlich


Im Zeitalter von Digitalisierung, Globalisierung und demografischem Wandel sollten weniger Aktien aus einem bestimmten Land als vielmehr aus zukunftsträchtigen Branchen wie IT, Kommunikation und Gesundheit in einem Depot enthalten sein. Mit einem Investment in den DAX ist dies nur schwer möglich. Abgesehen von SAP herrscht bei Werten, die sich mit Alibaba, Alphabet, Amazon oder Apple messen könnten, in Deutschland Fehlanzeige. Die beiden wichtigsten Branchen im DAX mit einer Gewichtung von 33 Prozent sind Materialien und Zyklischer Konsum, wie BASF, BMW, Daimler oder Linde.

In den USA entfallen dagegen 36 Prozent der Marktkapitalisierung des S & P 500 auf IT und Gesundheit. Die Übersicht mit den jeweils fünf größten Branchen in DAX, Euro Stoxx 50, S & P 500 und Japans Topix macht deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Indizes - und damit die jeweiligen Länder - aufgestellt sind. Ein Engagement in ausländische Aktien senkt zudem die Abhängigkeit von nationalen Konjunkturzyklen. So sehr deutsche Unternehmen international orientiert sind, wird sich die Wirtschaftsentwicklung in anderen Ländern nur mittelbar im Kurs der heimischen Aktien widerspiegeln.

Allerdings gilt nicht bloß der Satz "andere Länder, andere Sitten", sondern auch "andere Länder, andere Währungen". Das Auf und Ab am Devisenmarkt führt zu einem zusätzlichen, meist schlecht einschätzbaren Währungsrisiko. Bezogen auf die letzten fünf Jahre hätten Engagements in US-Dollar zu zusätzlichen Währungsgewinnen von 21 Prozent, in Yen von zwölf Prozent und in Schweizer Franken von acht Prozent geführt. Gegenüber dem britischen Pfund wäre dagegen ein Verlust von sieben Prozent entstanden. So erscheint das Währungsrisiko längerfristig, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Kursveränderungen der Aktien selbst, doch überschaubar.

Zudem können deutsche Anleger ohne Währungsrisiken an den Börsen im Euroraum handeln. Dort werden zusätzlich zu den über 500 Aktien aus Deutschland weitere rund 5000 Aktien von Unternehmen aus der Eurozone gehandelt. Und in diesem Pool befinden sich so renommierte Namen wie Total, LVMH, Unilever, Airbus oder Anheuser Busch, aus Branchen, zu denen sich jedenfalls im DAX kein entsprechendes Pendant findet. Die Marktkapitalisierung der Wertpapierbörsen im Euroraum betrug Ende Januar 2019 rund sieben Billionen Euro, das sind 18 Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung.

Als weiteres Argument für den Home Bias werden Handelsbarrieren beim Zugang zu den ausländischen Börsen vorgetragen. Natürlich spielen die unterschiedlichen Zeitzonen zum Beispiel beim Handel mit asiatischen oder amerikanischen Aktien eine Rolle, sind Geld-Brief-Spannen unterschiedlich, kann es an ausreichender Marktliquidität fehlen. Zahlreiche Banken in Deutschland, insbesondere Onlinebroker, bieten jedoch attraktive Konditionen für den Zugang zu den ausländischen Börsenplätzen.

Allerdings ist dieser Schritt ins Ausland für private Anleger möglicherweise in vielen Fällen gar nicht notwendig, denn an den deutschen Wertpapierbörsen - dies ist international einmalig - sind viele Auslandsaktien in den Freiverkehr bzw. Open Market einbezogen. So sind auf diese Weise in Stuttgart aktuell 8400, in Frankfurt sogar über 10 300 Auslandsaktien handelbar, bei denen Börsenmakler die Preisstellung und die Orderausführung übernehmen.

Wissen ist der erste Schritt gegen zu viel Home Bias


Allerdings ist es häufig schwierig, sich kontinuierlich über ausländische Aktien zu informieren. Die Medien in Deutschland, ob online oder print, berichten nahezu täglich vor allem über einheimische Titel. Aber die Berichtswelt ist schon international geworden: tagesaktuell gibt es nicht bloß Bilanzzahlen von Bluechips aus den USA.

Zum Abbau des Home Bias stehen Alternativen auch außerhalb des unmittelbaren Kaufs von Aktien zur Verfügung. So könnte ein Anleger stattdessen in Investmentfonds investieren. Ob in der Form von aktiv gemanagten Fonds oder von Exchange Traded Funds (ETF) - Fonds bieten die Möglichkeit, "im Paket" diversifiziert in eine Vielzahl von Aktien anzulegen. Aus der Welt der strukturierten Wertpapiere bieten sich Themenzertifikate an. Die öffentlichen inländischen Investmentfonds sind bereits international aufgestellt: Gemäß Bundesbank entfielen Ende des dritten Quartals 2018 nur noch 25 Prozent der Aktienbestände auf deutsche Titel; weitere 24 Prozent waren ohne Währungsrisiko im Euroraum investiert.

In den letzten fünf Jahren ist übrigens bei den privaten Haushalten bereits Bewegung in den Home Bias gekommen. Ende 2013 betrug gemäß Bundesbank die Quote der inländischen Aktien in der Hand privater Haushalte noch 75 Prozent. Allerdings lässt sich der Rückgang auf 66 Prozent zu einem großen Teil mit überproportionalen Gewinnen bei Auslandstiteln erklären - ein weiteres Argument, die "Heimatliebe" für deutsche Aktien auf den Prüfstand zu stellen.

Kurzvita


Wolfgang Gerhardt
Experte für strukturierte Wertpapiere
Wolfgang Gerhardt studierte Volkswirtschaft. Nach der Promotion 1984 arbeitete er als wissenschaftlicher ­Mitarbeiter an der Uni Würzburg. Seit über 30 Jahren ist er im Wert­papierbereich aktiv, mit Stationen bei Schweizerische Kreditanstalt, Schweizerischer Bankverein, Citibank, Sal. Oppenheim und Von­tobel. Er hat zahlreiche Neuemissionen von ­Aktien und Anleihen an die Börse begleitet.