Börse Online: Die Berichtssaison im DAX lief bisher besser als erwartet, und die Aktienmärkte haben seit Mitte Juni deutlich zugelegt. Doch angesichts der Konjunkturschwäche in China und den USA und einer drohenden Rezession in Deutschland mehren sich die Stimmen, die vor einer Welle von Gewinnkorrekturen warnen. Für wie wahrscheinlich halten Sie dieses Szenario?

Carsten Mumm: Durch den Kursrutsch im ersten Halbjahr wurden bereits größere als bisher eingetretene Gewinnkorrekturen eingepreist. Das allein dürfte valueorientierte Anleger schon zum Kauf ausgewählter Aktien animiert haben. Die weitere Entwicklung hängt nicht nur von der Politik der Notenbanken ab, sondern in Europa vor allem von den russischen Gaslieferungen. Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, wäre eine tiefe Rezession in Deutschland und Europa unvermeidbar. In diesem Fall wären die heutigen Gewinnerwartungen zu hoch, es käme zu einer erneuten Korrektur an den Börsen.

Und was ist Ihr Alternativszenario?

Sollte noch ausreichend Gas geliefert werden, dann treten andere Faktoren in den Vordergrund, etwa die chinesische Konjunktur. Ein stärkeres Wachstum in China durch staatliche Hilfsprogramme, moderatere Zinsschritte der US-Notenbank Fed oder die Aufhebung von Corona-Restriktionen mit dem Abbau von Lieferengpässen könnten der exportorientierten deutschen Industrie zugutekommen. Deren Auftragspolster ist derzeit übrigens noch so hoch, dass selbst eine kleinere Rezession keine größeren Gewinnkorrekturen hervorrufen sollte.

Könnte die Fed nicht doch noch mal kräftig die Zinsen anheben?

Nach einigen deutlichen Zinssteigerungen in den vergangenen Monaten hat die Fed bereits einen Puffer, um im Fall einer Abkühlung die Zinsen im Lauf des ersten Halbjahres 2023 wieder zu senken. Ich denke, dass dies das positive Momentum an den Aktienmärkten eher unterstützt.

Wie sollten sich Anleger in der aktuellen Konjunkturabkühlung positionieren?

Angesichts der Risiken sollten sie vorerst weiter auf defensive Branchen setzen, etwa aus den Bereichen Basiskonsumgüter und Gesundheit, die weniger sensibel auf konjunkturelle Schwankungen reagieren.

Und wo sehen Sie mittelfristig Chancen?

Nach der aktuellen Schwächephase dürfte vor allem in die Bereiche Digitalisierung, -Infrastruktur sowie in den Umbau von Lieferketten und Dekarbonisierung von Mobilität und Produktion investiert werden. Gewinner wären dann Technologieunternehmen genauso wie entsprechend positionierte Anlagen-, Maschinen- und Fahrzeugbauer sowie in einem Umfeld steigender Zinsen auch Banken.