Prognosen im Realitätstest. Das erste Halbjahr lief gut. Im dritten Quartal könnten Zinsanstieg, Dollaraufwertung und Konjunkturschwäche Spuren hinterlassen. Was von der Berichtssaison zu halten ist und was ein Chefvolkswirt für die kommende Woche erwartet. Von Wolfgang Ehrensberger

Die größte Bank der USA errichtet derzeit an ihrem Stammsitz in der Park Avenue in Manhattan einen Büroturm der Superlative: Der 423 Meter hohe Wolkenkratzer mit mindestens 60 Stockwerken soll 2025 fertig sein und alle Nachhaltigkeitsstandards übertreffen — eine Wette auf die Bank der Zukunft, wie es heißt.

Wie JP Morgan in der Gegenwart abschneidet, wird sich kommenden Freitag zeigen. Dann veröffentlicht die Bank zusammen mit anderen Instituten wie Citigroup, Wells Fargo und Morgan Stanley ihr Zahlenwerk für das dritte Quartal. Es ist gleichzeitig der Startschuss in die US-Berichtssaison, die es dieses Mal in sich hat. Denn nach zwei guten Quartalen mit soliden Gewinnen im ersten Halbjahr dürften sich bei vielen Konzernen Bremsspuren einer schwächeren Konjunktur, höherer Notenbankzinsen und auch von Währungseffekten zeigen.

„Die US-Unternehmen leiden unter dem nachlassenden Wachstum der Weltwirtschaft, aber auch unter der scharfen Aufwertung des US-Dollars“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer gegenüber €uro am Sonntag. „Wir rechnen damit, dass die Analysten ihre Gewinn-schätzungen in den kommenden Monaten weiter nach unten revidieren werden.“ Die US-Berichtssaison werde deshalb in den kommenden Wochen die Märkte eher belasten.

Trendumkehr bei Gewinn: Die US-Berichtssaison

Demnach trübten sich die Aussichten für die Gewinne der im US-Leitindex S&P 500 enthaltenen Konzerne zunehmend ein. So hätten die Analysten die Gewinnschätzungen für das Gesamtjahr 2022 im vergangenen Quartal bereits um fünf Prozent nach unten revidiert, für das Ge-schäftsjahr 2023 sogar um sechs Prozent.

Eine deutliche Trendumkehr gibt es bei den Prognosen für das dritte Quartal. Hier gingen Krämer zufolge die Analysten mittlerweile davon aus, dass die Unternehmen zwei Prozent weniger verdienten als vor einem Jahr. Dagegen hatten sie vor drei Monaten noch mit einem Plus von acht Prozent gerechnet.

Dass die Prognosen nach einem relativ stabilen ersten Halbjahr nun auf breiterer Front ins Rutschen kommen, nimmt auch VP-Bank-Analyst Harald Brandl an.

Als konkretes Beispiel nennt Brandl den US-Logistikkonzern Fedex, der vor Kurzem selbst seine Prognosen kassierte. „Vor allem die Warnung von Fedex kann als Signal für schwächeren Konsum, insbesondere im Onlinehandel, gesehen werden.“ Brandls Fazit: Die Gefahr von Enttäuschungen ist im dritten Quartal höher als in den vergangenen beiden Quartalen, vor allem in den USA, weil dort die fundamentalen Bewertungen im weltweiten Vergleich noch am höchsten seien.

Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel im Interview zu den anstehenden Quartalszahlen

€URO AM SONNTAG: Ende kommender Woche startet die US-Berichtssaison mit den ersten Quartalsergebnissen der Großbanken. Können die Unternehmensergebnisse dem Markt noch positive Impulse geben? 

CARSTEN MUMM: Die US-Berichtssaison für das dritte Quartal dürfte schwächer ausfallen als im bisherigen Jahresverlauf. Allerdings deuten wesentliche volkswirtschaftliche Indikatoren darauf hin, dass die Wachstumsdynamik bisher noch relativ stabil ausgefallen ist, obwohl die Zin-sen bereits deutlich angezogen haben und beispielsweise an den Immobilienmärkten merkliche Bremsspuren in Form fallender Hauspreise zu erkennen sind.

Welche Indikatoren meinen Sie denn, die noch auf Dynamik hindeuten?

Selbst die sehr hohen US-Inflationsraten der letzten Monate haben den privaten Konsum, die wichtigste Stütze der US-Wirtschaft, bisher kaum negativ beeinflusst. Das liegt daran, dass der Arbeitsmarkt sehr gut ausgelastet ist und es einen deutlichen Überhang unbesetzter Stellen gibt. Die dadurch möglichen Lohnsteigerungen konnten wohl einen Großteil der Kaufkraftverluste ausgleichen.

Was bedeutet das für die Unternehmensergebnisse und insbesondere die Ausblicke? 

Es ist gut möglich, dass die Ergebnisse einmal mehr die Erwartungen übertreffen. Allerdings dürften gerade die Ausblicke der Unternehmen weniger positiv ausfallen, denn die Bremswirkung der rasant steigenden Zinsen dämpft die Konjunktur zunehmend. Hinzu kommt der sehr feste US-Dollar, der weltweit für Belastungen sorgt, beispielsweise über eine Verteuerung der Refinanzierung von US-Dollar-Schulden in Schwellenländern, aber auch durch höheren Inflationsdruck in der Eurozone wegen verteuerter Rohstoffimporte. Der ohnehin schwächelnden Weltwirtschaft wird das im Winterhalbjahr zusätzliche Dämpfer versetzen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 40/2022. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.