Das Niedrigzinsumfeld stellt viele Anleger immer wieder vor die Frage, wie groß die damit verbundenen Bewertungsblasen gerade an den Aktienmärkten sind. Bei solchen Diskussionen außen vor ist aber wohl die russische Börse. Insbesondere, wenn es um den dort dominierenden Energie- und Grundstoffsektor (54 und 16 Prozent der Marktkapitalisierung) geht. Denn dieser trägt entscheidend zu einer im internationalen Vergleich sehr moderaten Marktbewertung bei.

So schneidet Russland laut Analysehaus Bespoke Investment bei einem Vergleich der Börsen der 23 größten Volkswirtschaften mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,4 und einer Dividendenrendite von 5,7 Prozent am besten ab. Der Vermögensverwalter StarCapital weist zudem in seiner monatlichen Einschätzung der Attraktivität der globalen Börsen Russland auf Platz 1 aus. Dazu tragen auch Multiplikatoren von jeweils 0,9 beim Kurs-Umsatz- sowie beim Kurs-Buchwert-Verhältnis bei. Für Schnäppchenjäger klingt das verlockend. Allerdings sind niedrige Bewertungen oft nur ein Ausdruck hoher Risiken. Russland-Kritikern gefällt beispielsweise das politische System nicht. Weil wir uns nicht als moralische Instanz verstehen, lassen wir diesen Aspekt aber weitgehend außen vor. Letztlich muss diese Einschätzung jeder selbst vornehmen.

Unbestritten ist jedoch, dass das angespannte Verhältnis mit Europa und den USA für erhöhte Risiken sorgt. Neben den bereits verhängten Sanktionen drohen die USA mit weiteren Maßnahmen. Da wäre etwa das Verbot von Dollargeschäften der Staatsbanken oder die Sanktionierung russischer Staatsanleihen. Kommt es dazu, rechnet die DekaBank mit neuen Turbulenzen und Rating-Herabstufungen.



Transparenz geht anders



Ob diese Szenarien wirklich eintreten, ist aber fraglich. Dagegen spricht, dass sich die USA bereits mit dem wichtigen Ölproduzenten Iran angelegt haben, und neuerdings wackelt auch die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien. Da dürfte wohl kaum Interesse bestehen, sich noch stärker als bisher mit Russland zu streiten. Sollte es dennoch zu weiteren, bedeutsamen Sanktionen kommen, wird wohl das niedrige Bewertungsniveau der Börse Moskau in den Hintergrund rücken.

Ein ganz anderes, aber keineswegs zu unterschätzendes Problem ist die Corporate Governance. Leider hapert es bei russischen Firmen erheblich in Sachen guter und transparenter Unternehmensführung. Dass es sich dabei um kein politisch eingefärbtes Urteil handelt, geht aus einer aktuellen Studie des russischen Brokers Renaissance zum Thema ESG hervor (Environment, Social, Governance - Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Beim Punkt Governance kommt Russland basierend auf Daten von Weltbank, UNO und IWF nur auf schwache 39 Prozent von möglichen 100: Beim Topland Dänemark sind es 85 Prozent.

In der Vorwoche etwa verbreiteten russische Medien Gerüchte, dass die staatliche Sberbank den größten russischen Internetkonzern Yandex übernehmen könnte. Der Grund: Die Staatsmacht wolle das im Vergleich zu China noch immer relativ freie russische Internetangebot stärker unter Kontrolle bringen. Obwohl es bisher keine Bestätigung für diese Spekulationen gibt, sackte der Yandex-Kurs in zwei Handelstagen an der Nasdaq um 24 Prozent ab.

Wer darüber nachdenkt, in russische Werte zu investieren, sollte zudem beachten, dass sich das Wachstumspotenzial des Landes bei lediglich 1,5 bis 2,0 Prozent bewegt. Das Wirtschaftswachstum für 2018 dürfte sich somit - trotz Sanktionen - innerhalb dieser Spanne bewegen. Der Rubel neigt ebenso zur Abwertung. Ein Nachteil für Anleger aus dem Euroraum.

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Aktien hinken Ölpreis hinterher



Auch deshalb ist der von der Wiener Börse in Euro berechnete RTX-Index, der die am Russland Trading System gehandelten Standardwerte beinhaltet, in den vergangenen zehn Jahren nicht vorwärtsgekommen.

Ein Vergleich des Ölpreises mit dem in Dollar gehandelten RTS-Index zeigt zudem ein historisch relativ enges Zusammenspiel. Das heißt, wenn der Ölpreis steigt, steigt tendenziell auch der RTS und umgekehrt. Bleibt es bei dieser Korrelation, hätte der RTS aktuell Nachholpotenzial. Denn während der Preis für den OPEC-Öl-Basket seit Anfang März von 63,97 Dollar auf 79,50 Dollar je Barrel gestiegen ist, fiel der RTS gleichzeitig von 1274 auf 1126 Zähler zurück. Kann sich der Ölpreis behaupten oder zulegen, würde das für russische Energie-Aktien sprechen.

Diese Werte können außerdem noch mit einem anderen Aspekt punkten, und zwar mit der Anomalie, dass es in Russland Aktien gibt, bei denen die Dividendenrenditen höher ausfallen als das Kurs-Gewinn-Verhältnis. In unserer Empfehlungstabelle haben wir daraus jene aufgenommen, die anders als viele andere russische Aktien auch noch mit einem passablen Chartbild aufwarten können.

Bei den Öl- und Gasproduzenten sind das Rosneft, Lukoil und Gazprom Neft. Der Ölpreis bewegt sich, in Rubel gerechnet, übrigens auf einem Rekordhoch. Den Ergebnissen dieser Konzerne sollte dies auf die Sprünge helfen.



Gut läuft es aktuell auch für den Stahlhersteller Severstal. Für die ersten neun Monate wurde ein Anstieg beim Nettogewinn von 86 Prozent auf 1,5 Milliarden Dollar gemeldet. Zudem blickt der Vorstand zuversichtlich nach vorn. Zusammen mit einer von Analysten für 2019 erwarteten Dividendenrendite von 11,5 Prozent und einem geschätzten KGV von 7,9 klingt das fast zu schön, um tatsächlich wahr zu sein.

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Auf einen Blick: Russland