BÖRSE ONLINE: Herr Köhler, nach der Übernahme der Joint Ventures (JV) - mit BMW bei Carbonfasern und mit Benteler bei Bauteilen aus Verbundwerkstoffen - stellt SGL für 2018 gut eine Milliarde Euro Umsatz in Aussicht. Wie viel wird jetzt mittelfristig avisiert?


Jürgen Köhler: Bis 2022 wollen wir den Umsatz auf 1,3 Milliarden Euro erhöhen.

Sind weitere JV-Übernahmen geplant?


Wir sind jetzt gut aufgestellt und sehen derzeit keinen Handlungsbedarf bei unseren bestehenden Joint Ventures. In beiden Geschäftsbereichen - also den Verbundwerkstoffen sowie den Spezialgraphiten - verfügen wir jetzt über die kompletten Wertschöpfungsketten. Das schafft Kosten- und Qualitätsvorteile sowie Differenzierung im Markt.

Bisher haben Joint Ventures für SGL Entwicklungen beschleunigt und den Zugang zu Industrien und Rohstoffen erleichtert. Gilt das weiterhin?


Natürlich. Beispiel Brembo. Unser italienischer Partner im Gemeinschaftsunternehmen Brembo SGL gehört zu den weltweit führenden Bremssystem-Herstellern. Das bietet großes Potential beim Marktzugang. Wir verfügen über einzigartiges Knowhow bei Verbundwerkstoffen. Eine Hochleistungs-Carbon-Keramik-Bremsscheibe, am Markt sehr erfolgreich, ist das Ergebnis. Die Partner ergänzen sich optimal. Wenn sich in anderen Bereichen ähnliche Chancen bieten, werden wir sie prüfen. Das gilt für beide Geschäftsbereiche.

Bei Verbundwerkstoffen hat SGL als Erster Prozesse für die Fertigung in hohen Stückzahlen entwickelt. Was verändert die Kontrolle über die Fertigung und die Joint Ventures?


Wir verfügen nun über alle wesentlichen Kompetenzen in der Wertschöpfungskette für Verbundwerkstoffe - vom Rohstoff bis zum fertigen Bauteil. Der Rohstoff macht 50 Prozent der Kosten der Carbonfaser und 80 Prozent deren Qualität aus. Deshalb haben alle namhaften Hersteller eine eigene Rohstoffherstellung. Wichtig ist auch die Qualität der Zwischenprodukte. Mit der Wertschöpfung aus einer Hand ist zudem die Zertifizierung der Produkte einfacher, schneller und deutlich attraktiver für den Endkunden. Er hat einen Ansprechpartner für alle Schritte.

Und SGL hat höhere, stabilere Margen?


Wir realisieren Margen in jedem Schritt der Wertschöpfung. Für das Gesamtergebnis ist das positiv.

Was sagen die Kunden?


Für Kunden sind wir jetzt auch deshalb attraktiver, weil wir über jedes Detail im gesamten Prozess bis zur Fertigung im Industrie-Maßstab Bescheid wissen und es bei Bedarf beeinflussen können. Bei unseren Verbundwerkstoffmaterialien, die im Vergleich zu den herkömmlichen Materialien wie Aluminium und Stahl sowie deren Verarbeitung noch relativ jung sind, ist "Alles aus einer Hand" deshalb ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Die Übernahme der Joint Ventures liefert für die Sparte 2018 die Hälfte des Umsatzzuwachses von 25 Prozent. Wie verändert das die Anteile der beiden Bereiche Verbundwerkstoffe und Graphit?


Das Verhältnis wird sich nur leicht verschieben. Der Bereich mit Spezialgraphite bleibt mit ca. 60 Prozent Anteil die größere Sparte. Es ist das ältere, etablierte Geschäft und legt gleichmäßig zu. Bei den sehr neuen Verbundwerkstoffen wird der Zuwachs durch Anzahl und die Dauer von Projekten getrieben und erfolgt deshalb in Stufen.

Wie ist die aktuelle Auslastung?


Das Muster ist in beiden Sparten ähnlich. Im ersten Schritt bei der Herstellung des Graphitblocks oder der Carbonfaser muss wegen der Skaleneffekte großzügiger geplant und gebaut werden. Da sind noch Kapazitäten verfügbar. Alle weiteren Schritte entlang der Wertschöpfungskette sind für die Kunden technologisch und auf Kapazitäten maßgeschneidert. In einigen Bereichen stoßen wir aufgrund der hohen Nachfragen damit zum Teil an unsere Fertigungsgrenzen.

Bisher liefert SGL den Carbonverbundwerkstoff für den 7er BMW. Wann werden Verbundwerkstoffe auch in Modellen mit Produktionszahlen von mehr als 300 000 pro Jahr eingesetzt?


Bei BMW beliefern wir den i3, den i8 und den Siebener, darüber hinaus liefern wir auch an Audi, Porsche und andere. Bei den Blattfedern aus Verbundwerkstoff für verschiedene Volvo Modelle liegt das jährliche Zielvolumen bei rund 550 000 Blattfedern. Pro Tag sind das dann 1500 bis 2000 Blattfedern. Mir ist aktuell weltweit kein Projekt bekannt, bei dem ein Verbundwerkstoffbauteil in so hoher Stückzahl in Großserie produziert wird.

Wie relevant ist die weitere Gewichtsreduzierung von Autos?


Gewichtsreduzierung bleibt sehr relevant - ob bei Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren oder mit alternativen Antrieben. Im ersten Fall geht es um die Verringerung von CO2-Ausstoß, bei den Elektroautos auch um eine höhere Reichweite.

Welche Rolle spielen Verbundwerkstoffe dabei zukünftig?


Dass carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK) wesentlich leichter ist als Stahl und auch Aluminium, ist natürlich längst kein Geheimnis mehr. Es geht aber nicht um die Substitution dieser Werkstoffe. Wir sehen immer einen Material-Mix. Wie im 7er BMW kann CFK dort zum Einsatz kommen, wo es einen echten Mehrwert bietet, zum Beispiel in Dachbereichen, in den Seitenschwellern sowie den Fahrzeugsäulen. Das Resultat: Neben Gewichtsreduzierung gibt es auch mehr Sicherheit und bessere Fahrdynamik durch die Absenkung des Fahrzeugschwerpunkts.

Mit der Übernahme steigen die Nettoschulden für 2018 deutlich. Was bedeutet das für Investitionen in das laufende Geschäft und für mögliche Übernahmen?


Die Ziele für den Verschuldungsgrad, also das Verhältnis von Nettofinanzschulden zu Eigenkapital, von etwa 0,5 bleibt unverändert. Ebenso für die Verschuldungsquote von unter 2,5 basierend auf dem Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Diese Werte sollten auch in diesem Jahr eingehalten werden. Für Investitionen war unsere Prognose für das Jahr 2018 im März 15 bis 25 Millionen Euro über den Abschreibungen von 65 Millionen Euro. Damit wollen wir aussichtsreiche Möglichkeiten für Investitionen nutzen. Jetzt werden 2018 etwa 80 Millionen Euro investiert, also wie avisiert.

Wie wird die nach den Übernahmen höhere Verschuldung zurückgeführt?


Wir sind bei unseren diesbezüglichen Bilanz-Kriterien im Zielkorridor. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit für einen beschleunigten Abbau der Schulden.

Bei der Marge für das eingesetzte Kapital (ROCE) peilte SGL vor den Übernahmen für 2020 rund neun Prozent an...


Bis 2022 wollen wir die Marge auf elf Prozent verbessern. Damit erreichen wir unsere Kapitalkosten.

Wann wird ihr Unternehmen die Dividendenfähigkeit erreichen?


Die Finanzierung von nachhaltig profitablem Wachstums hat bis auf Weiteres Vorrang. Wir sind der Überzeugung, dass auch unsere Aktionäre unsere Strategie unterstützen, heute zu investieren, für mehr Umsatz und Ergebnis in der Zukunft.